Pressemitteilung der Unabhängigen Sozialberatung vom 19. Oktober 2007:
Freitag 19.10.07, 17:00 Uhr

Hartz IV: Gesundheitskosten zusätzlich


Gesundheitskosten müssen bei Hartz IV-Abhängigen gegebenfalls zusätzlich vom zuständigen Sozialamt übernommen werden. So hat das Landessozialgericht NRW in Essen entschieden (Az.: L 1 B 7/07 AS ER 22.06.2007 rechtskräftig). Der in der Regelleistung enthaltene Anteil für die Gesundheitspflege sei zu gering. Zu beantragen sind diese Leistungen beim zuständigen Sozialamt. Die ARGE bzw. das Jobcenter ist verpflichtet, einen solchen Antrag weiterzuleiten. Von dieser Rechtslage sollte umfassend Gebrauch gemacht werden, denn verschiedene Ärztevereinigungen (insb. die Kinder- und Jugendärzte) haben bereits Alarm geschlagen wegen der hierdurch bedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes Hartz IV-Abhängiger.
Beim Zahnersatz übernimmt die Krankenkasse im Rahmen der Härtefallregelung (Bruttoeinkommen monatlich unter 980 Euro) auf Antrag 100 % der Regelversorgung. Eine höherwertige Versorgung wird nur übernommen, wenn zwingende medizinische Gründe dafür sprechen, z.B. eine Unverträglichkeit („Allergie“) der verwendeten Werkstoffe oder kieferorthopädische Besonderheiten.
Insgesamt ist die Summe aller Zuzahlungen zu Verordnungen (einschliesslich der Praxisgebühren) bei Harz IV-Abhängigen auf 83 Euro jährlich begrenzt (42 Euro bei Menschen mit chronischen Erkrankungen). Das heisst: Quittungen sammeln und alsbald bei der Krankenkasse eine Freistellung beantragen.
Schlecht sieht es aus, wenn verschreibungsfreie Medikamente medizinisch notwendig sind (z.B. Mittel gegen Allergien, Schmerzmittel, Salben und Verbandstoffe für an Neurodermitis Erkrankte, Vitamine und Anderes gegen Diabetes-Folgeschäden usw.). Wie auch die ggf. sehr teure Brille bei schweren Sehfehlern sei das aus der Hartz IV-Regelleistung zu bezahlen.
Dazu meint aber das Landessozialgericht Essen am 22. Juni 2007 (Az.: L 1 B 7/07 AS ER 22.06.2007 rechtskräftig):
„ … die Übernahme dieser Kosten“ ist „im Rahmen des Bezuges von Arbeitslosengeld II nicht möglich, denn der in der Regelleistung nach § 20 SGB II … unter anderem enthaltene Anteil für die Gesundheitspflege ist zu gering.“
Sie seien zu tragen auf der Grundlage des „Auffangparagrafen“ 73 des SGB XII („Hilfe in sonstigen Lebenslagen“). Denn: „Eine Privilegierung der Empfänger von Sozialhilfeleistungen ist insoweit nicht zu rechtfertigen. … Dies gelte um so mehr angesichts der besonderen Bedeutung des grundgesetzlich gewährleisteten Rechts auf körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG). … Eine atypische Bedarfslage sei anzunehmen, wenn medizinisch notwendige Medikamente und Hautpflegeprodukte von der Krankenkasse nicht übernommen werden und deren Kosten nicht aus der Regelleistung angespart werden können.“
Das Landessozialgericht nimmt dabei Bezug auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 7. November 2006 (Az.: B 7b AS 14/06 R).
Zu beantragen sind diese Leistungen beim zuständigen Sozialamt. Die ARGE bzw. das Jobcenter ist verpflichtet, einen solchen Antrag weiterzuleiten. Bei Ablehnung ist innerhalb von 4 Wochen Widerspruch einzulegen, bei weiterer Ablehnung sollte Klage eingereicht werden. Das ist für die Betroffenen kostenfrei.
Von dieser Rechtslage sollte umfassend Gebrauch gemacht werden, denn verschiedene Ärztevereinigungen (insb. die Kinder- und Jugendärzte) haben bereits Alarm geschlagen wegen der hierdurch bedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes Hartz IV-Abhängiger.
Preiswerte und sinnvolle Zusatzversicherungen (z.B. für Sehhilfen und Zahnbehandlungen) werden von der ARGE Bochum leider nicht als „nach Grund und Höhe angemessen“ angesehen bei der Berechnung von Freibeträgen für ggf. vorhandenes (Zusatz-) Einkommen. Hier will sie nur Versicherungen anerkennen, durch die sie selbst möglicherweise entlastet werden kann (nur Hausrat- und Haftpflichtversicherung).

Quellen:
LSG_NRW_22-6-07_§_73_SGB_XII_für_Krankheitskosten

BSG_7-11-06_atypische Bedarfslage_nach_SGB_XII

SZ_07-10-15_Hartz_IV_Kinderärzte_warnen:
Die gesundheitlichen Folgen der Armut