Mittwoch 04.01.12, 10:37 Uhr

Antwort des Polizeipräsidiums auf den offenen Brief von Astrid Platzmann


Frau
Astrid Platzmann
Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit und Soziales der Stadt Bochum
Grüne Fraktion im Rat der Stadt Bochum
Per Mail

Nachrichtlich den Medien im PP Gebiet
Staatsanwaltschaft und Stadt Bochum
Fraktion der Grünen im Stadtrat

Polizeieinsatz nach versuchtem Tötungsdelikt am 1.1.2012
Bochum-Wattenscheid, Emilstraße 46-48

Ihr offener Brief an Polizeipräsidentin Ewert vom 2.1.2012

Sehr geehrte Frau Platzmann,

da Frau Polizeipräsidentin Ewert noch bis zur kommenden Woche im Urlaub im Ausland weilt, beantworte ich Ihre Fragen als zuständiger Leiter der Direktion Kriminalität beim Polizeipräsidium Bochum.

Bevor ich auf Ihre Fragen im Detail eingehe, möchte ich den aktuellen Ermittlungsstand darstellen. Am 1.1.2012 gegen 05.10 Uhr auf der Hochstraße in Bochum-Wattenscheid wurden von einer männlichen Person insgesamt sechs Schüsse auf drei Männer abgegeben, die dazu führten dass ein Mann in Brust und an der Hand verletzt, ein weiterer ins Bein getroffen wurden. Die dritte Person blieb unverletzt. Nach den Geschädigtenangaben entfernte sich der Tatverdächtige unmittelbar mit einem PKW Mercedes Benz, dunkel mit italienischem Kennzeichen, in dem noch zwei weitere Personen – auch Männer – saßen.
Das beschriebene Fahrzeug wurde bereits gegen 05.30 Uhr parkend und verlassen mit noch warmer Motorhaube von Fahndungskräften vor dem Haus Emilstraße 48 festgestellt. Der Auffindeort liegt ca. drei km vom Tatort entfernt.
Die ersten Beschreibungen der Geschädigten hatten bereits ergeben, dass die Tatverdächtigen, wie die Geschädigten auch, einen Migrationshintergrund hätten. Die beiden als Übergangswohnheime für Asylbewerber genutzten Häuser Emilstraße 46 und 48 wurden sofort von Einsatzkräften umstellt, weil zu vermuten war, dass sich die Tatverdächtigen in diese Häuser begeben hatten.
Weil es sich bei den Gesuchten um Personen handelte, die bereits rücksichtslos und gezielt von einer Schusswaffe Gebrauch gemacht hatten, wurde auf eine sofortige Durchsuchung des Hauses verzichtet. Diese hätte sowohl das Risiko des erneuten Schusswaffengebrauchs der Tatverdächtigen auf Polizeibeamte beinhaltet wie auch eine Geiselnahme bei den Hausbewohnern zur Erzwingung der Flucht auslösen können.
Beide Häuser wurden, als entsprechend geschützte und speziell ausgebildete Einsatzkräfte aus dem Land zusammen gezogen waren, gezielt Wohnung für Wohnung nach den namentlich noch nicht bekannten Tatverdächtigen durchsucht.
Es wurden alle angetroffenen männlichen Personen, auf die die Beschreibung des Schützen zutreffen konnte, gefesselt und zur Suche nach Schussabgabespuren an den Händen sowie zur Identitätsfeststellung dem Polizeipräsidium zugeführt. Dabei handelte es sich um 13 Personen, weil ein erkennbar blinder Mann sofort als Tatverdächtiger ausgeschlossen werden konnte.
Frauen und Kinder wurden weder gefesselt noch sonst Zwangsmaßnahmen unterzogen.
Alle Unverdächtigen wurden unmittelbar nach Abschluss der Maßnahmen entlassen. Zwei Personen konnten dabei als Halter des PKW bzw. als dessen Sohn und Träger des Fahrzeugschlüssels identifiziert werden. Diese beiden Personen wurden festgenommen und im Laufe des 2.1.2012 nach Entscheidung der Staatsanwaltschaft entlassen, weil die vorliegenden Verdachtsgründe noch keinen dringenden Tatverdacht begründeten.
Bei den Maßnahmen handelte es sich um Durchsuchungen zur Ergreifung von flüchtigen Tatverdächtigen von Verbrechen und um damit korrespondierende Maßnahmen zur Sicherung von Tatspuren sowie um Identitätsfeststellungen. Alle Maßnahmen wurden auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bochum vom Ermittlungsrichter am Amtsgericht Bochum angeordnet.
Nun zu Ihren Fragen, die ich durchnummeriert habe:
1. Ist es richtig, dass alle männlichen Bewohner über 18 Jahre zunächst festgenommen wurden?
Nein, es wurden insgesamt 13 männliche Personen, die als Tatverdächtige in Betracht kommen konnten gefesselt zum Polizeigewahrsam verbracht. Dort wurden Schmauchspuren genommen und die Identität festgestellt, danach wurden 11 Personen entlassen, weil zwei Personen mit dem Tatfahrzeug in Verbindung zu bringen waren. Die Fesselung war erforderlich, um ein Abreiben oder anderweitiges Verändern der möglichen Spuren zu verhindern.

