Montag 24.01.11, 21:08 Uhr
Ein Erlebnisbericht aus dem Gericht

Foto und Knarry vor Gericht


Der Redakteur steht an der Personenkontrolle des Bochumer Gerichtsgebäudes und fragt: „Muss ich meine Kamera wirklich abgeben?“ Die Antwort ist „Ja“! „Dann kann ich wie alle anderen hier im Gerichtsgebäude nur noch mit meinem Handy fotografieren?“  Die Antwort ist „Ja“! Der Justizangestellte wird locker und erklärt, wo die Kamera beim Rausgehen wieder abgeholt werden kann. Dann: „Die Vorschrift ist schwachsinnig, aber Vorschrift ist Vorschrift.“ Am anderen Ende des Gebäudes steht der Polizist Thomas Weinkauf vor dem Gerichtssaal.  Zusammen mit seinem Kollegen Torsten Heim als „Toto und Harry”  verkauft er Polizeiauftritte als Entertainment im Fernsehen. Erst unterhält er sich mit einem stadtbekannten Nazi dann mit Polizei-Kollegen. Der Redakteur holt sein Handy raus und fotografiert. Die Polizisten drehen sich weg. Der Redakteur wechselt die Position. Ein weiterer Polizist taucht auf, zeigt seinen Dienstausweis und behauptet, dass es verboten sei, die Beamten zu fotografieren. Sie hätten ein Recht am eigenen Bild. Er hat befürchtet, dass der Redakteur weiß, dass Fernsehstar Harry als Person des öffentlichen Interesses kein Recht am eigenen Bild hat und trollt sich von dannen.
Dann beginnt der Prozess. Erst die Formalia, dann die Anklageschrift. Der Angeklagte soll sich beim Protest gegen einen Nazi-Infostand geweigert haben, seine Personalien mitzuteilen. Er wurde festgenommen und soll Widerstand gegen die Polizeimaßnahmen geleistet haben. Der Angeklagte verliest eine sehr heftige Anklageschrift gegen Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Richterin befragt ihn. Dann kommt Harry in den Zeugenstand. Man hat nicht den Eindruck, dass da ein Fernsehstar auftritt. Er wirkt wie ein armes Würstchen, das sichtlich Angst hat. Aber wovor? Er räumt sofort ein, dass der Angeklagte sich – anders als in der Anklageschrift behauptet – nicht gewehrt hat. An die in der Anklageschrift aufgezählten Beleidigungen erinnert er sich auch nicht mehr so richtig. Seine Aussage ist insgesamt widersprüchlich und völlig unlogisch.

Dann klärt sich auf, warum Harry Angst hat. Der Anwalt des Angeklagten macht es öffentlich: Harry ist klar, dass er bei seiner Formulierung der Anzeige gegen den Angeklagten wohl nicht so richtig bei den Tatsachen geblieben ist. Sicherheitshalber erinnert er sich vor Gericht an fast nichts. Hier können Falschaussagen nämlich teuer sein. Er ist schließlich vorbestraft: Wegen Falschaussage vor Gericht ist er schon einmal zu einer Geldstrafe von 3.600 Euro verurteilt worden. Kohl hat es vorgemacht: Ein schlechtes Gedächtnis hilft vor Gericht.
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Rolf van Raden berichtet in der bsz über den Prozessverlauf.