Heute vor 90 Jahren wurde Fritz Husemann im Konzentrationslager Esterwegen ermordet. Auf einer Gedenkveranstaltung der Bochumer SPD hat Dr. Wolfgang Jäger den populären Gewerkschaftsführer und SPD Reichstagsabgeordneten als „Ikone der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung“ gewürdigt. Jäger fragt aber auch: „Was hat vielleicht Husemann selber politisch falsch eingeschätzt, dass es soweit kommen konnte?“ Das Manuskript des Vortrags:
»“Mit tiefem Gefühl des Kummers und der Sorge und mit bitterem und starkem Haß gegen seine Feinde schreibe ich, um Sie davon zu informieren, daß unser deutscher Genosse Husemann brutal hingemordet worden ist. Bekannt als Vor-sitzender des Deutschen Bergarbeiterverbandes, als sozialistisches Mitglied des deutschen Reichstages und als ehemaliger Vorsitzender der Bergarbeiter-Internationale, war Genosse Husemann ein hervorragendes Mitglied unserer Bewegung.“
Mit diesen Worten beginnt der leidenschaftliche Nachruf der Bergarbeiter-Internationalen von 1935, der die Bergarbeitergewerkschafter in allen Mitgliedsländern, in Europa und Nord-Amerika, von der Ermordung ihres ehemaligen Vize-Präsi¬denten informierte.
Wer war Fritz Husemann? Am 19. September 1873 in Leopoldsthal im damaligen Fürstentum Lippe als unehelicher Sohn eines Steinmetzmeisters geboren, wuchs Friedrich Ernst Husemann unter der Obhut seiner Mutter in ärmlichen Verhältnissen auf. Schon als Volksschüler mußte er für ein geringes Entgelt auf dem nahegelegenen Gutshof arbeiten. Mit 14 Jahren begann er eine Lehre als Steinmetz im Steinbruch, wechselte dann nach kurzer Zeit in eine Maurerlehre über, die er nur unter großen Entbehrungen bis zur Gesellenprüfung zu Ende brachte. Überlange Arbeitszeiten von 14 Stunden pro Tag und die schamlose Ausnutzung seiner Arbeitskraft durch den Maurermeister, der den jungen Husemann mehr als Handlanger denn als Lehrling beschäftigte, waren Husemanns erste prägende Erfahrungen in der Arbeitswelt. Anfänglich ein aktiver Anhänger der liberalen Fortschrittspartei, trat Husemann 1891 in Bielefeld, dem Zentrum der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Ostwestfalen, der SPD bei. Nach dem Ende der Maurerlehre war er dorthin gewandert und hatte sofort Anschluß an freigewerkschaftliche und sozialdemokratische Kreise gefunden. Noch vor seinem Parteieintritt war er Mitglied der Maurergewerkschaft geworden.
Während der Bielefelder Zeit 1891/92 hat Husemann seine bleibende politische Prägung erfahren. Gefördert von erfahrenen Sozialdemokraten, konnte Husemann seine Kenntnisse des Sozialismus vertiefen und auch seine Scheu überwinden, vor Versammlungen zu sprechen. Schon nach kurzer Zeit wurde ihm das Amt eines Vertrauensmannes der Maurer Bielefelds übertragen. Im Herbst 1892 mußte er Bielefeld verlassen, da kein Unternehmer mehr bereit war, dem aktiven Gewerkschafter Fritz Husemann Arbeit zu geben.
