Freitag 29.01.16, 13:28 Uhr
ExpertInnenrunde zum Thema "Wohnungsmangel in Bochum"

Es muss etwas geschehen


Gut 40 Gäste waren am Donnerstag Abend zu einer Podiumsdiskussion des Bochumer Mietervereins unter dem Titel „Stimmt das Bochumer Wohnungsangebot noch?“ in den Blue Square gekommen. Die Anwesenden waren sich einig, dass etwas geschehen muss. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt drohe zuzuspitzen, vor allem im Bereich preiswerter Wohnungen. Anlass der Veranstaltung war die vom Deutschen Mieterbund herausgegebene Studie zum Wohnungsmarkt im Ruhrgebiet, die veränderte Bedingungen für die Region konstatierte. Die Schrumpfung der Bevölkerung sei vielerorts gestoppt. Anders als früher müsse auch wieder über Neubau gesprochen werden. Dies betreffe vor allem den Sozialen Wohnungsbau. Die Armutsquote sei zuletzt weiter gestiegen, der Anteil geförderter Wohnungen sinke gleichzeitig weiter. Die Versorgung der zugewanderten Flüchtlinge fordere nun weitere Herausforderungen. Die Mietervereine fordern nun verstärktes Engagement der Kommunen, aber auch von Bund und Land. Vor allem preiswerte Wohnungen müssten für den Wohnungsmarkt erschlossen werden. Kurzfristig durch Aktivierung von Leerstand und langfristig durch Neubau von Sozialwohnungen.
Im Blue Square war die konkrete Situation in Bochum Thema. Auch hier galt der Wohnungsmarkt lange als entspannt. Auch heute noch soll es nach offiziellen Angaben über 8000 leerstehende Wohnungen geben. Gleichzeitig wird aber die Suche nach preiswertem Wohnraum immer schwieriger: Nur noch 14.000 Wohnungen – das sind 7,3 Prozent des Angebots – sind sozial gebunden. Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben aber fast ein Drittel aller Haushalte: über 60.000. Für die fast 30.000 Haushalte, die von Transferleistungen leben, sind Sozialwohnungen für 5,25 € pro qm gar schon zu teuer.
Martin Krämer vom Mieterverein, der die Studie vorstellte, forderte mit Blick auf die Studie in erster Linie ein stärkeres Engagement der Stadt zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums. „Der Stadt Bochum muss es gelingen, erhebliche Anteile der 8.400 leerstehenden Wohnungen zu aktivieren. Es kann auf Dauer nicht angehen, dass teure Containerbauten entstehen, Flüchtlinge in Turnhallen hausen müssen, während 1000e leerstehenden Wohnungen langsam unbewohnbar werden. Dazu ist eine bessere Wohnraumbeobachtung sowie eine Zweckentfremdungssatzung nötig.“
Anschließend diskutierten Jochem Marquart, DGB Ruhr Mark, Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW, Eckhart Kröck, Leiter des Stadtplanungs- und Bauordnungsamts sowie Norbert Riffel von der VBW, ob das Bochumer Wohnungsangebot noch der Nachfrage entspricht. Bei deutlichen Differenzen im Detail waren sich alle vier einig, dass es bereits erhebliche Defizite gibt. „Wir haben lange Zeit gedacht, die Anpassung des Wohnungsbedstandes an die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft sei die Hauptaufgabe, die vor uns liegt“, verteidigte Norbert Riffen die Wohnungswirtschaft gegen den Vorwurd, zu wenig gebaut zu haben. „Aber der Markt hat sich gedreht. Wir sind voll, haben sogar wieder Wartelisten. Wo in Bochum 1000e leere Wohnungen seien sollen, ist mir unerfindlich.“
Eckart Kröck empfand das Schielen auf bloße Zahlen als einen Fehler: „Wichtig ist für uns, dass wir die Eigentümer ansprechen können. Wir haben uns in der Vergangenheit sehr engagiert um Gewerbeflächen gekümmert und waren erfolgreich, etwa bei neuen Plänen für das Opel-Gelände oder die Nokia-Flächen. Das müssen wir auch beim Wohnen schaffen. Wenn wir das Thema zum Beispiel bei der Innenstadtentwicklung immer mitdenken, ist einiges gewonnen.“
Für Birgit Naujoks war es wichtig, beim Thema Flüchtlinge zwischen Wohnen und Notunterkünften zu unterscheiden. „Jeder Flüchtling sollte eine richtige Wohnung beziehen können. Aber weil das nicht von heute auf morgen möglich ist, stehen Sammelunterkünfte im Fokus. Es ist klar, dass in Turnhallen oder Zelten eine menschenwürdige Unterbringung nicht möglich ist. Deshalb haben wir Mindestanforderungen formuliert und würden uns wünschen, dass die Stadt sich darauf verpflichtet.“
Jochen Marquart kritisierte, dass jahrelang nur renditeorientiert gebaut worden sei: „Es wurde immer betriebswirtschaftlich argumentiert, dabei ist Leben und Wohnen eine volkswirtschaftliche Aufgabe. Ich bin ja froh, dass es die Flüchtlinge gibt, denn die aktuelle Lage ist eine Riesenchance. Attraktives Wohnen würde uns auch helfen, wieder Arbeit in die Stadt zu kriegen. Es ist falsch, immer nur zu sparen, wir müssen das Geld da holen, wo es ist. Nach zehn Jahren Kürzungspolitik hat sich das Bochumer Haushaltsloch nur fon 1,2 auf 1,6 Mrd. € vergrößert.“
Viele Beiträge in der lebhaften Diskussion drehten sich um die Frage, wie die Ankurbelung des Neubaus gelingen und wie leere Bestandswohnung aktiviert werden können. Eckart Kröck betonte, die Stadt habe in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen mit Zwangsmaßnahmen gegen Zweckentfremdung gemacht. Bisher seien auch ohne solche Maßnahmen 500 Normalwohnungen für Flüchtlinge aquiriert worden. Einig waren sich Alle, dass Neubau Zeit braucht, erst recht, wenn zuerst Bebauungspläne aufgestellt werden müssen. Außerdem müssten trotz allen Bedarfs die wenigen wertvollen Freiflächen geschont werden. Die Stadt hat erste Änderungen eingeleitet: Ein Masterplan Wohnen ist in Arbeit, die Abteilung Wohnen soll aus dem Sozialamt zurück in die Bauverwaltung wandern – Kröcks Amt wird bald wieder einen neuen Namen erhalten.
für den Mieterverein forderte Aichard Hoffmann, der die Versammlung moderierte, dass staatliche Wohnungspolitik sich vor allem um die Bevölkerungsgruppen kümmern muss, die sich nicht selbst versorgen können: „In der Geschichte der Bundesrepublik waren es immer die Phasen mit starker Zuwanderung, in denen der Staat die Wohnungspolitik wieder entdeckt hat. Deshalb gibt es jetzt eine Chance, die Defizite der Vergangenheit anzupacken. Aber dabei müssen alle benachteiligten Bevölkerungsgruppen gleich behandelt werden.“
Die Broschüre „Wohnungspolitik in den Kommunen des Ruhrgebiet“ ist weiterhin kostenlos beim Mieterverein in der Brückstraße 58 erhältlich und auf der Homepage www.mvbo.de downloadbar.