Seit dem Sommer 2015 ist Flüchtlingspolitik ein ständig präsentes Thema. In Erinnerung geblieben sind Bilder wie vom train of hope in Dortmund, bei denen Bürger*innen ankommende Geflüchtete am Bahnhof willkommen hießen und versorgten. Auch in Bochum gab es viel Hilfsbereitschaft: Es bildeten sich zahlreiche ehrenamtliche Netzwerke und Initiativen, von denen viele auch heute bei der Veranstaltung vertreten sind. Wer diese vielbeschworene Willkommenskultur miterlebt hat, wird sich wundern, was aus diesem „Welcome-Land“ nun geworden ist.
Aber wer die Fluchtbewegungen in den 1990er Jahren, die Brandanschläge und Belagerungen in Hoyerswerda, Mannheim, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen … und die dann folgenden Gesetzesverschärfungen erinnert, der hat einen déjà -vu-Effekt nach dem anderen. Schon in den 1990er Jahren wurden abwertende, entmenschlichende Worte wie „Flut“ und „Welle“ bemüht. „Das Asylrecht ist nicht für Sozialtouristen“ krakeelte damals schon die CSU. Den Geflüchteten wurde pauschal ein Hang zur Kriminalität unterstellt. Rechte Parteien zogen in Landesparlamente, die Flüchtlingspolitik richtete sich nach ihren Forderungen aus. Vieles davon erleben wir heute wieder.
Doch schauen wir zunächst einmal auf die Geschichte des Asylrechts in Deutschland.
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ heißt es im Mai 1949 in Art. 16 des Grundgesetzes. Geboren ist dieser Artikel, so wird gesagt, aus der eigenen Fluchterfahrung verfolgter Menschen aus Deutschland. Gemeint vor allem für Flüchtlinge aus dem Bereich des sogenannten „Ostblocks“. Dass heute auch Menschen aus den USA – ein Drohnenpilot z.B. – in Deutschland politisches Asyl erfragen, konnte sich damals niemand vorstellen.
Erweitert wurde der Schutzgrund „politische Verfolgung“ in den 1950er Jahren durch die „Genfer Flüchtlingskonvention“, wonach auch Schutz zu gewähren ist gegen Verfolgung wegen der Zuordnung zu einer sog. „Rasse“, einer Religion, einer Nationalität, oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. In Deutschland konkretisiert durch das Asylgesetz1.
Flüchtlinge kamen tatsächlich zunächst aus den sog. „Ostblockstaten“, aus der DDR, und 1968 auch aus der Tschechoslowakei. Auch aus der undogmatischen Linken erhielten sie Fluchthilfe, kamen die „Schleuser“. 1973, nach dem Pinochet-Putsch in Chile, flüchteten mehrere tausend Verfolgte nach Deutschland – in beide Teile. 1976 kam es zu einem Militärputsch in Argentinien mit in der Folge 30.000 Toten – während die Welt dort eine Fussball-WM abfeierte. Eine halbe Million Argentinier*innen flüchteten während dieser Zeit ins Ausland, einige kamen auch nach Deutschland und nach Bochum.
Aus dem Iran kamen politische Gegner*innen des Schah, seit der islamischen Revolution 1989 vom neuen Regime Verfolgte, nach dem Militärputsch in der Türkei vermehrt Türk*innen und Kurd*innen, Letztere auch aus dem Irak (nach dem Giftgasangriff 1988 auf Halabdscha mit 5.000 Toten). Aus Sri Lanka kamen die Tamilen, in den letzten Jahren viel Menschen aus Eritrea und von der afrikanischen Westküste.
Zu einer starken Zunahme von Schutzsuchenden kam es in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in Folge der Kriege in Slowenien, Kroatien und Bosnien.
Knapp 440.000 Schutzsuchende wurden im Jahr 1992 gezählt, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. 1999, während des Kosovo-Krieges, waren es nur wenige: gut 30.000 Asylanträge wurden 1999 gezählt: die Politik der Abschottung wirkte.
Nach den rassistischen Unruhen schwenkten die Regierungsparteien bald um auf die Linie der rechten Hetzer, übernahmen deren Argumente und sogar ihre Wortwahl. Im so genannten „Asylkompromiss“ von 1993 wurde das Asylrecht politisch Verfolgter in weiten Teilen abgeschafft. Die Abstimmung im Bundestag wurde von Protesten begleitet. Rund 10.000 Demonstrant*innen legten das Bonner Regierungsviertel lahm, darunter viele Anhänger*innen der noch relativ frischen Grünen Partei.
Inhalt der Verschärfungen war zum einen die sogenannte „Drittstaatenregelung“, wonach sofort abgewiesen werden kann, wer über ein EU-Land oder ein anderes Nachbarland Deutschlands eingereist ist. Hier hat das sogenannte Dublin-Rückschiebeverfahren seine Wurzeln. Das Dublin-System, wodurch Menschen in das europäische Land zurückgeschoben werden, durch welches sie eingereist sind, ist oft nur der Anfang der Vertreibung. Oft kommt es dann zu Kettenabschiebungen, an deren Ende sich der Flüchtling in seinem Herkunftsland wiederfindet.
Zugang zum Asylverfahren wäre also nur noch auf dem Luftwege möglich. Und auch diese Möglichkeit wird eingeschränkt: Dazu wurde das sogenannte „Flughafenverfahren“ eingeführt, die Geflüchteten bleiben in für exterritorial erklärten Zonen im Flughafen interniert.
