Liebe Freundinnen und Freunde,
ich freue mich, dass ich einmal zu einem anderen Anlass in Bochum bin, als Arminia Bielefeld bei einem Auswärtsspiel zum Vfl Bochum zu begleiten.
Anlass der Demonstrationen sind die Planungen der Landesregierung für ein NRW Versammlungsgesetz. Worum es der Landesregierung bei diesem Versammlungsgesetz geht, kann man der Begründung des Gesetzentwurfes entnehmen. Dort tauchen immer wieder Worte wie Hambacher Forst, Ende Gelände, Antifa Demonstration auf.
Der Entwurf des Versammlungsgesetzes ist offenbar die Bilanz der Landesregierung der Proteste, die es in den letzten Jahren im Land gegeben hat und die für die Zukunft erwartet werden. Die Auseinandersetzung um den Hambacher Forst waren ja laut Angaben der Landesregierung der bislang größte Polizeieinsatz des Landes. Die Landesregierung will mit ihrem Versammlungsgesetz die Handlungsmöglichkeiten der Polizei im Umgang mit außerparlamentarischen Protesten deutlich ausweiten und gleichzeitig Menschen, die demonstrieren wollen, das demonstrieren schwerer machen.
Innenminister Reul hat im Landtag erklärt, eine angebliche Bevorzugung der Versammlungsfreiheit in Folge der Brokdorf Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1985 müsse auf auf den Prüfstand gestellt werden. Er will offenbar die Grenzen des polizeilichen Erlaubten neu bestimmen und dabei auch die Grenzen des verfassungsrechtlich Erlaubten austesten. Deshalb geht dieses Versammlungsgesetz alle an und nicht nur diejenigen, die im Gesetzentwurf offenbar als Feindbilder der Polizei gewürdigt werden, wie die Aktivistinnen von EndeGelände, Antifa-Demonstrantinnen und andere Aktivisten.
Was die Änderung des Versammlungsgesetzes bedeutet, kann man feststellen, wenn man sich etwa folgenden Fall anschaut:
Nach einer Fridays for Future Demonstration wollen zwei Freundinnen, die bei der Demonstration mit einem Transparent dabei waren etwas weiter protestieren und überlegen sich zwei Tage später zum Gebäude der örtlichen Stadtwerke zu ziehen, um dort dafür einzutreten, dass diese künftig 100% Ökostrom verkaufen. Beide stellen sich also auf den Bürgersteig vor dem Gebäude der Stadtwerke und enthüllen ihr Transparent, das sie schon bei ihrer Fridays für Future Demo dabei hatten.
Ein Streifenwagen der Polizei kommt vorbei und die Polizisten bemerken die beiden, ein Beamter steigt aus und erläutert den jungen Frauen, nennen wir sie Anna und Marie, dass ihre Versammlung nunmehr nach § 5 des neuen Versammlungsgesetzes unbedingt eine Leiterin benötige. Die Mädchen gucken sich verdutzt an und fragen sich, wieso sie für ihre 2-Personen-Veranstaltung nun wirklich einen Leiter benötigen. Aber der Polizist besteht darauf und erklärt, wenn sie noch keine Leiterin bestimmt hätten, dann müssten sie das jetzt tun. Darauf erklärt sich dann Marie, die Mutigere von beiden, bereit, als Leiterin aufzutreten. Der Polizist notiert sich ihre Personalien und fragt, wann denn die Veranstaltung beendet sein sollte. Sie müsse sie dann förmlich auflösen. Marie nickt und erklärt, länger als eine halbe Stunde wollten sie bei dieser sengenden Hitze nicht mehr demonstrieren. Der Beamte wünscht viel Glück, steigt in den Wagen und der Wache fertigt er als erstes eine Strafanzeige an, denn Marie hat sich als Leiterin einer nicht angemeldeten Versammlung strafbar gemacht. Das neue Versammlungsgesetz sieht dafür eine Freiheitsstrafe von bis zum einem Jahr vor und so bekommt Marie demnächst einen Brief von der Polizei, in dem sie zur Vernehmung vorgeladen wird.
Eine Versammlung liegt nach dem neuem Versammlungsgesetz bereits dann vor, wenn zwei Personen öffentlich für ihre politische Meinung eintreten und wer eine nicht angemeldete Versammlung leitet, der begeht eine Straftat.
An dem Beispiel kann man also erkennen, wohin es führt, wenn die bürokratischen Hürden, die die Landesregierung hier mit dem Versammlungsgesetz entfaltet Wirklichkeit werden. Und aus dem Beispiel folgt der einfache anwaltliche Rat: es ist keine gute Idee, bei einer nicht angemeldeten Versammlung als deren Leiter aufzutreten. Eine solche Versammlung hat besser keinen Leiter.
Die polizeilichen Handlungsmöglichkeiten werden auch mit der Neuregelung der Zulässigkeit von Videoaufnahmen von Versammlungen erweitert. Bisher waren Videoaufnahmen einer Versammlung, wie die Kollegin am Anfang der Kundgebung berichtete, nur unter ganz eingeschränkten Voraussetzungen möglich. Videoaufnahmen und Videoaufzeichnungen durften von einer Versammlung nur dann gemacht werden, wenn eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestand, wenn es Randale bei der Demo gibt und gefilmt dürfen auch nur diejenigen, die mit dieser Randale etwas zu tun haben und nicht etwa die gesamte Versammlung. Diese Beschränkung von Videoaufnahmen hatte die FDP in den 80er Jahren der CDU abgehandelt, als sie das Vermummungsverbot geschluckt hat. Natürlich wollte die Polizei immer wieder filmen, auch wenn es nicht erlaubt war. Und so kam es immer wieder vor, dass die Polizei, wenn sie dann doch gefilmt hat, vor Gericht den Kürzeren gezogen hat.
