Auf der Demonstration gegen Gewalt an FLINTA* in der letzten Woche thematisierte das Netzwerk „Stadt für alle“ den herrschenden Sicherheitsdiskurs in unserer Gesellschaft. Wir dokumentieren den Redebeitrag: ≫Vor kurzem wollte Friedrich Merz uns glauben machen, dass es ein Problem in unserem Stadtbild gebe. Die vermeintliche Gefahr gehe vor allem von Personen aus, die nicht arbeiten würden und keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten. Es gälte, Frauen bzw. „die Töchter dieses Landes“, zu schützen. Dieses rassistische Narrativ schadet nicht nur migrantisch gelesene Menschen, sondern instrumentalisiert gleichzeitig die sogenannten „Töchter dieses Landes“. Doch wir von Stadt für Alle wollen den Begriff „Stadtbild“ nicht für eine rassistische und sexistische Debatte hergeben. Stattdessen fragen wir uns: Wem gehört eigentlich die Stadt?
Wer macht uns eigentlich Angst? Und vor allem – Wer plant die Stadt, in der wir uns angeblich nicht sicher fühlen können? Warum dürfen immer noch vor allem cis-männliche Personen wie Friedrich Merz bestimmen, wie unsere Lebensräume aussehen sollen?
Denn von den gleichen Leuten wird uns von klein auf eingeredet, dass wir leise sein sollen, uns zurückhalten müssen und möglichst wenig Raum einnehmen dürfen. Uns wird vermittelt, dass vor allem die Nacht gefährlich sei – für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre und trans Personen. Dieses Narrativ wird oft – ob bewusst oder unbewusst – weitergegeben. Doch den Effekt dieser Angst spüren und erfahren in erster Linie nur wir FLINTA* – Personen.
Nichtsdestotrotz gibt es Orte, an denen wir FLINTA* uns – je nach Tages- oder Nachtzeit – unwohl oder unsicher fühlen. Orte wie etwa das Bermuda-Dreieck in Bochum sind jedoch in erster Linie von Männern geprägt, die Grenzen überschreiten oder gar nicht erst anerkennen. Männer, die unsere Räume vereinnahmen und uns das Gefühl nehmen, dort sicher zu sein. Pfiffe, Kommentare, aufdringliche Blicke oder sogar sexuelle Übergriffe sorgen dafür, dass Räume wie diese für viele von uns belastend oder bedrohlich werden.
Doch die Verantwortung dafür wird immer wieder uns zugeschoben: Wir sollen uns anpassen, aus dem Weg gehen, bestimmte Orte meiden, früher nach Hause gehen – kurz gesagt: drinnen bleiben. Als wäre unser Rückzug die einzige “Lösung”. Es reicht! Diese Verantwortung weisen wir entschieden zurück. Unsere Freiheit, unsere Mobilität und unser Recht auf öffentliche Räume stehen nicht zur Verhandlung. Wir wehren uns – gemeinsam. Wir nehmen uns unsere Räume und unsere Freiheit zurück, und wir lassen uns nicht an den Rand drängen!
Gleichzeitig wird das Sicherheitsempfinden bestimmter Gruppen immer wieder bewusst politisch instrumentalisiert. So hat im vergangenen Jahr die Bochumer CDU-Fraktion versucht, die Innenstadt Wattenscheids als neuen „Angstraum“ zu markieren – ohne jede faktische Grundlage. Die Polizei Bochum sah sich damals sogar gezwungen, dieser Legendenbildung öffentlich entgegenzutreten. Denn die polizeilichen Statistiken belegen diese Behauptungen schlicht nicht. Solche Zuschreibungen schaffen keine Sicherheit, sie schaffen Stigmatisierung. Sie reproduzieren negative Bilder von bestimmten Vierteln und verschleiern gleichzeitig, wo Gewalt tatsächlich passiert. Die Fakten sind klar: FLINTA* erleben häufiger Gewalt im privaten Raum, während Männer eher im öffentlichen Raum betroffen sind. Wer Angsträume erfindet, lenkt also nicht nur von den realen Problemen ab, sondern verhindert auch echte Lösungen.
