Sonntag 27.08.23, 16:57 Uhr
Bianca Schmolze, Menschenrechtsreferentin der MFH Bochum. auf der Funa am 26. 8. in Krefeld

Funa gegen Hartmut Hopp und die Verbrechen der Colonia Dignidad


Dieses Jahr jährt sich der Militärputsch in Chile unter Augusto Pinochet zum 50. Mal. Ein Regime, das für zahllose Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Tausende wurden unrechtmäßig verhaftet, gefoltert, verschwunden gelassen und getötet. Ein Ort, an dem das Pinochet Regime Oppositionelle gefangen hielt, gefoltert und getötet hat, ist die Colonia Dignidad von Paul Schäfer – eine deutsche Sekte unter einem pädophilen, tyrannischen Leiter, der seine Anhänger*innen und ihre Kinder systematisch gequält hat. Viele verbinden mit der Colonia Dignidad systematische Misshandlung von Kindern, die Trennung und Isolierung der Familienangehörigen, ein Leben in absoluter Abhängigkeit und Kontrolle. Eine Flucht aus der weit abgelegenen Colonia war so gut wie unmöglich. Viele verglichen die Kolonie mit einem Konzentrationslager.

Doch die Colonia Dignidad war mehr als nur eine verbrecherische Sekte – sie verfügte über Einfluss und Macht und hatte hervorragende Kontakte zur Militärdiktatur von Augusto Pinochet, insbesondere mit ihrem Geheimdienst DINA, der dafür berüchtigt war, Menschen verschwinden zu lassen, zu foltern und zu töten. Ja, die Colonia Dignidad fungierte auch als geheimes Folterlager für die Pinochet-Diktatur. Aussagen von Kolonisten existieren, die beschreiben wie chilenische Oppositionelle in der Kolonie gefangen gehalten, ermordet und ihre Spuren mit Phosphor oder Napalm vernichtet wurden. um keine Spuren zu hinterlassen.

Was hat das alles mit Krefeld zu tun und warum stehen wir heute hier?

Überlebende in Chile, die seit Jahrzehnten dafür kämpfen, die Verbrechen der Pinochet Diktatur gesellschaftlich und vor Gericht aufzuarbeiten, haben eine Aktionsform ins Leben gerufen: die Funa. Um gegen die Straffreiheit von Tätern zu demonstrieren, ziehen sie an den Wohnort und machen damit dem sozialen Umfeld klar, dass sie einen Nachbarn haben, der Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hat und der aber unbehelligt in ihrem Viertel lebt. Wir tragen diese Aktionsform heute hier nach Krefeld, denn in diesem Viertel, in dem wir uns gerade befinden, wohnt ein Mann, der in der Colonia Dignidad eine zentrale Rolle spielte: Hartmut Hopp.

Krefeld wurde eine Art Dreh- und Angelpunkt der späten Geschichte der Sekte.

Nach der Festnahme von Sektenchef Paul Schäfer 2005 in Argentinien und nach dessen Tod 2010 in der Haft in Chile sind viele „Kolonisten” nach Deutschland zurück und hierher gezogen. Gelockt hat sie die „Freie Volksmission”, die ebenfalls gleich um die Ecke ist.

Hartmut Hopp hatte in der Colonia Dignidad über Jahre hinweg eine leitende Rolle, auch wenn er dies seit jeher bestritten hat. Er leitete seit 1978 die Klinik der Kolonie und pflegte enge Kontakte zum Geheimdienst DINA, Militär, Polizei, Justizministerium – kurz zu den zentralen Institutionen der Diktatur. Insbesondere der Geheimdienst hat regelmäßig die Kolonie besucht. Natürlich wurden auch enge Kontakte zur deutschen Botschaft und Politik gepflegt, insbesondere zu Politiker*innen der CSU – welch Überraschung…

Die rechtlichen Schritte die gegen Hopp und die Colonia Dignidad versucht wurden sind kompliziert und sehr komplex, doch ich versuche die wichtigsten Elemente darzustellen:

Gegen Hartmut Hopp wurde in den vergangenen Jahrzehnten ermittelt wegen Freiheitsverletzung und Körperverletzung aufgrund der systematischen Vergabe von Psychopharmaka, Elektroschocks, Schlägen und anderen Misshandlungen an Bewohner*innen der Kolonie, um diese fügsam zu machen.

Aufgrund seiner Kontakte zum Apparat der chilenischen Militärdiktatur und auch wegen seiner Nähe zu Paul Schäfer galt Hopp als die rechte Hand Schäfers.

lm Jahr 2011 wurde Hartmut Hopp in Chile rechtskräftig wegen Beihilfe zu Missbrauch und Vergewaltigung an 26 chilenischen Kindern zu 5 Jahren Haft verurteilt. ln Chile liefen zudem weitere Verfahren gegen Hopp wegen Verschwindenlassens und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Hopp floh vor der chilenischen Justiz und kehrte im Mai 2011 zurück nach Deutschland, woraufhin die chilenische Justiz internationalen Haftbefehl erließ.

