Montag 21.04.14, 15:29 Uhr
Rede auf dem Ostermarsch Ruhr am 20. 4. 2014 in Wattenscheid

Felix Oekentorp, Sprecher der DFG-VK NRW 1


Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

es wird vielfach kritisiert, „die Friedensbewegung“ wäre zu untätig in der Ukraine-Frage. So wie manchmal von PassantInnen an den Infoständen der FriedensaktivistInnen angeregt wird, man möge sich doch bitte für oder gegen dies oder jenes einsetzen, manches davon nachvollziehbar, manches eher nicht, so hört man jetzt die Forderung, „die Friedensbewegung“ möge sich in der Ukraine-Frage engagieren.

Wer ist denn „die Friedensbewegung“? Wir sind kein geschlossener Kreis, durch einen undurchdringlichen Wall vor der Beteiligung von außen geschützt. Wir sind teilweise organisiert in Verbänden wie der DFG-VK, oder in lokalen Zusammenschlüssen wie dem Essener Friedensforum, oder der AntiFa Wattenscheid. Die Termine dieser Treffen sind im allgemeinen öffentlich. So hat jedeR dieser KritikerInnen Gelegenheit, mitzuarbeiten und Kritik anzubringen.

Wir, „die Friedensbewegung“ haben tatsächlich keine Großdemo organisiert anlässlich der Entwicklungen in der Ukraine, anders als beispielsweise im Vorfeld des Einmarsches in den Irak. Im Aufruf zum diesjährigen Ostermarsch Rhein Ruhr steht auch kein Wort dazu, es ist dort die Rede von den AtomKraftWaffen, Nahost und Afghanistan sind benannt, Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte werden abgelehnt. Aber: kein Wort zur Ukraine. Dafür gibt es gute Gründe: Dieser Aufruf ist Mitte Januar verabschiedet worden. Und es ist nach wie vor richtig und wichtig, und angesichts der jüngsten Entwicklungen vielleicht noch richtiger, jegliche Rüstungsproduktion und -Exporte zu stoppen. Auch und gerade vor dem aktuellen Hintergrund der um die Ukraine stattfindenden Auseinandersetzungen. Und auch die Ablehnung der AtomKraftWaffen ist durch die aktuellen Entwicklungen nur bestätigt worden. Was wenn die Ukraine noch im Besitz der Atomwaffen der UdSSR wäre?

Es ist unerträglich, wie auf beiden Seiten – ich betone: auf beiden Seiten! – gezündelt wurde und wird. Putin ist gewiss nicht unser Freund, aber ich sehe ihn und Russland ähnlich wie NATO und USA in dieser Situation.

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

Was ist denn bislang geschehen?

Die demokratisch gewählte Regierung unter Viktor Janukowitsch ist durch Massenproteste abgesetzt worden. Diese Massenproteste und die neue selbsternannte Regierung Arseni Jazenjuk wurden und werden vom Westen selbstverständlich akzeptiert und unterstützt.

Auf der anderen Seite: Massenproteste auf der Krim haben zu einem Referendum und der Abspaltung von der Ukraine geführt. Dies wird im Westen zum Anlass für Sanktionen gegen Russland genommen.

Die damalige massive Unterstützung der Demonstranten in Kiew sowohl materiell als auch politisch (der Boxer Vitali Klitschko war zur jährlich stattfindenden Wehrkundetagung, dem inzwischen zur Sicherheitskonferenz umbenannten Treffen in München eingeladen) wurden selbstverständlich gefeiert als Beitrag zur Demokratisierung der Ukraine.

Was gäbe es für einen Aufschrei, wenn Putin die derzeitige selbsternannte Stadtregierung von Bochums Partnerstadt Donezk zu einem ähnlichen Treffen nach Moskau einlüde?

Es heißt, unter den pro-Russischen Kräften im Osten der Ukraine sollen Angehörige des russischen Militärs sein, so dass die Aufstände und die Besetzung von Polizeistationen als unzulässige Einmischung von außen angeprangert wird. Ich halte das in der Tat für denkbar und kann das nicht ausschließen.

