Donnerstag 28.07.11, 11:19 Uhr
Ralf Feldmann zur Haltung der Stadtspitze zum Ackermann-Auftritt:

Ein tiefer Knicks vor der Macht?


Ralf Feldmann, Ratsmitglieder der Linksfraktion im Rat und seit vielen Jahren im Bochumer Friedensplenum aktiv, hat zum geplanten Auftritt von Josef Ackermann im Schauspielhaus Bochum  einen offenen Brief an Oberbürgermeisterin Scholz und Kulturdezernent Townsend verfasst:
»Sehr geehrte Frau Scholz, sehr geehrter Herr Townsend,
am 21. September soll der Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann im Schauspielhaus Bochum auftreten in der Veranstaltungsreihe „Herausforderung Zukunft“ des Herrn Hellen, der Sie, sehr verehrte Frau Oberbürgermeisterin, als Schirmherrin verbunden sind. In den vielfältigen – gerade auch lokalen – Wirtschaftskrisen der letzten Jahre sind die Menschen in Bochum immer wieder in großen Demonstrationen gegen die Übermacht der wirklich Herrschenden in unserer Welt aufgestanden – für soziale Gerechtigkeit, für eine solidarische Gesellschaft und für die Verteidigung der Demokratie. Für diese vielen Tausend Bochumer Bürgerinnen und Bürger ist es in der Tat eine Herausforderung, ja Provokation, wenn der führende Exponent des deutschen und europäischen Finanzkapitals Gelegenheit erhält, in unserem geliebten und über die Grenzen unserer Stadt – noch – geachteten Schauspielhaus, einer herausragenden Stätte für Kunst und Kultur, die verderbliche Unkultur des entfesselten neoliberalen Kapitalismus als Hoffnung für die Zukunft zu verkaufen. Gemeinsam mit Herrn Stoiber, als damaliger Regierungschef in Bayern für das Desaster seiner Landesbank hoch verantwortlich, und moderiert von Herrn Reitz, dem es als Chefredakteur der WAZ zunehmend gelungen ist, die führende Zeitung des Ruhrgebiets zu einem alternativlos herrschaftsfrommen Beschwichtigungsblatt in Krisenzeiten zu trimmen.
25 Prozent jährliche Eigenkapitalrendite: das ist das obszöne Geschäftsziel, das Ackermann seiner Bank seit Mitte des letzten Jahrzehnts gesetzt hat, beginnend übrigens mit einer kräftigen „Freisetzung“ von Personal. In der realen Wirtschaft sind solche Renditen nur unter erpresserischer Ausnutzung von Monopolmacht möglich, in der Finanzwirtschaft dann, wenn die Zockerchanchen eines deregulierten Finanz- und Kapitalmarkts skrupellos zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden. Dafür hat Ackermann schon mit Hilfe der rotgrünen Regierung Schröder/Fischer die Türen geöffnet. Bei der Etablierung risikoreicher Finanzprodukte war die Deutsche Bank stets vornweg dabei. Die Zeche, wenn Spekulationsblasen platzen und sich glanzlackierter Schrott als ordinärer Schrott herausstellt, zahlen andere. Wir alle, wenn wir Bürgerinnen und Bürger mit Milliarden unserer Steuergelder auf den – stets alternativlosen – Rat Ackermanns und seiner Mittäter Banken vor der Pleite, das gesamte Finanzsystem und die reale Wirtschaft vor dem Zusammenbruch retten sollen. Gegen Hunger und Elend in der Welt, für Soziales und Kultur sind die Kassen dann leer. Die anschließend unausweichliche Neuverschuldung des sich auf allen seinen Ebenen selbst strangulierenden Staates sichert neue Renditen.
Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) Simon Johnson bezeichnete Ackermann in einem Zeitungsinterview im Frühjahr diesen Jahres als „einen der gefährlichsten Bankmanager der Welt“. Die von ihm risikoreich erstrebte Rendite sei nur möglich, „weil er weiß, dass die Deutsche Bank ein Systemrisiko darstellt und daher von den Steuerzahlern gerettet würde, falls ein Konkurs droht“. Ihr SPD-Parteifreund Frank Walter Steinmeier stellte bereits 2008 zutreffend fest: „Dass Banken und Kapitalanleger eine Rendite von 25 Prozent erwarten, während Kunden und Firmen kaum 10 Prozent erwirtschaften, muss schief gehen“. Dass sich der Finanzmarkt mit Renditerittern wie Ackermann „nur noch um sich selbst dreht, statt seine Aufgaben zu erfüllen und eine vernünftige, nachhaltig wachsende Wirtschaft zu finanzieren“, kritisierte unlängst Bundesfinanzminister Schäuble, nachdem seine Kanzlerin den von ihr hochgeschätzten Berater vor gut drei Jahren noch von Amts wegen mit einem staatlichen und stattlichen Geburtstagsempfang zum Sechzigsten hofierte.