Da Deutschland keine Personen ausliefert, hat Chile den Antrag gestellt, die Strafe Hopps in Deutschland zu vollstrecken. ln letzter Instanz lehnte dies die deutsche Justiz jedoch ab. Es folgten Strafanzeigen durch Menschenrechtsanwält*innen, die Überlebende vertraten gegen Hopp und andere u.a wegen Mord und Beihilfe zu sexuellem Missbrauch und gefährlicher Körperverletzung. Doch die Ermittlungen wurden 2019 eingestellt. Dabei waren keine eigenen Ermittlungen begonnen worden, die Aussagen von Überlebenden wurden so bewertet, dass sie keine Beweiskraft gehabt hätten und es wurden gerichtliche Erkenntnisse aus Chile ignoriert. Statt der Einleitung eines Strukturverfahrens entschied die Justiz nicht gegen Hopp und die Colonia Dignidad vorzugehen – und das obwohl deutsche Staatsbürger auf chilenischem Boden massive Menschenrechtsverbrechen begangen haben.

In einer Vielzahl von Fällen gab es in Deutschland zwar Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Colonia Dignidad, doch bis heute ist in keinem Fall Anklage erhoben worden. Für die Überlebenden und Angehörigen von Opfern – aber auch für uns – ist dies nicht zu ertragen. Viele Überlebende haben den Mut aufgebracht über die Verbrechen, die an ihnen begangen wurden, zu sprechen in der Hoffnung ihre Aussage führe dazu, dass die Täter verfolgt und bestraft werden. Stattdessen wurden ihre Aussagen immer wieder bezweifelt, während

den Ausführungen der Beschuldigten mehr Glauben geschenkt wurde. Erneut mussten die Überlebenden und Angehörigen Unrecht erfahren – dieses Mal von der deutschen Justiz.

Selbst der Antifolterausschuss der UN erklärte 2019, dass Deutschland die Straflosigkeit der Folterer der Colonia Dignidad fördere, statt sie zu bekämpfen.

An dieser Stelle zollen wir all den Überlebenden Respekt, die mit ihrer Zeugenaussage versucht haben, Hopp und seine Komplizen vor Gericht zu bringen. Doch dieser lange Kampf für Gerechtigkeit ist nicht zu Ende, denn solange die Verantwortlichen für Verbrechen der Colonia Dignidad straffrei sind, wird es Funa geben, ob in Chile oder hier in Deutschland.

Wir fordern Weiterhin, dass die Verbrechen der Colonia Dignidad gerichtlich aufgearbeitet werden, auch hier in Deutschland. Wir fordern ein Strukturverfahren, welches sämtliche Verbrechen der Colonia behandelt und sämtliche Erkenntnisse aus chilenischen Verfahren einbezieht. Wir wollen, dass die Aussagen der Überlebenden anerkannt und ihre Forderung nach Gerechtigkeit endlich gehört wird.

Wenn die Verbrechen der Colonia Dignidad nicht vor deutschen Gerichten

aufgearbeitet werden können, so fordern wir zumindest von der Politik alles daran zu setzen, dass den Überlebenden und Angehörigen von

Verschwundenen Gerechtigkeit widerfährt, sei es durch:

– die Einrichtung einer Historiker- oder Wahrheitskommission für die Aufklärung der Verbrechen der Colonia Dignidad,

– die Errichtung einer Gedenk- und Dokumentationsstätte für die Opfer der Colonia Dignidad,

– die Auflösung der Villa Baviera, ihrer Nachfolgeorganisation, die heute Tourismus in der Kolonie betreibt,

– die individuelle und integrale Entschädigung der Überlebenden und Angehörigen der Opfer der Colonia Dignidad,

– jegliche Unterstützung bei weiteren Ermittlungen in Bezug auf die Suche von Massengräbern und Leichen von Verschwundenen.

Außerdem fordern wir all jene auf, die vor der chilenischen Justiz hier nach Deutschland flohen und all jene, die in Colonia Dignidad lebten:
SPRECHT ENDLICH UND PACKT AUS, WAS IHR WISST ÜBER POLITISCHE GEFANGENE, VERSCHWUNDENE, GETÖTETE.

Herr Hopp, Sie verfügen als rechte Hand von Paul Schäfer über Schlüsselinformationen, die dazu beitragen könnten, die Verbrechen der Colonia Dignidad aufzuklären. Sie haben die Überlebenden und Angehörigen der Opfer lange genug gequält. REDEN SIE ENDLICH und brechen Sie ihr Schweigen!

Das jahrzehntelange Unrecht muss ein Ende haben. Legt Zeugnis ab, denn in Chile gehen die Ermittlungen und Prozesse weiter.

Wahrheit und Gerechtigkeit für die Opfer der Colonia Dignidad, für die Überlebenden und Angehörigen!

Basta de impunidad! – Schluss mit der Straflosigkeit!