Aber: In der aktuellen Regierung in Kiew sind Faschisten von Swoboda, einer Organisation die mit hiesigen Nazis verbandelt ist. Das wird heute völlig unkritisch von EU-VertreterInnen akzeptiert, dabei warnte das Europäische Parlament bereits im Dezember 2012 in einer Resolution vor Swoboda: Die Partei stehe mit ihrer „rassistischen, antisemitischen und ausländerfeindlichen Auffassung im Widerspruch zu den Grundwerten und Grundsätzen der EU“. Die Empfehlung des Parlaments lautete: keine Assoziationen, keine Koalitionen. Und jetzt: Swoboda ist mit mehreren Personen in der Regierung in Kiew, und die EU kooperiert.

Bestandteile eines EU-Hilfsangebots an die Ukraine sind drei Milliarden Euro aus dem EU-Budget – davon 1,4 Milliarden Zuschüsse und 1,6 Milliarden Euro Kredite als Zahlungsbilanzhilfe. Hinzu kommen sollen von der Europäischen Investitionsbank rund drei Milliarden Euro Kredite im Zeitraum zwischen 2014 und 2016. Weit weniger mediales Interesse findet die Tatsache, dass die EU mit der Ukraine wirtschaftliche Beziehungen unterhält, indem sie Bodenschätze billig einkauft und Waren teuer in die Ukraine exportiert und damit am ukrainischen Außenhandelsdefizit wesentlich Mitverantwortung hat. Was für eine Unterstützung ist dies? Werden Schulden erlassen oder nur der Kreditrahmen erhöht und damit die Ukraine in eine wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber der EU gebracht?

Und was ist mit den nach wie vor verbilligten Gaslieferungen aus Russland in die Ukraine? Von Putin wird erwartet, dass er weiterhin Gas liefert obwohl die Ukraine inzwischen gar nicht mehr bezahlt.

Was hierzulande nicht erwähnt wird: der ukrainischen Chemieindustrie wurden hohe Preisnachlässe für russisches Erdgas eingeräumt. Im Dezember 2013 wurden der Ukraine wegen des kritischen Zustands ihrer Wirtschaft für die Dauer von drei Monaten zusätzlich Sonderrabatte für russisches Erdgas gewährt. Seit 2009 beläuft sich die Gesamtsumme dieser Preisnachlässe auf 17 Milliarden US-Dollar.

Wenn die EU den Russen vorwirft, die Lieferungen einzustellen wenn die Rechnungen nicht bezahlt werden, dann darf ich darauf verweisen, dass wenn ich den Stadtwerken meine Gasrechnung nicht bezahle, ich mit Sicherheit auch in einer kalten Wohnung sitzen werde.

Es macht derzeit den Anschein, als wolle die EU ihren Einfluss im Osten so weit wie irgend möglich ausdehnen. Ich frage mich, ob die Bevölkerung der Ukraine in der gesamten EU denn auch willkommen ist, vielleicht so wie derzeit die Bevölkerungen von Bulgarien und Rumänien.

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

ja ich verspüre ein gewaltiges Unbehagen dem russischen Präsidenten Putin gegenüber, aber ich kann nicht leugnen, dass ich ein vergleichbares Unbehagen auch verspüre wenn ich Kanzlerin Merkel oder Vertreter der Regierung von „Friedensnobelpreisträger“ Obama handeln sehe. Die hiesige – ich neige dazu, es Generalmobilmachung zu nennen – erschreckt mich über alle Maßen.

Und so sehe ich derzeit nicht den Punkt gekommen, wo wir, „die Friedensbewegung“ mit eindeutigen Forderungen statt mit einem sowohl als auch auf die Straße mobilisieren könnten.

Wir haben aber sehr wohl konkrete Forderungen als Friedensbewegung, die wir teilweise seit Jahren bereits vertreten:

– Stopp sämtlicher Rüstungsexporte insbesondere aus dem EU-Raum nach Russland und in die Ukraine;

– Die NATO soll die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation genauso ernst nehmen wie die der Ukraine. Die Bündnisfreiheit der Ukraine ist von allen Konfliktparteien zu akzeptieren. Dazu gehört auch der Stopp des Aufbaus des sog. Raketenschirms in Europa, der von Russland nur als Bedrohung betrachtet werden kann.

– Keine Beteiligung rechtsextremer und faschistischer Kräfte an Regierungen, natürlich auch nicht in der Ukraine

– Von Politik und Medien verlangen wir, „die Friedensbewegung“ rhetorische Abrüstung und eine faire Berichterstattung

Wenn diese unsere Forderungen erfüllt wären, sähe ich einer Lösung des Konflikts deutlich optimistischer entgegen.


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