Denn 85 Prozent aller Übergriffe, Vergewaltigungen, Morde und Femizide finden in Nahbeziehungen, also dem vermeintlich sicherem „drinnen“ statt. Doch nach einer Trennung oder vor den Weihnachtsbesuchen der Familie warnen wir unsere Freund*innen nicht davor, dass sie auf sich aufpassen müssen.
Auch medial ist diese sehr reale Gefahr nicht repräsentiert und schlecht verwertbar. Nachrichten stellen sensationsheischende Berichte zu gewalttätigen Verbrechen von „Fremden“ an FLINTA*s ins Zentrum der Öffentlichkeit. Der sogenannte “Fremde” ist gefährlich und wenn doch von Gewaltverbrechen durch Partner und Familienangehörigen berichtet wird, spielt schnell die „ethnische Zugehörigkeit“ die Hauptrolle im „Familiendrama“. Hier geben sich Rassismus und Sexismus die Hand.
Uns wird beigebracht: Die Gefahr lauert an jeder dunklen Ecke, sieh dich vor! So werden patriarchale Strukturen wie die Kleinfamilie und heterosexuelle Partnerschaften gestärkt. FLINTA*s scheinen nur hier sicher zu sein. Das sind Konstrukte und Erzählungen, denen wir nicht länger folgen werden. Die erlernte Angst erfüllt eine soziale Funktion und soll uns an unseren vermeintlichen Platz verweisen. Dieser Platz soll im privaten Raum sein, wo wir am besten der Reproduktionsarbeit nachgehen sollen: Kochen, Kinder ins Bett bringen, für Gemütlichkeit sorgen. Vor allem cis-Männer sind Begünstiger dieses Konstrukts, das uns in unseren alltäglichen Handlungen und Entscheidungen einschränkt. Die Philosophin Ann Cahill schreibt dazu: „Die Möglichkeit einer Vergewaltigung formt den Raum, in dem sie sich befindet.“
Wir begreifen die Stadt – auch nachts – als unseren Ort und lassen uns nicht verdrängen! Die Stadt gehört uns FLINTA* und die Stadt ist Migration! Diversität, Begegnung und Austausch verschiedener Menschen sind Dinge, die Städte wie Bochum prägen und zu einem lebenswerten Umfeld für Alle machen.
Gleichzeitig sind Städte und ihre öffentlichen Räume kein starres Gebilde – sie verändern sich. Und wir haben das Recht, diese Veränderung mitzugestalten. Die Stadt Bochum muss eine Infrastruktur schaffen, die unseren Bedürfnissen entspricht, die uns Sicherheit bietet und in der wir uns sicher fühlen können. Dazu gehört, dass es ausreichend öffentliche Verkehrsmittel gibt, die uns auch nachts ermöglichen, selbstbestimmt und ohne Angst unterwegs zu sein – egal ob in der Innenstadt, am Stadtrand oder im ländlichen Raum. Es braucht offene, Barriere arme Begegnungsorte, an denen wir zusammenkommen, uns austauschen und solidarisch miteinander sein können. Wir benötigen dringend ausreichend bezahlbaren und günstigen Wohnraum, damit Menschen in Notlagen sich schnell und einfach eine neue Wohnung suchen können. Die Stadt muss endlich feministisch werden!
In den kommenden Jahren verlieren viele zentrale Gebäude ihre bisherigen Funktionen – darunter das BVZ, das Gesundheitsamt und die Musikschule. Gerade solche Gebäude können zu sicheren Orten werden: für Kultur, für Beratung, für gemeinsames Organisieren, für Schutz- und Freiräume. Nutzen wir diese Chance!
Uns gehört die Stadt! Niemand darf in Angst alleine bleiben! Für mehr sichere Orte, ob zu Hause oder draußen!.≪