Husemann wanderte ins Ruhrgebiet, wo er beim Bau der Bergarbeiterkolonie in Dortmund-Kaiserau Arbeit fand. Während der Wintermonate arbeitete er als Zechenmaurer und legte schließlich als Bergmann auf der Zeche Borussia in Oespel an, einer Gemeinde im westlichen Teil des Landkreises Dortmund, in der schon vor der Zeit des Sozialistengesetzes mehrheitlich sozialdemokratisch gewählt worden war. Nun wurde Husemann 1893 Mitglied des Alten Bergarbeiterverbandes, zu einer Zeit, als der Verband in einer tiefen Krise steckte. Er übernahm zahlreiche ehrenamtliche Funktionen in Partei und Gewerkschaft und gehörte zur besonders aktiven und erfolgreichen Gruppe um den gestandenen Sozialdemokraten Heinrich Hansmann, die im Alten Verband als „die Hansmänner“ bekannt war. Es dürfte keine Überraschung für Husemann gewesen sein, als er am 1. Juli 1902 in der Bochumer Hauptverwaltung angestellt wurde und nun zu den elf „Verbandsbeamten“ gehörte.
Husemann reihte sich damit ein in die Generation der sog. „Gewerkschaftsbeamten“, die die deutsche Gewerkschaftsbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zur größten der Welt machen sollten, mit einer weitverzweigten und mächtigen Organisation. Der besondere Stolz waren die eigenen Gewerkschaftshäuser. 1906 hatte der Alte Verband endlich ein eigenes Verwaltungsgebäude, die Sachsenburg an der alten Wiemelhauser Straße in Bochum, benannt nach dem damaligen Vorsitzenden Hermann Sachse. Dem Aufbau und dem Ausbau der Gewerkschaftsorganisation wurde alles untergeordnet, sie war das ein und alles. Historiker sollten dies später als Organisationsfetischismus bezeichnen.
Husemann übernahm die Aufgaben, die ihm zugeteilt wurden. Er begann als Packer in der Expedition der „Bergarbeiter-Zeitung“ und arbeitete in der Mitgliederregistratur. Schon ein Jahr später wählten ihn die Delegierten auf der Zwickauer Generalversammlung in den Vorstand des Alten Verbandes und 1911 in Bochum zum Zweiten Vorsitzenden.
Während des Ersten Weltkrieges, Husemann hatte schon 1915 an der Ostfront kämpfen müssen, scheute er in den Verhandlungen mit dem Generalkommando kein persönliches Risiko, um seine Kameraden auf den Zechen zu schützen. Als nach einigen Teilstreiks 1916 diejenigen Bergarbeiter zum Fronteinsatz eingezogen werden sollten, die eine Beseitigung der bestehenden Mißstände verlangt hatten, erhob Husemann vehementen Protest. Daraufhin wurde auch er eingezogen. Erst dem Vorsitzenden Hermann Sachse gelang es nach wiederholten Bemühungen, Husemanns endgültige Entlassung aus dem Militärdienst zu erreichen.
1919 wurde Husemann der erste Vorsitzende des Verbandes der Bergarbeiter Deutschlands. Als führender Repräsentant der freigewerkschaftlichen Bergarbeiterbewegung erhielt Husemann sichere Plätze auf den Kandidatenlisten der Sozialdemokratie: Von 1919 bis 1924 gehörte Husemann dem Preußischen Landtag und, als Nachfolger von Otto Hue, 1924 bis 1933 dem Deutschen Reichstag an.
Fritz Husemann hatte einen beispiellosen Aufstieg gemacht, aber niemals den Kontakt zu seinen Kameraden, den „einfachen“ Mitgliedern des Verbandes, verloren. Seine Bescheidenheit und Aufrichtigkeit sowie seine ausgleichende und vermittelnde Rolle innerhalb des Alten Verbandes begründeten seine große Popularität, die weit über den Kreis der Mitglieder hinausging. Aber der große Denker und Stratege, wie der viel zu früh schon 1922 verstorbene Otto Hue, war er nicht. Husemann war die gute Seele des Alten Verbandes, der Kärrner, der den Verband zusammenhielt und der für jeden Kumpel ein offenes Ohr hatte.
