Im Januar 2024 war die Enttäuschung bei den Bochumer Initiativen groß, die Empörung auch. Im Rat sollten ‚Eckpunkte‘ für Bürgerbeteiligung verabschiedet werden – eigentlich doch ein Grund zur Freude?! Immerhin befasste sich der Rat endlich mit dem lang von der Zivilgesellschaft eingeforderten Thema. Doch Mitglieder aus elf Initiativen hatten im Vorfeld die Politiker*innen in einem gemeinsamen Brief gefragt: „Wie kann es ernsthaft einen Ratsbeschluss über Bürgerbeteiligung geben, ohne dass die Bürgerschaft beteiligt wurde?“
Was war geschehen?
2020 hatte das ‚Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung‘ Wahlprüfsteine zum Themenkomplex ‚Bürgerbeteiligung‘ an die Parteien geschickt und vor allem von SPD und Grünen durchweg zustimmende Antworten erhalten. Im Koalitionsvertrag hielt Rot-Grün fest:
Wir „werden einen verbindlichen Rahmen für den kontinuierlichen Dialog zwischen Verwaltung, Politik und Bürgerschaft schaffen. Wir wollen Leitlinien für die kommunale Bürgerbeteiligung entwickeln, in die sich bereits bestehende Formate wie Bürgerkonferenzen oder Akteurstreffen einfügen.
Mit einem „Akteursforum Stadtentwicklung“ wollen wir mehrfach im Jahr Dialog-
Veranstaltungen durchführen.“
Die Initiativen begrüßten die Ankündigung, blieben aber aus Erfahrung skeptisch und das leider zu Recht, denn nach der Wahl war dann alles doch anders.
Erst mal passierte – auch coronabedingt – ganz lange gar nichts. Dann aber eröffnete Thorsten Lumma im November 2022 der überraschten Öffentlichkeit auf einer Veranstaltung der ‚Freundinnen und Freunde des Hallenfreibads Höntrop‘, dass die Verwaltung nun in einen internen Diskussionsprozess einsteige, was sie unter Bürgerbeteiligung versteht.
Auf die besorgte Nachfrage aus der Zivilgesellschaft signalisierte die Politik, sie wolle die Diskussionsergebnisse erst mal abwarten und als Parteien keine eigenen Vorstellungen entwickeln.
180-Grad-Wende bei den Grünen
Das änderte sich im März 2023: da fassten die Grünen einen Klausurbeschluss, der im Kern ihre Absage an die in den Wahlprüfsteinen getroffenen Zusagen beinhaltete:
„Abstand nehmen wir von der Idee eines ständigen Bürgerforums, da dieses keine Legitimationsgrundlage hätte. Selbstverständlich sollen Bürger*innen an der Definition der Leitlinien beteiligt werden.“
Mal abgesehen davon, dass bis dahin, also 2 ½ Jahre lang, keinerlei Anstrengungen unternommen worden waren, in eine öffentliche Debatte über verbindliche Leitlinien für Bürgerbeteiligung in Bochum einzutreten, sind sich Partizipations-Expert*innen einig: der entscheidende Gradmesser für die Ernsthaftigkeit bei diesem Thema ist die Bildung eines dauerhaften, drittelparitätisch besetzten Gremiums, das Vorhaben und die geeignete Art der Beteiligung den Ausschüssen bzw. dem Rat vorschlägt. Genau so handhaben es Städte wie Bonn, Köln, Münster und zahlreiche weitere Kommunen in NRW, die bereits Leitlinien für Bürgerbeteiligung in ihren Räten verabschiedet haben. Sind die alle nicht legitimiert?
Rettungsversuch des Initiativenbündnisses
Zurück zur Ratssitzung am 1. Februar 2024: dort begründete Klimaaktivist Malte Möhring die Eingabe des Initiativenbündnisses gegen die Verabschiedung der ‚Eckpunkte‘. Er hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für gemeinsam von Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft erarbeitete Leitlinien und zum Thema Legitimität:
„Sie sagen, Engagement in Parteien sei der Weg mitzureden. Was aber bieten Sie all den Menschen an, die in dieser Stadt aktiv sind, für die Parteien keine zeitgemäße Option der politischen Betätigung sind? Ist deren Tun Engagement zweiter Klasse und kann vernachlässigt werden? Wir fordern Sie also auf, ernsthaft und gemeinsam über einen guten Bochumer Weg in Sachen Bürgerbeteiligung zu sprechen, gemeinsam Vorstellungen zu entwickeln und dann verbindliche Leitlinien im Rat zu verabschieden!“
Doch er konnte die Ratsmehrheit nicht davon abhalten, die von der Verwaltung vorlegten, völlig unverbindlichen ‚Eckpunkte‘ für Bürgerbeteiligung zu verabschieden. Verabschiedet hatte sich Rot-Grün damit gleichzeitig aber auch von ihren im Wahlkampf 2020 gegebenen Versprechen!
Die Gesamtübersicht über die Antworten auf die Wahlprüfsteine 2020 findet ihr unter https://stadtentwicklung.net/wps/
Den Koalitionsvertrag von Rot-Grün für die Legislatur 2020-2025 findet ihr unter https://www.spd-bochum.de/wp-content/uploads/sites/300/2020/11/Bochum_-_Perspektiven_von_hier_-_KOA-Vertrag_SPD_und_GRUENE.pdf
Eine kritische Betrachtung der durch die Verwaltung vorgelegten ‚Eckpunkte‘ kommt in einer weiteren Folge von ‚Das war Rot-Grün‘.
Das ‚Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung‘ https://stadtentwicklung.net/ und das Initiativenbündnis ‚Bochum gemeinsam‘ https://bochum-gemeinsam.de/ setzen sich weiter für die Festschreibung echter Bürgerbeteiligung in Bochum ein – wir halten das für einen unverzichtbaren Bestandteil lebendiger Demokratie.
Die Serie „Das war Rot-Grün in Bochum“ wird hier dokumentiert