Samstag 28.01.23, 14:09 Uhr
Rede von Dr. Irmtrud Wojak am 27. 1. 2023 bei der Präsentation der Gedenk-Skulptur von Dorothee Schäfer an den antifaschistischen Widerstand

Was macht Menschen stark und befähigt sie, gegen Unrecht und die Verletzung von Menschenrechten ihre Stimme zu erheben?


Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Dorothee Schäfer,

herzlich willkommen und vor allem vielen Dank, dass das Fritz Bauer Forum, für das ich hier heute spreche, bei der erstmaligen Präsentation des Bochumer Denkmals zum Widerstand dabei sein darf.
Grund zur Freude ist für mich zunächst das Denkmal selbst. Denn lassen Sie mich dies vorwegsagen: Es gibt – abgesehen vom Museum über den deutschen Widerstand im Berliner Bendlerblock, wo die Widerstandskämpfer des Attentats vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurden und vielleicht noch das Museum „Stille Helden“, ebenfalls in Berlin –, bei uns nur wenige und noch weniger bekannte Denkmale für den vielfältigen antifaschistischen Widerstand. Noch weniger Erinnerungszeichen wurden für den zivilen Ungehorsam gesetzt. Dieser wurde aber, und zwar von sehr unterschiedlichen Gruppen und vor allem von Einzelpersonen, in nicht zu geringschätzendem Maße geleistet.

Abgesehen vom Widerstandskampf der Märtyrerinnen und Märtyrer, die wie die Geschwister Scholl, Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder auch Georg Elser, vielleicht auch noch Dietrich Bonhoeffer durch zahlreiche Bücher und Filme bekannt wurden, ist dieser Widerstandskampf in den Hintergrund gerückt. Oder vielerorts sogar ganz in Vergessenheit geraten? In Schulen und Universitäten kommt der Widerstand jedenfalls – von den Ausnahmen abgesehen – kaum noch vor und in den Gedenkstätten an die Opfer des Nationalsozialismus wird sich nur selten mit diesem Thema auseinandergesetzt. Fritz Bauer beispielsweise wird in Schulbüchern nicht genannt.

Woran liegt das eigentlich und fehlt damit in unserer Erinnerungskultur nicht ein wichtiger Personenkreis, dessen Handeln für Jugendliche, aber letztendlich natürlich für uns alle vorbildlich ist oder sein sollte? Geht damit nicht ein zentraler Aspekt verloren, nämlich die Frage, die sich an uns alle richtet:

Was macht Menschen stark und befähigt sie, gegen Unrecht und die Verletzung von Menschenrechten ihre Stimme zu erheben – die eigenen und die von anderen Menschen? Und dies auch dann, wenn Risiken damit verbunden sind und womöglich die eigene Existenz gefährdet ist.

Ich komme damit zum zweiten Grund, warum das von Dorothee Schäfer gestaltete Denkmal mir wichtig ist.

Es geht mir um die Frage – die auch bei der Vorbereitung der heutigen Veranstaltung aufkam –, ob der 27. Januar, der offizielle Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, an dem 1945 das KZ Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde, ein Anlass sein kann, um an den Widerstand gegen den Faschismus zu erinnern. Mit anderen Worten: Darf die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus mit der an die Widerstandskämpfer gegen die Nazis in Verbindung gebracht, sozusagen vermischt werden? Denn das steckt doch wohl hinter dieser Frage.

Mich machte dies stutzig. Zum wiederholten Male begegnete mir, dass Opfer und Widerstand im Rahmen der Erinnerungskultur scheinbar in zwei voneinander getrennten Welten existieren. Das ist merkwürdig, denn die meisten Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gleich welcher Partei oder Organisation wurden ebenfalls Opfer des NS-Regimes. Wenn die Nationalsozialisten sie aufspürten und verhafteten, machten sie kurzen Prozess und die Gefangenen wurden deportiert und ermordet. Es erging ihnen nicht anders als den verfolgten Jüdinnen und Juden, den Sinti*zze und Romn*ja, Homosexuellen, sogenannten Asozialen, Behinderten und allen anderen von den Nazis verfolgten.

Und hatten diejenigen, die Opfer der rassistischen Vernichtungspolitik der Nazis wurden, sich etwa nicht gewehrt und Widerstand geleistet? Sowohl vor und nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 als auch nach 1945 im Kampf gegen die Straflosigkeit der NS-Verbrechen und für eine Wiedergutmachung (soweit diese bei dem Ausmaß der Verbrechen überhaupt möglich war).

Wir haben dies bei der gestrigen Veranstaltung mit Achim Doerfer zum Thema gemacht. Der Rechtsanwalt hat über den jüdischen Widerstand geforscht und über die Racheaktionen der Jüdinnen und Juden, die nach 1945 zurückkehrten, um NS-Täterinnen und Täter (er schätzt circa 600 an der Zahl) zu liquidieren. Ihre Geschichte ist in Deutschland nahezu unbekannt, wie überhaupt die jüdische Widerstandsgeschichte, die während der NS-Herrschaft und speziell in den Ghettos, Lagern und Gefängnissen ein Akt der Selbstbehauptung war. Im Hinblick auf die gerne behauptete erfolgreiche deutsch-jüdische Versöhnungsgeschichte bedeutet dies, dass Achim Doerfer sie als ein Märchen entlarvt. Aufgrund des Versagens der deutschen Politik und Justiz nach 1945 konnte es eine Versöhnung in dieser Verallgemeinerung nicht geben. Die aus vielen Gründen gescheiterte Entnazifizierung machte sie von Anfang an unmöglich.