Die Zerschlagung des Alten Verbandes durch die Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 traf Husemann zutiefst. Er mußte erleben, daß sein Lebenswerk zerstört wurde, und er wollte es nicht wahrhaben, daß auch er, der sich doch immer gesetzestreu verhalten hatte, in ständiger Lebensgefahr war. Trotz des dringenden Rates seiner Kameraden ging Husemann nicht ins Exil. Dazu bewogen ihn nicht etwa Zweifel, ob er den Herausforderungen der Emigration gewachsen sein werde, sondern die Sorge um die ehemaligen Verbandsangestellten und „die Kumpel“, die er „nicht allein lassen“ wollte. Dabei hätte Husemann nicht wie viele Emigranten einen Schritt in eine ungewisse Zukunft tun müssen.
Husemanns Sohn Emil war schon vor Jahren unter dem Druck der Arbeitslosigkeit in die USA ausgewandert und hatte sich dort eine Existenz aufgebaut. Der amerikanische Bergarbeiterverband, zu dem Husemann seit seiner Studienreise 1925 sehr gute Beziehungen besaß, hatte sogar schon das Reisegeld für eine Überfahrt in die Neue Welt angeboten. Husemann blieb trotzdem – auch als er von der Gestapo wiederholt verhaftet, dann wieder freigelassen worden war. Er hielt Kontakt zu seinen Kameraden vom Alten Verband, reiste sogar in verschiedene Bergreviere und bemühte sich, besonders notleidende ehemalige Verbandsangestellte durch Gelder aus der Bezirkskasse des Alten Verbandes im Saargebiet oder durch eigens durchgeführte Sammlungen zu unterstützen.
Husemann, dessen letzte Verhaftung schon länger zurücklag, wähnte sich schon in dem Glauben, von der Gestapo nicht mehr beobachtet zu werden, als er am 18. März 1935 erneut verhaftet und am 12. April in das Konzentrationslager Esterwegen eingeliefert wurde. Durch Gewehrschüsse der Wachmannschaft schwer verletzt, starb er hier am 15. April. „Auf der Flucht erschossen“, das war die lapidare, verlogene Erklärung der Nationalsozialisten, die schon so oft wiederholt worden war und von niemandem geglaubt wurde.
Die Einäscherungsfeier in Dortmund und die Beisetzung der Urne in Bochum Ende April 1935 waren beeindruckende Kundgebungen für die große Popularität Fritz Husemanns und den Zusammenhalt der freigewerkschaftlichen, sozialdemokratischen Bergarbeiterbewegung. In Windeseile hatte sich die Nachricht von der Ermordung Husemanns herumgesprochen, und zur Urnenbeisetzung in Bochum, die in aller Stille stattfinden sollte, kamen rund 1 000 Menschen. Die Gestapo verstand wohl, daß diese Trauerfeier demonstrativen Charakter hatte und nahm umgehend sechs Teilnehmer in „Schutzhaft“.
„Genosse Husemann, die Arbeiter grüßen Deine tapfere Seele. Der Geist Deiner Arbeit wird weiterleben“, so schließt der schon anfangs zitierte Nachruf der Bergarbeiter-Internationalen.
Das ist die Heldengeschichte eines tragischen Helden, der für seine politische Überzeugung sein Leben geben musste. Fritz Husemann ist zurecht eine Ikone der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, in der sich die Unversöhnlichkeit von Sozialdemokratie und Nazismus manifestiert. Er ist eine Lichtgestalt, mit der man sich identifizieren kann. Aber kann uns das genügen? Müssen wir nicht vielmehr danach fragen, wie es möglich werden konnte, dass der Vorsitzende einer Gewerkschaft, ein Reichstagsabgeordneter ermordet wurde? Was hat vielleicht Husemann selber politisch falsch eingeschätzt, dass es soweit kommen konnte. Dabei soll es im folgenden nicht um den integeren Menschen Fritz Husemann gehen, sondern um den führenden Repräsentanten der größten deutschen Bergarbeitergewerkschaft.