2. Wäre das Vorgehen bei vergleichbarer Sachlage in einem üblichen Mietshaus mit 22 Personen identisch gewesen?
Ja.
a. Wären auch hier alle männlichen Bewohner über 18 Jahre zunächst verhaftet worden?
Ja, wenn nicht andere Gründe den Anfangsverdacht sofort hätten entfallen lassen, wie z. B. ein Körpergebrechen

b. Wäre es auch hier zu einem Einsatz von 100 SEK-Beamten und Hubschraubern gekommen?
Ja, wobei zwar weit über 100 Polizisten im Einsatz waren, dies aber auch zum Zwecke der Absperrung, für Ermittlungen und der Anteil der Beamten des Spezialeinsatzkommandos war deutlich geringer. Hubschrauber wie auch Spür- und Suchhunde wurden zur Absuche des Geländes um die Häuser, um das Fahrzeug und zur Suche nach der Tatwaffe eingesetzt.

3. Welcher Art sind die Verletzungen der drei Menschen, die noch Stunden nach dem Einsatz ärztliche Hilfe benötigten?

Nach allen uns vorliegenden Erkenntnissen wurde bei dem Einsatz niemand verletzt. Eine Frau war kurz vor dem Einsatz operiert worden und wurde deshalb ärztlich betreut. Eine andere Person stellte sich als Dialyse-Patient heraus und wurde deshalb bevorzugt behandelt und sehr zeitnah nach dieser Feststellung entlassen.

4. Wie ist es zu den Verletzungen dieser Menschen gekommen?
Die Antwort entfällt

5. Sind die Verletzten die drei Personen, die nach der Berichterstattung in den Medien zunächst als Verdächtige festgenommen wurden?

Es sind letztlich zwei Personen festgenommen worden, die keine Verletzungsspuren aufwiesen.

6. Wurde der Tatverdacht gegen Bewohner des Übergangsheimes bzw. Besucher des Heimes bestätigt.

Der Tatverdacht besteht unverändert fort und wird sich, wenn das Gutachten über Schmauchspuren vorliegt, ggf. erhärten bzw. wenn andere Ermittlungsergebnisse hinzutreten. Richtig ist, dass es sich bei den Verdächtigen nicht um Bewohner sondern um Besucher von Bewohnern handelt.

Ergänzend zu Ihren Fragen sei noch auf Folgendes hingewiesen:

Ich war selbst von 12.30 Uhr bis 15.00 Uhr und von 16.00 bis ca. 18.30 Uhr am Objekt Emilstraße. Ich habe dort sowohl mit Anwohnern, eintreffenden Angehörigen als auch den Bediensteten der Stadt, die für die Unterkunft zuständig sind, gesprochen.

Insbesondere die städtischen Bediensteten haben vorbildlich sowohl die Polizei mit Informationen unterstützt als auch dann in der Kommunikation mit den Betroffenen und Angehörigen sehr gute Verständigungsarbeit geleistet. Bis heute besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen diesen Bediensteten und der Ermittlungskommission.

Ich habe jedem fragenden Bewohner Rede und Antwort gestanden und dabei dann regelmäßig Verständnis feststellen können. Gleichermaßen waren alle dem Polizeigewahrsam zugeführten Menschen ruhig und verständnisvoll.

Unstreitig führt das Eindringen von Spezialeinsatzkräften bei Betroffenen zu Erschrecken, Schock, ggf. auch einem Trauma. Allerdings würde eine solche Diskussion anders geführt, wenn es zu weiteren Schüssen, zu einer Geiselnahme oder Ähnlichem gekommen wäre.

Dieses Dilemma ist für Polizei nur schwer aufzulösen und die Entscheidungen werden unter großem Zeit und Handlungsdruck gefällt.

Mit dieser Maßnahme haben wir durch bewusstes Zeigen von einer großen polizeilichen Übermacht mit entsprechender Professionalität und durch sehr konsequentes und entschiedenes Vorgehen etwaige Flucht- oder Befreiungspläne der Tatverdächtigen versucht, im Keim zu ersticken. Wir haben dabei in Kauf genommen, dass Zeit bleibt, um die Tatwaffe(n) zu entsorgen, was gleichzeitig die davon ausgehenden Gefahren minimiert.

Die Annahme, dass die Insassen des als Tatfahrzeug anzusehenden Wagens vor dem Objekt dann in eines der beiden Häuser geflüchtet sind und sich dort verborgen hielten, hat sich aufgrund der Feststellungen zu den beiden Hauptverdächtigen wie auch durch die eingesetzten Spürhunde bestätigt. Mit Blick auf die sehr kurze Zeitspanne zwischen Tat- und Fahrzeugentdeckung dürften sich der Täter und dessen Begleiter (Mittäter) daher unter den 13 überprüften Personen befunden haben.

Seitens der Polizei werden alle materiellen Schäden erstattet und Sie weisen zu Recht darauf hin, dass seitens des Sozial- und Jugendamtes professionell schon am Einsatztage gearbeitet wurde.

Ich hoffe, damit die Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben und sowohl Herr Sprogies, als Vertreter der Polizeipräsidentin wie auch Frau Ewert selbst in der kommenden Woche oder ich stehen gerne als Gesprächspartner für ergänzende Fragen zur Verfügung.

Da Ihr Brief – wofür ich vollstes Verständnis habe – als offener Brief abgefasst wurde, stelle ich diesen Brief parallel zur Information an Sie ebenfalls allen in Bochum erscheinenden oder sendenden Medien zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

Gez.

Andreas Dickel

Leiter Direktion Kriminalität