Warum und mit welchem Interesse wird dieses Märchen dann aber immer weitererzählt? Es erinnert schließlich auch an das Märchen der deutsch-jüdischen Symbiose als Resultat der jüdischen Emanzipationsgeschichte in Deutschland, die es ohne Zweifel gab, während die Symbiose allerdings nur einseitig war und von der Mehrheitsgesellschaft nicht geteilt wurde.

Ich denke, so werden Opfer zu Tätern gemacht: indem eine Geschichte in die Welt gesetzt wird, die von der eigenen, oft als zu schmerzhaft empfundenen Verantwortung ablenkt. Dadurch wird verdrängt, was in Wirklichkeit zu tun ist und – gerade aufgrund der Erfahrung während des nationalsozialistischen Regimes und als Lehre aus den NS-Prozessen – unsere stets und ständige Aufgabe ist:

Laut und vernehmbar Nein zu sagen, wenn Unrecht geschieht und die Menschenwürde verletzt wird.

Lassen Sie mich damit zu meinem dritten und letzten Punkt kommen, warum dieses Denkmal „Widerstand in Bochum“ aktuell so wichtig ist. Auch warum es mich gerade aus Sicht des in Bochum entstehenden Fritz Bauer Forums freut und die Gestaltung, die Dorothee Schäfer für dieses Denkmal gefunden hat, mit unserem Anliegen korrespondiert.

Fritz Bauer sagte einmal:

„Der große Widerstand an den bösen Tagen des barbarischen Unrechts setzt Kampf gegen das kleine Unrecht im Alltag voraus.“

Das Denkmal von Dorothee Schäfer greift diesen Gedanken auf. Es ist nicht abgeschlossen, kein fertiges Monument und nichts wird vorschnell auf einen Sockel gehoben. Einmal an seinen Platz gestellt, dient es nicht allein dem Rückblick auf eine verbrecherische Vergangenheit, die vielleicht in Vergessenheit zu geraten droht. Es ist nicht nur eine Ermahnung.

Dieses Denkmal ist vielmehr als ein lebendiges Werk konzipiert, an dessen Wirksamkeit, Ergänzung und Resonanz wir von jetzt an mitarbeiten können. Und ich finde, wir sollten dies auch tun – und zwar nicht nur einmal im Jahr an einem extra dafür vorgesehenen Gedenktag.

Die Idee dieses Widerstandsdenkmals ist, dass es genauso weiterwachsen kann, wie der Aufwand unseres Mitgefühls, der erforderlich ist, wenn die Menschenrechte verletzt werden.

Seitens des Fritz Bauer Forums kann ich sagen, dass wir daran gerne mitarbeiten. Wir tragen gern mit dazu bei, dass dieses seltene Widerstandsdenkmal Ausgangpunkt für Fragen an unsere Geschichte und an uns selbst wird. Ich kann mir viele Möglichkeiten dazu vorstellen.

  • Es kann Ausgangspunkt für Stadtrundgänge zum Thema Widerstand sein, ich habe darüber schon mit Mitgliedern der VVN Bochum gesprochen.
  • Es kann auch Ausgangspunkt für Werkstätten und Seminare sein, die sich mit aktuellen Fragen an unsere Erinnerungskultur auseinandersetzen. Beispielsweise, was eigentlich ziviler Widerstand ist und bedeutet. Haben wir den Widerstand der Opfer und Überlebenden, der nicht erst im Jahr der Machtübergabe an die Nazis 1933 einsetzte, sonst längst vorher, wirklich genau genug erforscht und publiziert? Welche Schlüsse ziehen wir daraus für zivilen Ungehorsam in der heutigen Welt, wenn dieser kriminalisiert wird? Wahrlich ein aktuelles Thema.
  • Es könnte auch eine „Werkstatt Ungehorsam“ entstehen, wo Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Religion und Fähigkeit ihre diversen und oft mutigen Geschichten kennenlernen und auf diese Weise Dialog auf Augenhöhe eingeübt wird. Das Fritz Bauer Forum hat sich mit seiner Interaktiven Fritz Bauer Bibliothek von diesen mutigen Geschichten aus aller Welt bereits inspirieren lassen. Sie ist ein aktiver Beitrag, den Widerstand von Opfern und Überlebenden durch die eigene Stimme zu bestärken.

Um es in einem Satz zu sagen:

Ich kann mir vorstellen und wir werden gerne daran mitwirken, dass das Bochumer Widerstandsdenkmal so lebendig ist, wie es für die Opposition und den Widerstand „Im Kampf um des Menschen Rechte“ – und ich zitiere Fritz Bauer – in einer Demokratie erforderlich ist.