Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
oder wie die kommunalen Arbeitgeber sagen würden:
Liebe Spitzenverdiener*innen im Öffentlichen Dienst!
ein tolles Bild und ein starkes Zeichen, dass ihr heute hier in Bochum – dem Wetters zum Trotz ~ abgebt: ich freue mich, heute bei Euch in Bochum zu sein! Wir streiken heute für Entlastung, für eine Aufwertung der Berufe in der sozialen Arbeit. Und wir streiken dafür, dass endlich wirksame Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in der gesamten Branche ergriffen werden!
Wir, und das müssen wir angesichts der Berichterstattung über den angeblichen „Kita Strelk” in der Presse nochmal deutlich sagen:
– das sind die Sozialarbeiter*innen in den vielfältigen Bereichen der Kommunalverwaltung und von freien Trägern u.a. im Jugendamt, in der Schulsozialarbeit, in der offenen Jugendarbeit,
– das sind die Beschäftigten in der Behindertenhilfe,
– das sind die Beschäftigten in der Offenen Ganztagsschule
– und das sind die Beschäftigten in den Kitas.
Wir stehen hier heute nach gut 2 Jahren Corona-Pandemie und müssen feststellen: Die Beschäftigten sind am Limit.
– Seit Jahresbeginn sind Stand 1. April knapp 49.000 Mitarbeitende in Kitas nach den Angaben des Ministeriums in NRW an Corona erkrankt.
Ja, früher oder später wird wohl jede*r von uns ein- oder mehrfach an Corona erkranken und keiner von uns weiß genau, wie das „endemisch” werden des Corona-Virus genau verläuft und was das für jede Einzelne von uns selbst und für unsere Familien bedeutet.
Aber immer noch sterben jeden Tag 200-300 Menschen in Deutschland im Zusammenhang mit Corona.
Es ist ein Skandal, dass von der Politik solche Zahlen letztlich beiläufig zur Kenntnis genommen werden.
Es ist ein Skandal, dass viele Möglichkeiten von der Landesregierung schlicht verschlafen wurden oder durch die jeweiligen Träger nicht oder nur zögerlich ergriffen wurden. Kleinere Gruppen, Luftfilter, ich will gar nicht mehr über die Masken-Bastelsets reden.
Seit 2 Jahren sorgt ihr dafür, dass „der Laden” während der Corona-Pandemie am Laufen bleibt. Dass Pfleger*innen, Feuerwehr, Polizei und andere Berufsgruppen weiterarbeiten können und konnten und ihre Kinder in den Kitas gut betreut werden. Irgendwann sind Kitas am Limit!
Für die Beschäftigten in der Sozialarbeit hat die Pandemie ebenfalls enormen Druck aufgebaut. Welche sich zuspitzenden Situationen in den Familien bekommt man nicht mit, weil man zu wenig Zeit hat, sich intensiv um alle „Fälle“ zu kümmern. Was ist, wenn Kindswohlgefährdung nicht rechtzeitig gesehen wird, wenn Situationen falsch eingeschätzt werden. Ständiger Druck und Angst in eine solche Situation zu kommen. In bestimmten Bereichen steht man immer mit einem Bein im Knast; denn, wenn etwas passiert, dann wird zunächst bei den Beschäftigten geschaut.
Die Folgen der Pandemie in den Familien für Kinder und Jugendliche lassen einen riesigen Berg an Arbeit erahnen, der da auf die Sozialarbeiter*innen zukommt. Noch nie brauchte es so viel Unterstützung in den Familien wie jetzt.
Und in der Arbeit mit behinderten Menschen ist es ebenfalls schwierig, die Maskenpflicht oder Abstand halten zu vermitteln, je nach Art der Behinderung ist das nur bedingt möglich.
All das ist der Alltag von Beschäftigten in der sozialen Arbeit und all das wurde so viel schlimmer in der Pandemie. Und was machen die Kommunalen Arbeitgeber?
Besser gesagt ihr Verband die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände? „Hervorragende Arbeitsbedingungen Dank TVÖD“ ist das Logo unterschrieben und Streiks seien nicht angemessen heißt es in ihren Pressemitteilungen.
„Die Erzieherinnen und Erzieher sind damit (gemeint ist ein Durchschnittsgehalt von angeblich 3800€ bzw. ein Verdienst von 4300€ nach langjähriger Beschäftigung) übrigens bereits heute die Spitzenverdiener im Vergleich zu anderen Berufsgruppen mit vergleichbarer Ausbildung im öffentlichen Dienst. Hier von einer schlechten Bezahlung und unangemessenen Arbeitsbedingungen zu sprechen, ist daher nicht nachvollziehbar.” Es ist ein Skandal wie die Kommunalen Arbeitgeber wider besseres Wissen versuchen den einen Eindruck zu erwecken, der schlicht vielfach nicht der Realität entspricht. Und am Verhandlungstisch? gibt’s da denn konkrete Entwicklungen?
