Montag 13.08.18, 20:47 Uhr

Bettenabbau in der Altenpflege


Die betrieblichen Interessensvertretungen stationärer Pflegeeinrichtungen im ver.di-Bezirk Mittleres Ruhrgebiet schreiben in einer Stellungnahme, dass sie im Interesse der Heimbewohner*innen das Ziel unterstützen, den Anteil an Einzelzimmern in den Alten- und Pflegeheimen kontinuierlich bis auf 100% zu erhöhen. Weiter heißt es: »Die politische Entscheidung für eine gesetzlich geregelte 80%ige Einzelzimmerquote in Altenpflegeheimen in NRW ab 01.08.2018 ist seit 15 Jahren bekannt. Diejenigen Heimträger, die die Einzelzimmerquote bisher nicht umgesetzt haben, dürfen heute nicht über deren Folgen jammern.
Die betrieblichen Interessensvertretungen schätzen ein, dass die wirtschaftlichen und personellen Folgen der Einzelzimmerquote für die entsprechenden Heimträger beherrschbar sind. In der Regel werden die Heimaufsichten der Kreise und kreisfreien Städte nach dem 01.08.2018 für die betroffenen Einrichtungen einen Belegungsstopp anordnen, so dass die Zahl der belegten Plätze langsam auf die gesetzlich vorgeschriebene Höhe abschmilzt.
Damit einhergehend werden die Heimträger auch die Personalkosten entsprechend „abschmelzen“, um den Einnahmeausfall durch die wegfallenden Heimplätze wettzumachen. Zwar haben die betrieblichen Interessensvertretungen in den stationären Pflegeeinrichtungen nur geringe Einflussmöglichkeiten z.B. beim Auslaufen befristeter Arbeitsverträge oder bei geringfügigen Verringerungen der wöchentlichen Arbeitszeit von Beschäftigten. Aber wir werden alle uns zur Verfü-gung stehenden rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Nachteile für Beschäftigte insbesondere im Zusammenhang mit theoretisch denkbaren betriebsbedingten Kündigungen oder bei Versetzung von Beschäftigten zu verhindern.
Die betrieblichen Interessensvertretungen würden es jedoch für fatal halten, wenn die Kostenträger mit einer Verknappung der Heimplätze infolge der Durchsetzung der Einzelzimmerquote in den stationären Pflegeeinrichtungen oder in-folge eines faktischen Baustopps im Rahmen von Pflegebedarfsplänen der Kreise und kreisfreien Städte lediglich das Ziel verfolgen, lediglich die Kosten zu senken. Vielmehr ist es erforderlich, parallel dazu die ambulanten und teilstationären Angebote sowie das Platzangebot an festen (sog. solitären) stationären Kurzzeitpflegeplätzen auszubauen. Bezüglich des Angebotes an solitären Kurzzeitpflegeplätzen fällt bei der Durchsicht öffentlich zugänglicher Pflegebedarfsplänen wie z.B. im Kreis Recklinghausen oder in Gelsenkirchen auf, dass deren wachsende Bedeutung zu wenig Gewicht beigemessen wird. Dies gilt jedoch nicht für den Pflegebedarfsplan 2016 der Stadt Herne.
Für vier Wochen im Jahr bezahlen die Pflegekassen eine stationäre Kurzzeitpflege. Die Kurzzeitpflege kommt z.B. in folgenden Fällen in Betracht:

  • im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt als Umstellungsphase, bis eine sachgerechte Pflege organisiert ist oder der Pflegebedürftige wieder allein leben kann.
  • zur Überbrückung bei einem kurzfristig eingetretenen Pflegefall, um die Wohnung altersgerecht umbauen und die Pflege organisieren zu können.
  • bei einer kurzfristigen Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit, wenn des-halb die Angehörigen keine optimale Versorgung mehr gewährleisten können.
  • während des Ausfalls von Hauptpflegepersonen.
  • zur vorübergehenden physischen und psychischen Entlastung der Pflegeper-sonen vom oft harten Pflegealltag.

Infolge der Pflegestärkungsgesetze ist die Orientierung auf den Grundsatz „ambulant vor stationär“ verstärkt worden, so dass die Kurzzeitpflege für das Verbleiben von Pflegebedürftigen in ihrem Zuhause immer bedeutsamer wird.
Der Bedarf an Kurzzeitpflege hat sich schon in den letzten 15 Jahren kontinuierlich erhöht. Es gibt jedoch nur wenige solitäre Kurzzeitpflegeplätze in Langzeit- bzw. in speziellen Kurzzeitpflegeeinrichtungen. Der größte Teil der Kurzzeitpflegeplätze, die von Langzeitpflegeeinrichtungen angeboten werden, sind „eingestreut“ und damit „zufälliger“ Natur. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass die Zahl der unbelegten Langzeitpflegeplätze in den Alten- und Pflegeheimen aufgrund eines jahrelang anwachsenden Überangebotes stetig zugenommen hatte. Durch die Belegung der leeren Langzeitpflegeplätze mit Kurzzeitpflege konnten die Heimträger wirtschaftliche Verluste minimieren.
Bei einer weiteren Verknappung der Langzeitpflegeplätze werden die Heimträger aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Zahl der „eingestreuten“ Kurzzeitpflegeplätze reduzieren. Schon heute werden Pflegebedürftige, die einen Kurzzeitpflegeplatz benötigen, wohnortfern in Einrichtungen anderer Städte vermittelt. Dies widerspricht der gesetzlichen Anforderung nach sozialer Teilhabe, weil auf diese Weise schon Kontakte zu Angehörigen oder Bekannten deutlich erschwert wer-den. Dies fördert darüber hinaus das Bestreben von Heimträgern, Pflegebedürftige nach der Kurzzeitpflege in die Dauerpflege zu übernehmen. Die betrieblichen Interessensvertretungen sprechen sich daher für die Förderung des Baus wohnortnaher eigenständiger Kurzzeitpflegeeinrichtungen oder des Ausbaus solitärer Kurzzeitpflegeplätze in Anbindung z.B. an ambulante Dienste, Tages- und Nachtpflege oder im Rahmen von Pflege-Versorgungszentren und Langzeitpflegeeinrichtungen aus. Für Betreiber rechnet sich der Ausbau von solitären Kurzzeitpflegeplätzen kaum, weil die Kostenträger nicht bereit sind, die zusätzlichen Kosten für die Vorhaltung von Kurzzeitpflegeplätzen und Personal zu finanzieren. Kurzzeitpflegeplätze sind ja nicht über das ganze Jahr und oftmals nur in bestimmten Monaten belegt. Außerdem erhöht der häufige Wechsel der Pflegebedürftigen den Aufwand einer Einrichtung erheblich.
Selbstständige Kurzzeitpflegeeinrichtungen verfolgen andere gesetzliche Ziele, denen Langzeitpflegeinrichtung kaum Rechnung tragen können. Wir sprechen uns dafür aus, dass die Kreise und kreisfreien Städte Konzepte für die Organisation, Finanzierung, Zielgruppen und Öffentlichkeitsarbeit erarbeiten, um den auch wirtschaftlich erfolgreichen Betrieb der Kurzzeitpflege zu gewährleisten (siehe hierzu: „Die Kurzzeitpflege – Ein unverzichtbarer Bestandteil einer integrierten Versorgungskette“, Kerstin Blass, Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V., Saarbrücken, Oktober 2001).«