1919 war Fritz Husemann Erster Vorsitzender des Alten Verbandes geworden, nachdem Hermann Sachse, der sich gewerkschaftspolitisch und menschlich völlig unmöglich gemacht hatte, aus den Verbandsdiensten ausgeschieden war. Sachse hatte seinen oppositionellen Gewerkschaftskollegen Heinrich Teuber auf dem Essener Hauptbahnhof einer Militärpatrouille ausgeliefert, da Teuber als Vorsitzender des Zentralzechenrates für den Streik zur Durchsetzung der Sechsstundenschicht agiert hatte, was vom Staatskommissar Carl Severing verboten worden war. Sachse versuchte sein Handeln noch in der BAZ mit folgenden Worten zu verteidigen: „Hätte Teuber, der früher Angestellter unseres Verbandes war, sich nicht gar so verrrannt, hätte er den Arbeitern nicht zu geradezu verbrecherischer Sabotage geraten, so wäre es mir nicht eingefallen, zu seiner Verhaftung beizutragen. Um noch größeres Unheil von den Bergleuten und der Allgemeinheit fernzuhalten, ist es besser, solche Menschen sitzen in Schutzhaft, anstatt daß sie in weiteren Versammlungen verderbliches Unheil heraufbeschwören.“ (BAZ 3.5.1919) Heinrich Teuber war für die USPD Mitglied der Deutschen Nationalversammlung, wurde 1920 für die USPD in den Reichstag gewählt und kehrte wenige Jahre später über die KPD in die Bochumer SPD zurück.
Diese Episode muss deshalb erwähnt werden, weil sie die teils rücksichtslose Haltung des Alten Verbandes gegenüber der linken Opposition zum Ausdruck bringt. Diese Haltung verhinderte eine Annäherung zwischen freigewerkschaftlichen und linkssozialistisch-kommunistischen Gruppen, wobei letztere einen erheblichen Einfluss in der Bergarbeiterschaft hatten. Aber nicht zuletzt verhinderte auch die abenteuerliche Sozialfaschismuspolitik der Kommunisten, die ab 1929 in den Sozialdemokraten in ihren Hauptfeind sahen, eine Annäherung.
Husemann hat an dieser Politik der Abgrenzung keine Abstriche gemacht. In der Bergarbeiterschaft standen sich die politischen Lager feindlich gegenüber, von Einheitsgewerkschaft mochte in den 1920er Jahren niemand reden.
Die Bergarbeitergewerkschaften waren nach dem Ersten Weltkrieg einen neuen Weg gegangen. Mit der Anerkennung der Gewerkschaften als Tarifpartner war nach Jahrzehnten der Herr-im-Hause-Politik der Unternehmer ein Durchbruch zur Anerkennung der Gewerkschaften als den berufenen Vertretern der Arbeiterschaft gelungen. Im Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 2018 war die Gleichberechtigung für alle Branchen festgeschrieben worden. Vor allem die Bergarbeitergewerkschaften feierten es als großen Erfolg, waren doch die Bergbauunternehmer, die Barone von Kohle und Stahl, die unversöhnlichsten Gewerkschaftsgegner gewesen. Damals entstand der Flächentarifvertrag, wie er heute noch in Deutschland allerdings mit stark abnehmender Tendenz praktiziert wird.
Die Bergleute forderten nach den harten Kriegsjahren nicht nur höhere Löhne und eine kürzere Arbeitszeit, sondern es ging ihnen vor allem um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Im Bergbau herrschte ein sprichwörtlicher Grubenmilitarismus, ein rigides Befehlssystem. Die Bergassessoren und Steiger praktizierten eine menschenunwürdige Behandlung der Bergarbeiter, denen eine regelrechte Verachtung entgegengebracht wurde. Die Forderung nach Sozialisierung machte in Bergarbeiterkreisen die Runde, aber nicht um zuvorderst die Bergbauunternehmer zu enteignen, sondern um den Grubenmilitarismus abzuschaffen. Es war den Bergarbeitern nicht genug, dass sich auf der Ebene der Verbände, zwischen Gewerkschaften und Unternehmensverband etwas veränderte, sondern sie wollten in den Betrieben, auf den Zechen eine menschenwürdige Behandlung.