Ich muss Euch leider enttäuschen! Statt zum Beispiel einen Vorschlag zu machen, wie die Soziale Arbeit aufgewertet werden kann, haben die Arbeitgeber einen Vorschlag vorgelegt, der letztlich keine Tätigkeit aufwertet und überhaupt keine Probleme löst, im Gegenteil nur neue Probleme schafft:
Kindheitspädagoglnnen und Erziehungswissenschaftlerlnnen, mit entsprechendem Bachelorabschluss, sollen künftig die Voraussetzungen in der Person erfüllen, um als Sozialarbeiterlnnen/Sozialpädagoglnnen eingruppiert werden zu können. Das klingt jetzt vielleicht nach Fachchinesisch, aber dieser Vorstoß macht deutlich, dass die Arbeitgeber das Eingruppierungsrecht und das Thema Stellenbesetzung oder das Fachkräftegebot des SGB Vlll nicht wirklich verstanden haben: Schon heute könnte der Arbeitgeber einem Beschäftigten eine Aufgabe in der Sozialen Arbeit übertragen (im Rahmen des Fachkräftegebots und das passiert auch real). – das Eingruppierungsrecht regelt lediglich die Frage, wie (also nach welcher Entgeltgruppe) der- oder diejenige Beschäftigte dann bezahlt wird bzw. bezahlt werden kann.
Der Vorstoß macht aber auch deutlich, dass die Arbeitgeber den Fachkräftemangel mit dauerhafter Dequalifizierung und letztlich auf dem Rücken der Beschäftigten lösen wollen:
Die genannten Studiengänge Kindheitspädagogik oder Erziehungswissenschaften sind für sich genommen nicht ausreichend, um die fachlichen Anforderungen in allen Bereichen der kommunalen Sozialen Arbeit erfüllen zu können. Hier sind zusätzliche Qualifizierungen – im Betrieb oder außerhalb – erforderlich. Ansonsten droht unmittelbar Überforderung und Ausfälle, oder Abwanderung und weitere Überlastung bei den verbliebenen Kolleginnen und Kollegen.
Beim Thema Aufwertung in den Kitas heißt es bei der VKA: „Fakt ist, dass es keine Verbesserungen mit der Gießkanne im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst geben kann. Wir müssen bewerten, wo sich die Anforderungen an Tätigkeiten verändert haben.”
Liebe Kommunale Arbeitgeber, – würde ich gerne entgegnen – man merkt, dass der Gruppenausschuss Verwaltung bei Euch federführend für die Verhandlungen ist. Ich möchte den VerhandlerInnen dort nicht irgendeine Kompetenz absprechen, aber von der Sozialen Arbeit, von den Kitas, vom offenen Ganztag oder der Behindertenhilfe scheinen sie überwiegend keine Ahnung zu haben. Beim Thema Entlastung ist dann aber endgültig Schluss mit Lustig: In den Verhandlungen haben die Arbeitgeber ernsthaft „Massagen in der Mittagspause” in den Raum gestellt.
(Welche Mittagspause?! War die erste Reaktion in der Verhandlungskommission) –
Der blanke Hohn!
Aktuell fehlen bereits 173.000 Fachkräfte im Bereich der Kitas. Das deutsche Jugendinstitut hat ermittelt, dass bis zum Jahr 2025 1,2 Mio Kita-Plätze fehlen und zusätzlich 300.000 Fachkräfte fehlen. Fast die Hälfte der Beschäftigten in der Behindertenhilfe überlegt, den Job zu verlassen, auch in den Kitas ist die Zahl derjenigen, die sich überlegen, den Job zu wechseln, gestiegen. Der Rechtsanspruch auf den offenen Ganztag ab 2026 wird sein Übriges tun. Die Situation Kolleginnen und Kollegen in der Sozialen Arbeit insgesamt spitzt sich dramatisch zu:
° Arbeit am Limit stellt sich als Dauerproblem dar,
° Der wachsende Fachkräftemangel wird sichtbar,
– es gibt mehr und mehr Kitas, die Gruppen oder Angebote schließen müssen, weil Planstellen nicht mehr besetzt werden können,
– Stellen im Jugendamt sind über einen längeren Zeitraum unbesetzt.
° Anspruch an (pädagogische) Arbeit und Wirklichkeit klaffen total auseinander, weil Personal fehlt.
° Fehlende Wertschätzung führt zu Frust und der Überlegung aus dem Job auszusteigen.
Wir wollen und wir müssen das ändern Kolleg*innen und Kollegen!
Aber wir wissen:
Um die bestehenden Probleme zu lösen, gibt es mehrere Stellschrauben. Denn die Rahmenbedingungen in den Kitas werden durch das Kinderbildungsgesetz, genannt Kibiz, in NRW festgelegt. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf.