Außerdem wurde das Konstrukt der „sicheren Herkunftsstaaten“ eingeführt. Hiervon Betroffene sollten beschleunigt abgeschoben werden können.
In den Folgejahren ist die Zahl der Menschen, die es aus ihrer Notlage bis nach Deutschland geschafft haben, tatsächlich stark gesunken, bis auf wenige Zehntausende in der Mitte der 2000er Jahre.
Die Zahl stieg aber ab 2012 stark an, wohl auch als Folge des Krieges in Syrien und der Zerstörung Libyens. Im Dezember 2013 gründete sich deshalb die Initiative „Treffpunkt Asyl“ Bochum. Es schien so, als würde Verwaltung und herrschende Politik diese Entwicklung verschlafen wollen. Unzumutbare und desolate Sammelunterkünfte und nächtliche Abschiebungen aus Bochum waren nur zwei Beispiele in der lokalen Flüchtlingspolitik, die für die Gründung der Initiative sprachen.
Im Sommer 2015 wurde der Druck für die betroffenen Menschen, vor allem aus Syrien, Irak, Afghanistan und afrikanischen Ländern, so groß, dass Hunderttausende, über weite Strecken zu Fuß, den Weg über die Türkei, Griechenland und den Balkan nach Mitteleuropa suchten und fanden. Den Rest kennen wir. Im vergangenen Jahr schafften es immerhin noch etwa 280.000 Menschen in ein relativ abgeschottetes Deutschland. Meine Hochachtung vor dieser Leistung und diesem Mut!
Zugleich starben etwa 5.000 Menschen im Mittelmeer, mehr als 30.000 seit dem Jahr 20002 . Eine Minute der Solidarität und des Gedenkens sollten wir ihnen gewähren!
In dieser bedrückenden Situation, in der wir fast täglich Berichte von Angriffen auf Unterkünfte von Geflüchteten hören und rassistische Hetze lauter und lauter wird, in denen Menschen in Ländern der EU bei -15°C in Zelten ausharren und der EU-Türkei-Deal immer noch durchgesetzt wird, schlägt der demokratische, soziale Rechtsstaat mit voller Härte zu:
Mit dem Asylpaket I vom Oktober 2015 und dem Asylpaket II vom März 2016 wurde die Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsländer“ erweitert und für davon Betroffene ein beschleunigtes Verfahren eingeführt. Es besteht die Möglichkeit von Leistungskürzungen, wenn Geflüchtete angeblich nicht ordentlich mitarbeiten. Dazu zählt auch die Mitarbeit am Verfahren für die eigene Abschiebung. Eine Wohnsitzauflage und Arbeitsgelegenheiten mit einer reduzierten Aufwandsentschädigung in Höhe von 80 Cent pro Stunde wurden eingeführt, die Regelsätze für Geflüchtete wurden entgegen einer Auflage des Bundesverfassungsgerichts verkürzt und sollen noch weiter gekürzt werden.
Derzeit verhandeln das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten die Reform des Dublin-Systems. Dublin IV heißt das Ziel: Bisherige Ausnahmemöglichkeiten sollen wegfallen, Abschiebungen in die Länder der Ersteinreise sollen verschärft werden, auch für minderjährige unbegleitete Geflüchtete. Der Druck auf die Flüchtlinge und deren Unterstützer*innen würde sich massiv erhöhen, Flüchtlingen würde der Zugang zu fairen Asylverfahren noch weiter erschwert oder gar verunmöglicht. Infolgedessen stiege die Zahl der irregulären Flüchtlinge, die ohne Schutzstatus innerhalb der EU leben, dramatisch an. Damit droht auf höchster EU-Ebene ein Ausstieg aus dem individuellen Recht auf Asyl. Die Folge wäre ein System der systematischen Entrechtlichung und Entwürdigung.
„Orbánisierung der Flüchtlingspolitik“ heißt die Parole. Die Kommission will zentrale Elemente der ungarischen Politik übernehmen: Abweisung im Wesentlichen aller Asylsuchenden an den Außengrenzen, einhergehend mit ihrer möglichst brutalen Behandlung, um so das Schengensystem der offenen Grenzen nach innen zu erhalten.
Die eingeleitete Abschiebepolitik nach Afghanistan wird weiter getrieben und verschärft. Laut Medienberichten soll nächste Woche am 24.01. eine weitere Sammelabschiebung nach Afghanistan durchgeführt werden. An den Abschiebungen in das angeblich in Teilen sichere Land beteiligt sich auch das Land NRW.
Im Raum steht die Frage: Was nun?
Mehr als 100.000 Menschen demonstrierten im Oktober 2015 in Wien für Solidarität mit Flüchtlingen, bald 20.000 Menschen gingen dort im März 2016 gegen den Türkei-Deal auf die Strasse. Mehr als 8.000 waren es im Juni vergangenen Jahres in Bochum bei der Menschenkette gegen Rassismus.
Auch die geflüchteten Menschen selbst machen auf ihre politische Situation aufmerksam: In Bochum gab es 2016 mehrere über Tage andauernde Camps vor dem Rathaus, in denen für bessere Asylverfahren, den Zugang zu Sprachkursen, für die Abschaffung von Lagern und gegen die Wohnsitzauflage demonstriert wurde.
Es sollen immer noch etwa acht Millionen Menschen in Deutschland sein, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsunterstützung engagieren.
Wenn nur ein Teil von ihnen gegen staatlichen Rassismus und Menschenverachtung auf die Strasse gehen würde – sie könnten ihr vernichtendes Regime nicht so brutal durchziehen.