Jetzt sollen Übersichtsaufnahmen von Versammlungen gestattet werden, wenn das wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung für die Leitung des Polizeieinsatzes erforderlich ist. War denn in der Vergangenheit der Polizei die Begleitung von Großdemonstrationen nicht möglich? Das war ganz offensichtlich nicht so. Gemeint ist offenbar, dass die Aufnahmen dann zulässig sind, wenn sie den Polizeieinsatz erleichtern. Deshalb haben wir es hier mit einem bloßem Scheintatbestand zu tun.
Weshalb sind Videoaufnahmen einer Versammlung ein Problem? Hier können wir auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückgreifen. Denn es war das Bundesverfassungsgericht, das in seinem Volkszählungsurteil entschieden hat, dass die Videobeobachtung einer Versammlung die Versammlungsfreiheit beeinträchtigen kann. Wer damit rechnen muss, dass die eigene Teilnahme an einer Versammlung behördlicherseits registriert wird und deshalb Nachteile befürchtet wird unter Umständen auf die Teilnahme an einer Versammlung verzichten. So hat es das Bundesverfassungsgericht ausgeführt und damit zum Ausdruck gebracht, dass man durchaus Anlass haben kann, polizeiliche Registrierungswut und Datensammlung zu misstrauen.
Künftig muss man also immer damit rechnen, dass Videoaufnahmen von Versammlungen gemacht werden. Ob es sich dabei um Aufnahmen oder um Aufzeichnungen handelt, ob die Filme also gespeichert werden kann man als Außenstehender nicht erkennen. Die Wirkung auf die Versammlungsteilnehmerinnen und Teilnehmer hat die aufgepflanzte Kamera der Polizei in jedem Fall, denn es reicht ja aus, dass man mit der Erfassung der eigenen Person bei der Versammlung rechnen muss. Und das ist bereits dann der Fall, so hat es das Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden, dass wenn eine Kamera auf die Versammlungsteilnehmer gerichtet ist, völlig unabhängig davon, ob diese Kamera nun läuft oder nicht, ob sie aufzeichnet oder nicht.
Eine Videobeobachtung einer Versammlung ist also künftig nur noch dann untersagt, wenn diese Videoaufzeichnung ganz offensichtlich allein der Einschüchterung der Versammlungsteilnehmer dient und deshalb auch friedliche Miniversammlungen mit 50 Leuten mit einer Videokamera von der Polizei begleitet werden. Es ist klar, was hier gewollt ist: die Polizei soll mehr Macht haben und wer demonstriert soll eingeschüchtert werden.
Ein letztes Beispiel ist das jetzt eingeführte Störungsverbot. Bislang waren „Störungen“ einer Versammlung untersagt, wenn sie die Versammlung verhindern sollten. Der Gesetzentwurf der Landesregierung erweitert dies. Jetzt soll die Polizei schon einschreiten können, wenn jemand eine Versammlung behindert. Und jetzt stellt sich die spannende Frage: wann liegt nur eine kritische Haltung vor, und wann liegt eine Behinderung vor? Das Bundesverfassungsgericht hat einmal gesagt: „Der Schutz des Art. 8 GG endet jedoch dort, wo es nicht um die – wenn auch kritische – Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung geht.“ Offenbar soll die Freiheit jetzt früher enden. Und deshalb will die Landesregierung jetzt auch friedliche Versammlungen untersagen, die von der Rechtsprechung bislang gestattet wurden, etwa Bockadetrainings. Auch hier wird rechtliche Unklarheit geschaffen und der Handlungsspielraum der Polizei gegenüber Versammlungen ausgeweitet.
Was kann man dagegen tun? Ich komme auf das Beispiel von Anna und Marie am Anfang zurück. Als die Demonstrationen von Fridays for Future losgingen wurde ich von Journalisten gefragt, welche Konsequenzen drohen können, wenn Schülerinnen und Schüler einfach demonstrieren gehen, statt am Freitag zum Unterricht zu erscheinen. Da gibt’s tatsächlich Vorschriften, die allerhand Sanktionen vorsehen. Wir wissen wie es gekommen ist: weil Zehntausende an den Demos teilgenommen haben, ist gar nichts passiert. Und wie ist es zu der Brokdorf Demo gekommen, die zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geführt hat? Da sind 100 000 Menschen trotz eines über alle Medien bekannt gemachten Versammlungsverbot nach Brokdorf zum Demonstrieren gefahren. Ich habe es in einer damals erschienen Broschüre nachgelesen: um am Samstag gegen das an der Elbe geplante AKW demonstrieren zu können sind die Leute Freitagsabend angereist und haben für den Fall, dass die Polizei sie an der Fahrt hindern würde erklärt, dann eben nachts in der nächsten Stadt zu demonstrieren. Und weil es 100 000 Leute waren, haben sie es schließlich geschafft in Brokdorf zu demonstrieren. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Ihr heute so zahlreich gegen das neue Versammlungsgesetz demonstriert und deshalb wünsche ich Euch viel Erfolg.,