Attac hat Ackermann 2009 – da wurde er als „European Banker of the Year“ gefeiert – den Gegenpreis „European W.A.N.K.E.R. of the Year (Wiederholt Aufgefallener Neoliberaler Einflussnehmer auf die Regierung) verliehen und dabei die ethisch unerträglichen Investments der Deutschen Bank hervorgehoben: mit Spitzenrängen in Rüstungsindustrie, Atomtechnologie, Rohstoffausbeutung in den Ländern des Südens – mit skrupelloser Inkaufnahme der Vertreibung der Menschen vor Ort – , nicht zuletzt eine führende Rolle bei der Spekulation mit Nahrungsmitteln; wird in armen Ländern gehungert, klingeln in der Ackermann-Bank die Kassen. Natürlich war Ackermann im August letzten Jahres als Unterzeichner des Energiepolitischen Appells einer Lobbyinitiative der vier großen Stromkonzerne zur Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke dabei.
Sehr geehrte Frau Scholz, sehr geehrter Herr Townsend, wir in Bochum bekommen die Konsequenzen aus den Botschaften und den Geschäften dieses Zukunftspropheten hautnah zu spüren. Kämmerer Busch nannte – jedenfalls noch in den vergangenen Jahren – stets mit Recht die Folgen des Kapitalmarktdesasters als Hauptursache der leeren Kassen auch in Bochum. Die Ackermänner dieser Welt sind dabei, die Chancen demokratischer Mitbestimmung unserer Gesellschaft durch die prägende Kraft kapitalistischer Systemlogik vollends abzuschaffen. Demokratische Gestaltung auf lokaler Ebene fällt diesem Raubtierkapitalismus zuerst zum Opfer. Aber auch in der „großen“ Politik jammert man folgenlos über den Verlust des Primats der Politik, wobei meist die Frage übergangen wird, wann es diesen Vorrang je gegeben hätte.
Sie, Herr Townsend, meinen in Ihrem Facebook, die Kritik an der Symbolfigur für Gier und für, wie Frank-Patrick Steckel treffend formuliert, globale Menschenverachtung als Nörgelei irgendwelcher Alt-68er abtun zu sollen. Die Breite des politischen Spektrums der oben zitierten Kritiker verdeutlicht aber, wie gänzlich ungeeignet ein „verdorbener“ Mensch wie Ackermann ist, Gültiges oder Ermutigendes für eine lebenswerte Zukunft zu sagen, noch dazu in unserem Schauspielhaus, obwohl doch der Innenhof der Krümmede der einzige Ort in Bochum wäre, wo dies – im Monolog beim Einzelhofgang – anginge. Dazu wird es indes aus Gründen der Systemlogik so bald nicht kommen. Als Ratsmitglied frage ich, ob wir es einem größeren Kultursponsoring für das notleidende Schauspielhaus zu verdanken haben, dass sich unser Theater für die Imagepflege präpotenter Volksverdummer breit macht. Wer finanziert diese empörende Zweckentfremdung des Schauspielhauses in welcher Höhe?
Sie, Frau Scholz, haben für uns in Bochum in den vergangenen Jahren in schwierigen, auch hoffnungslosen Situationen oft wenigstens die richtigen Worte gefunden, mehr tröstende Mutter als trotzige Mutter Courage. Mit einer gewissen Fassungslosigkeit frage ich deshalb, was Sie als Schirmherrin antreibt, einen Granden des Großkapitals, dem Rendite alles, das Schicksal der Menschen wenig gilt, zu einer Veranstaltung über unsere Zukunft in Bochum willkommen zu heißen. Bietet Ackermann Ihnen Zukunft? Unter welchen Schirm nehmen Sie ihn? Sind Sie Herrin oder machen Sie nur einen tiefen Knicks vor der Macht?
Ihr Willkommen für Josef Ackermann dokumentiert wieder einmal – wie zuletzt auch das Bleiberecht für Sarrazin in Ihrer Partei: der tiefe Graben in unserer Gesellschaft geht mitten durch die Sozialdemokratie. „Nehmts mich mit!“ ruft die Brechtsche Courage, als sie am Ende nach vielfältigen Geschäften mit den Menschenvernichtern ihrer Zeit alles verloren hat und trotzdem mit ihnen „wieder in`n Handel kommen“ will. Ich möchte wünschen, dass Sie, Frau Oberbürgermeisterin, den ganz alten sozialdemokratischen Kompass wiederfinden und die andere Courage haben, solchem Handel zu entsagen und über den Graben zu springen, am besten Sie beide Hand in Hand. Viele nehmen Sie dann mit.

Mein Gruß verbindet sich mit dieser versöhnlichen Hoffnung

Ralf Feldmann«