Im Januar 1919 hatte der Essener Arbeiter- und Soldatenrat, der gemeinsam von MSPD, USPD und KPD getragen wurde, die Initiative ergriffen, um ein tiefgestaffeltes System der Mitbestimmung zu schaffen. Eine vierstufige Belegschaftsdemokratie sollte geschaffen und damit die Sozialisierung vorbereitet werden: Von den Steigerrevierräten als unterster Einheit über Zechenräte und Bergrevierräte bis hin zu einem Zentralzechenrat. Während sich die Steigerrevierräte ausschließlich aus Arbeitervertretern zusammensetzen sollten, waren ab der Ebene der Zechenräte auch Vertreter der sog. Beamten, der leitenden Angestellten, vorgesehen, die sich aber dem Votum der Revierräte ihrer Schachtanlage stellen mussten. Wie das weitere Wahlverfahren für die folgenden Ebenen aussehen sollte, blieb allerdings unklar.
Trotzdem: diese Belegschaftsdemokratie versprach, die Verhältnisse auf den Zechen verändern zu können. Die als sog. Essener Sozialisierungsbewegung in die Geschichte eingegangene Initiative war der verzweifelte Versuch, den Unmut der Bergarbeiter aufzufangen, da die Aufrechterhaltung der Kohleförderung für das geschlagene Deutschland von entscheidender Bedeutung war. Der Rat der Volksbeauftragten in Berlin, der jegliche Sonderentwicklung vermeiden wollte, aber schließlich auch der Bergarbeiterverband standen dieser Initiative skeptisch gegenüber, nicht zuletzt weil sie die gerade begonnene Zusammenarbeit mit den Unternehmern gefährdete. Das schließlich 1920 von der Nationalversammlung verabschiedete Betriebsrätegesetz blieb weit hinter den Erwartungen zurück und konnte den Klassenkampf in den Betrieben nicht einhegen.
Diese Betriebsferne des Bergarbeiterverbandes war ein allgemeines Merkmal der Gewerkschaften in der Weimarer Republik. Das 1928 vom ADGB verabschiedete Programm der Wirtschaftsdemokratie richtete sich auf die Fragen gesamtwirtschaftlicher Steuerung, Gemeinwirtschaft und Genossenschaftswesen ohne Perspektiven für die betriebliche Demokratie zu entwerfen. Dass der Bergarbeiterverband nur ein Viertel der Bergarbeiter organisieren konnte, kann somit nicht überraschen. Viele Bergleute waren nicht für die demokratische Republik zu gewinnen, da sie im Betrieb eine andere Welt erlebten. Dass die politische Demokratie im öffentlichen Raum und die Macht- und Herrschaftsverhältnisse im Arbeitsalltag etwas mit einander zu tun haben, sagt schon der gesunde Menschenverstand.
Wie bedeutsam wirtschaftliche Staatsbürgerrechte zur Stärkung und Festigung der Demokratie sind, ist jüngst in der 2020 veröffentlichten Ausgabe der Leipziger Autoritarismus Studien aufgezeigt worden. (Kiess/Schmidt 2020; S. 119-147) Mit dem Instrument der repräsentativen Befragung sind Arbeitnehmer*innen hinsichtlich ihrer Erfahrungen von Partizipation und Kooperation und ihrer politischen Orientierung untersucht worden, wobei eine positive Korrelation von gelingender Mitbestimmung und Demokratieakzeptanz festgestellt wurde. Die Forscher resümieren: „Industrial citizenship – im Sinne von positiven (Alltags-) Erfahrungen der Beteiligung, Solidarität und Anerkennung in der Arbeitswelt – erweist sich als wichtiger protektiver Faktor für Demokratie“. (Ebd. S. 142) Oder kurz formuliert: politische und betriebliche Demokratie sind zwei Seiten einer Medaille, betriebliche Demokratie ist ein wirksamer Schutz gegen Rechtspopulismus im öffentlichen Raum.
