Montag 03.09.18, 16:29 Uhr
Die Festung Europa

Symbol tiefster Unmenschlichkeit


Das Bochumer Friedensplenum nahm am Samstag den Anti-Kriegstag, der an den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 erinnert, zum Anlass um den aktuellen Krieg der EU gegen MigrantInnen und ihre FluchthelferInnen zu thematisieren. Diejenigen Kräfte, die jetzt die Festung Europa mit militärischen Mitteln zur Flüchtlingsabwehr ausbauen und Tausende von Toten billigend in Kauf nehmen, haben vor drei Jahrzehnten Mauern und Stacheldraht als Symbol tiefster Unmenschlichkeit gebrandmarkt. Ulla Rothe (Foto) zitierte Passagen aus dem Buch „Die Suchenden“ von Péguy Takou Ndie. Das Buch ist im Mai 2018 von Afrique Europe Interact herausgegeben und in einem schonungslosen Stil geschrieben, eine scharfe Analyse der traumatisierenden Auswirkungen von Neokolonialismus, europäischem Grenzregime, deutschem Asylsystem und alltäglichem Rassismus. Näheres.
Ralf Feldmann (Foto) zitierte Herbert Grönemeyer, der vor einigen Tagen bei dem Festival in Jamel Position bezog. „Es kann nicht sein“, so Grönemeyer wörtlich, „dass man darüber debattiert, ob man Menschen, die in Lebensgefahr schweben, rettet. Das muss man sich mal vorstellen im Kopf, wo wir gelandet sind.“ Dass darüber überhaupt diskutiert werde, halte er für ein Verbrechen, und diejenigen, die die Seenotrettung in Frage stellen, gehörten vor Gericht. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ hatte die Journalistin Mariam Lau unter der Überschrift „Oder soll man es lassen“ ein Plädoyer gegen die Rettungsaktionen der NGOs  im Mittelmeer veröffentlicht. Der Beitrag von Ralf Feldmann im Wortlaut.
Melanie Maier (Foto) berichtete schließlich über den Stand der Vorbereitung einer Demonstration am 6. Oktober in Bochum unter dem Motto: „Seebrücke Bochum – Stoppt das Sterben im Mittelmeer und in der Wüste!“ Viel Zustimmung erhielt sie für konkrete Forderungen aus dem Entwurf für den Demonstrationsaufruf: »Aktuell übernimmt die Stadt Bochum für 1.000 Geflüchtete weniger Verantwortung, als es der Landesschlüssel für NRW eigentlich vorsieht, weil die zentrale Erstaufnahme von Geflüchteten für NRW in Bochum eingerichtet worden ist. Wir fordern diese 1.000 Plätze für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen, die aus Seenot gerettet worden sind.
Ankerzentren für die zentrale Unterbringung von Flüchtlingen lehnen wir entschieden ab. Geflüchtete sollen während ihrer Anerkennungsverfahren dezentral in den Städten untergebracht werden und Gelegenheit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und die Sprache zu lernen.  Für Kinder müssen ausreichend Plätze in Kindertageseinrichtungen und in Schulen zur Verfügung gestellt werden.«
Felix Oekentorp (Foto) zitierte den Refrain des Songs „Sie wollen wieder schießen (dürfen)„, den die Band Slime in ihrem Album „Hier und Jetzt“ veröffentlicht hat:
Das ist das gelobte Land
Wo Milch und Honig fließt
Aber nur so lang man jeden
Eindringling erschießt
Die Menschen an den Grenzen
Sind die Geister die wir riefen
Dabei weiß doch jedes Kind
Geister kann man nicht erschießen

Christoph Nitsch (Foto) trug ein Gedicht vor Theodor Kramer (1897-1958) vor: Andre, die das Land so sehr nicht liebten
Andre, die das Land so sehr nicht liebten,
warn von Anfang an gewillt zu gehn;
ihnen – manche sind schon fort – ist besser,
ich doch müßte mit dem eignen Messer
meine Wurzeln aus der Erde drehn.

Keine Nacht hab ich seither geschlafen,
und es ist mir mehr als weh zumut;
viele Wochen sind seither verstrichen,
alle Kraft ist längst aus mir gewichen,
und ich fühl, daß ich daran verblut.

Und doch müßt ich mich von hinnen heben,
sei’s auch nur zu bleiben, was ich war.
Nimmer kann ich, wo ich bin, gedeihen;
draußen braucht ich wahrlich nicht zu schreien,
denn mein leises Wort war immer wahr.

Seiner wär ich wie in alten Tagen
sicher; schluchzend wider mich gewandt,
hätt ich Tag und Nacht mich nur zu heißen,
mich samt meinen Wurzeln auszureißen
und zu setzen in ein andres Land.