Aber: Wir haben in diesem Jahr Landtagswahlen. Wir haben unsere Vorstellung als ver.di, die wir mit unseren aktiven Kolleg*innen gemeinsam entwickelt haben, an die Parteien geschickt und werden jede Veranstaltung mit Landtagskandidat*innen nutzen müssen, um diese Forderungen einzubringen. Wir fordern von der Politik
– Einen angemessenen Betreuungsschlüssel (U3 = 1:3 und Ü3 = 1:7,5) im Gesetz festzulegen und in der Praxis tatsächlich zu ermöglichen
– Verbindliche Regelungen zum Umgang mit Personalmangel bzw. Unterbesetzung mit den Trägern zu treffen und die Beschäftigten damit nicht weiter alleine zu lassen
– Mittelbare pädagogische Arbeit (das heißt auch Vor- und Nachbereitungszeiten) für pädagogische Fachkräfte ausbauen und verbindlich auch im Gesetz festzulegen
– Zusätzliche Professionen in Kita dauerhaft finanzieren (z.B. Hauswirtschaft, Verwaltung, Alltagshelferlnnen usw
– Kontingente für Praxisanleitung, die nicht auf den Fachkraft-Kind-Schlüssel angerechnet werden sowie Recht auf Qualifizierung zur Praxisanleitung, Recht auf Weiterbildung für Kinderpfleger*in zur/zum Erzieher*in, Regelungen zur Praxisintegrierten Ausbildung zur/zum Kinderpfleger*in
– Ausbildung ausbauen, verbessern und grundsätzlich vergüten
Für den offenen Ganztag ist die Situation noch prekärer: lm Offenen Ganztag müssen dringend (pädagogische) Mindeststandards durch die Landesregierung festgelegt werden. ver.di hat mit dem Vorschlag für ein „Gutes OGS- Gesetz” einen Entwurf zur Diskussion gestellt, der die Mindestbedingungen schaffen würde und aus dem sich auch die notwendigen Finanzierungsbedarfe ergeben. Ein OGS- Gesetz muss, entsprechend unter anderem
– verbindlich festgelegte Fachkraft-Kind-Relationen
– verbindliche Mindestpersonalbemessung
– Verfügungszeiten für Vor- und Nachbereitung
– Zeiten für Teambesprechung/ Konzeptionstage
– Fort- und Weiterbildungsangebote regeln.
Am 15. Mai 2022 ist Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Nutzt die Gelegenheit über diese Forderungen mit Euren Landtagsabgeordneten oder Landtagskandidatlnnen zu sprechen. Aber denkt dran; im Wahlkampf gibt es oft und gerne warme Worte und nach der Wahl wird Kassensturz gemacht. Daher werden wir auch nach der Wahl einen langen Atem brauchen, die vielen Probleme zu lösen. Aber wenn wir es nicht immer wieder einfordern, wird es keiner machen!
Am 16. und 17. Mai ist der dritte Verhandlungstermin mit den kommunalen Arbeitgebern. Und klar ist: Wir wollen einen guten Tarifvertrag. Die Haltung der Arbeitgeber habe ich eben schon aufgegriffen, man kann verkürzt sagen: Sie meinen, die Arbeitsbedingungen sind gut, Kinderpflegerlnnen und Erzieherinnen sind gut bezahlt, Stichwort Spitzenverdienerlnnen
es gibt ein bisschen was bei der Ausbildung zu tun
und ggf. können wir für Sozialarbeiter*innen etwas tun. Bei Entlastung sind die Arbeitgeber Blank! Ein guter Tarifvertrag – und das wisst ihr auch – braucht am Ende nicht nur unsere guten Positionen, sondern zwei Unterschriften, die von Arbeitgebern und von ver.di. Tarifverträge sind also immer Kompromisse. Damit wir viele unserer Forderungen durchsetzen können, brauchen wir jetzt die Unterstützung Aller. Und wir müssen Druck machen auf die Arbeitgeber! –
Vor Ort in jeder Kommune!
Auch wenn es wegen der Pandemie, der hohen Krankenstände vielleicht manchmal schwer fällt… jetzt schlägt die Stunde für euch. Jetzt brauchen wir jede Kollegin, jeden Kollegen zur Unterstützung der Kolleg*innen in der Tarifkommission die für euch verhandeln. Denn wenn wir mit Argumenten am Verhandlungstisch nicht weiterkommen, hat man als Arbeitnehmer*innen in diesem Land das Mittel der Streiks.
Wir müssen es auch nutzen. Ich verrate jetzt kein Geheimnis – Wir werden nach den Osterferien und vor der dritten Verhandlungsrunde Mitte Mai noch einmal nachlegen mit kleinen Streiks, mit Streiks vor den Rathäusern oder auch mit größeren Streiktagen – Bring beim nächsten Mal deine KolIeg*in mit. Tarifergebnisse waren schon immer Ausdruck der Stärke insbesondere auf unserer Seite des Verhandlungstisches. Die Arbeitgeber müssen merken, dass die Beschäftigten hinter den Forderungen stehen. Nur so bekommen wir Bewegung am Verhandlungstisch hin. Mehr Aufwertung braucht Mehr von euch bei den Streiks und Aktionen. Lasst uns als Bürger*innen von NRW – bei der Landtagswahl am 15. Mai- gemeinsam dafür sorgen, dass wir die Politik des amtierenden Familienministers nicht noch länger ertragen müssen. Und lasst uns gemeinsam für Bessere Arbeitsbedingungen, für mehr Fachkräfte und für Aufwertung kämpfen. Mehr gute Regelungen im Tarifvertrag braucht mehr von euch!