Freitag 03.09.21, 08:23 Uhr

Regierungsfähigkeit setzt Bekenntnis zur NATO voraus? – Bekenntnis wozu?


von Dr. Ralf Feldmann

Nach dem Afghanistan-Desaster verlangen Olaf Scholz und Annalena Baerbock unbeirrt, die Linke müsse „Regierungsfähigkeit“ durch ein Bekenntnis zur NATO beweisen. Kniefällig erhöhen sie die NATO, so wie sie ist, zur unantastbaren Säulenheiligen deutscher Politik. Aus ihrem Bekenntnisweihrauch heraus müssen sie konkreter werden: Wozu bekennen sie sich selbst, wenn sie auf die NATO setzen?

Zu Demokratie, Frieden, Herrschaft des Rechts? So steht es – auf geduldigem Papier – in der Präambel des Natovertrages. Zu den Menschenrechten? Diktatorische, autoritäre Regime waren in der NATO stets willkommen: das lange diktatorisch regierte Portugal ebenso wie die Folterobristen in Griechenland. Gegenwärtig ist der Menschenrechtsfeind Erdogan ein wertvoller Verbündeter, der innerstaatlich Oppositionelle unterdrückt und einsperren lässt, völkerrechtswidrig in sein Nachbarland einmarschiert und gleichzeitig seinen NATO-Partner Griechenland wegen Erdgases im Mittelmeer militärisch bedroht. Denken Scholz und Baerbock in der „Wertegemeinschaft demokratischer Staaten“ an Kaczynskis Polen oder Orbans Ungarn, wenn sie zur Regierungsfähigkeit ein Bekenntnis zur Nato verlangen?

Wollen sie weiterhin weltweite NATO-Kriege zur Durchsetzung eigener, vor allem ökonomischer Interessen? Out of area und weit entfernt von den ursprünglichen Pflichten im Verteidigungsbündnis? Wie 1999 in Jugoslawien: völkerrechtswidrig gegen die UN-Charta, ohne UN-Mandat aus eigener Kriegsermächtigung – rotgrüne Bomben auf Belgrad.

Bekennen sie sich zum Beweis von Regierungsfähigkeit vasallentreu zur Führungsmacht USA, die 2003 den Irak mit einem verheerenden Krieg dauerhaft zerstörte – bis heute? In einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, zu dem die USA mit dreister Lüge NATO-Verbündete in eine „Koalition der Willigen“ presste, während sie von anderen wie dem rotgrün regierten Deutschland logistische Unterstützung verlangte und erhielt.

Fühlen sich Scholz und Baerbock von einer Foltervormacht gut geleitet und beschützt, die in Guantanamo und Abu Ghuraib schlimmste Menschenrechtsverbrechen, Folter, Vergewaltigung, Mord nicht nur zuließ, sondern auch aus der Regierung anordnete und elementare Menschenrechte außer Kraft setzte – in Guantanamo bis heute? Das befeuert islamistischen Terror.

Sind sie dankbar dafür, dass die Vormacht ihnen 2% des Bruttosozialprodukts fürs Militär abverlangt, weil sie damit Milliarden für Auf- und Hochrüstung leichter als Bündnistreue erklären können?

Ist für sie nur regierungsfähig, wer sich weiter zur nuklearen Erstschlagstrategie der NATO bekennt, zur nuklearen Teilhabe, zu den Atombomben in Büchel mit 13facher Hiroshimasprengkraft, für die jetzt neue Bomber unverzichtbar sein sollen? Zwingt das Bekenntnis zur NATO, den Atomwaffenverbotsvertrag abzulehnen, obwohl doch der Internationale Gerichtshof, das Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, bereits 1996 entschieden hat, dass der Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht verstößt?

Annalena Baerbock und Olaf Scholz müssen Antworten auf diese Fragen geben, wenn sie über – die eigene – Regierungsfähigkeit nachdenken. Baerbock setzt über ihre Außen- und Militärpolitik oft die Überschrift „Wir dürfen uns nicht wegducken!“ – Sprache des Boxrings aus einer Partei, die einst pazifistisch begann: gewaltbereit. „Bereit:“ steht auf den Plakaten der Grünen. Zu allem?

Wer nach Afghanistan militärische Konfliktlösung weltweit nicht in Frage stellt, sondern ein Bekenntnis zur NATO und zu einem militärisch starken selbständigen Europa fordert, dabei bereit ist, Milliarden und Abermilliarden in neuer Hochrüstung zu vergeuden, erweist sich selbst als Friedens- und Sicherheitsrisiko.

Die NATO ist nicht das Ende der Geschichte. Warum kein anderes Bekenntnis zu einer Fortentwicklung des Militärbündnisses zu einer Organisation friedlicher Nachbarschaft: zu gemeinsamer kollektiver Sicherheit mit den Nachbarn ohne militärische Bedrohung – Frieden durch Annäherung, Offenheit und Abrüstung? Und zur Vitalisierung und Stärkung der Vereinten Nationen zu einem wirksameren System für weltweiten Frieden in einer globalisierten Welt? Warum nicht zuallererst ein Bekenntnis zu Friedensfähigkeit als Haupttugend der Regierungsfähigkeit?

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