Die Gestaltungsmöglichkeiten der Bergarbeitergewerkschaften in der Weimarer Republik waren begrenzt. Selbst den Tarifvertrag wollte die Schwerindustrie wieder zerstören, was ihnen dann auch mit Hilfe der Nazis gelang.
Fritz Husemann gehörte zu den Gewerkschaftsführern, die glaubten, die Nazis mit legalen Mitteln stoppen zu können: „An unserer Gesetzlichkeit sollen unsere Gegner zugrunde gehen,“ so Fritz Husemann, als der Nazi-Terror schon begonnen hatte. (Wagner, S. 93) Als Hitler am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt wurde, verzichteten die Gewerkschaften darauf, zum öffentlichen Protest aufzurufen. Selbst als die Demokratie mit der Außerkraftsetzung der Grundrechte und der Abschaffung der Gewaltenteilung zerstört war, glaubten sie, dass die Nazi-Diktatur weiter auf die Mitwirkung der Gewerkschaften angewiesen sei. Und dafür lösten sie sogar ihre Bande zur SPD und erklärten in der Zeitung des Bergarbeiterverbandes den Wahlsieg der Nazis vom März 1933 als Aufbruch zum Sozialismus. Um jeden Preis sollten die in jahrzehntelanger Arbeit aufgebauten Gewerkschaftsorganisationen gerettet werden. Hier begegnet uns wieder der schon erwähnte „Organisationsfetischismus“. Und schließlich riefen die Gewerkschaften sogar zur Teilnahme an den Maifeiern auf, die von Hitler als Tag der nationalen Arbeit gekapert worden war. Es half alles nichts, am 2. Mai wurden die Gewerkschaften von den Nazis gleichgeschaltet.
Der SPD-Vorsitzende Otto Wels hatte auf einer Reichskonferenz der SPD am 26. April 1933 vor diesem abschüssigen Weg gewarnt. Er sagte:
„Eine geistige Unterwerfung und Anpassung darf es für uns nicht geben. Wir dürfen nicht tun, als wäre der Unterschied zwischen den Nationalsozialisten und uns gar nicht so groß! Oh nein, er ist ungeheuer groß. Wir Sozialdemokraten stehen zu den Ideen des Rechtsstaates, zu der staatsbürgerlichen Freiheit und Gleichberechtigung, zu den Ideen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit.“
Und weiter Otto Wels: „Unsere Organisationen, die politischen wie die gewerkschaftlichen, sind entstanden aus einer gemeinsamen großen Idee. Es kann nicht sein, dass erst eine Organisation da ist und dann eine Idee dazu kommt, sondern erst muss die Idee da sein, und wenn diese Idee stark und zukunftsträchtig ist, dann bildet sich aus ihr die Organisation. Es wäre ein hoffnungsloses Unternehmen, wenn man das Leben der Organisation durch Preisgabe der Idee zu erkaufen versucht. Ist die Idee preisgegeben, dann stirbt auch die Organisation. Aber wird die Organisation durch Kräfte von außen zerschlagen, dann bleibt immer noch in Millionen Köpfen und Herzen die Idee, und sie sichert auch die Wiedergeburt der Organisation.“
Dass diese Worte von Otto Wels auch in Richtung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes gesprochen worden waren, dürfte allen Teilnehmern der Reichskonferenz bewusst gewesen sein. Fritz Husemann hat als Mitglied des ADGB Bundesvorstandes die Politik der Anpassung, ja der Unterwerfung unter die Nazis im April 1933, mitgemacht. Noch zuvor am 23. März 1933 hatte der Sozialdemokrat Husemann jedoch im Reichstag mit „Nein!“ gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt. Diese klare Haltung hatte ihm den tödlichen Hass der Nazis eingetragen. Husemanns Biografie ist eine Mahnung an uns Nachgeborene, aber auch eine Aufforderung, die heutigen Herausforderungen besser zu verstehen, im gemeinsamen Kampf gegen Rechts für mehr Demokratie in Wirtschaft und Gesellschaft.«