Montag 10.03.14, 18:31 Uhr
Kaltschnäuzig abgebügelt:

Ver.di: Go-in im Sozialausschuss


von Norbert Hermann, Bochum-Prekär
Über die zukünftige Jobcenter-Software Allegro wurde schon viel berichtet. Dem verschlafenen aber verantwortlichen Sozialausschuss wollte nun ver.di mit einem Go-in auf die Sprünge helfen. Vergeblich. Das Schnarchen geht weiter.

Nachdem Roland Dröge vom Jobcenter dem Ausschuss über die geplante Software-Änderung berichtet hatte (sich aber nicht in der Lage sah, den zusätzlichen Zeitaufwand zu beziffern), wurde die Sitzung aus formalen Gründen unterbrochen. Dadurch erhielt das Dutzend ver.di-Aktive des Jobcenters mit der Personalratsvorsitzenden Karin Richter-Pietsch an der Spitze die Gelegenheit, übers Mikro ihre Sicht der Dinge darzulegen.

Der Mehraufwand ist unumstritten, teils bezifferbar, teils unklar. Das soll über Überstunden oder eine Art „Bonus-System“ ausgeglichen werden, so das Jobcenter. Dabei ist dauerhaft die Fluktuation und der Krankenstand hoch, aus vielen Teams liegen Überlastungsanzeigen vor. Zwar werden von den Kolleg_innen dringliche Leistungsanträge zügig bearbeitet, alles andere muss teilweise lange liegen bleiben.

Und was macht der Schnarch-Ausschuss unter Federführung der Vorsitzenden Astrid Platzmann-Scholten von den GRÜNEN? Einen „Appell“ an die Bundesagentur für Arbeit! Die als „modernes Unternehmen“ sei verantwortlich für die Umstellung. Die nimmt sie auch wahr mit ihrer ausgesprochen umfangreichen und qualifizierten IT-Abteilung. Für die Umstellung vor Ort ist allerdings das  „moderne Unternehmen“ Jobcenter Bochum verantwortlich, mit 400 Beschäftigten, 21.000 Bedarfsgemeinschaften und vielen Millionen Euro Umsatz jährlich ein systemrelevantes mittelständisches Unternehmen. Verantwortlich geführt durch die Trägerversammlung von Arbeitsagentur und Stadt Bochum. Beide versuchen vor Ort sich aus der Verantwortung für die Beschäftigten und die Leistungsabhängigen zu stehlen. Das ist nur zu leicht zu durchschauen. Für die Personalsituation vor Ort ist allein die Trägerversammlung des Jobcenters verantwortlich, nicht die ferne Bundesagentur in Nürnberg.

Schäbig dann die Mahnung der Vorsitzenden, es dürfe keine Angst geschürt werden, dass die Zahlungen nicht pünktlich erfolgen könnten. Wohl bezugnehmend auf die Formulierung im ver.di-Flyer: “Eine pünktliche Auszahlung ihrer Regelleistung darf nicht gefährdet werden“. Gegen diese Unterstellung  hat sich  die Personalratsvorsitzende zu Recht verwehrt. Aber nicht von ver.di alleine ist Besorgnis zu hören, auch die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Jobcenter des „Bundesnetzwerks Jobcenter“ befürchten, mit einer „schleichenden Auszehrung der Arbeitsbedingungen von Jobcentern … können aus ihnen sehr schnell Problemzonen für den sozialen Frieden werden.“ (1)

Günter Gleising von der Sozialen Liste war der einzige, der mit klarem Verstand die Sache anging (dass sogar die „Freien Wähler“ ihm zustimmten): „Der Sozialausschuss hat nicht die Aufgabe und die Möglichkeiten, sich in die fachlichen Einzelheiten der neuen Software einzuarbeiten. Aber die Aufgabe, die zusätzlich notwendigen Personalkapazitäten zu ermitteln und bereitzustellen.“ Dazu sind auch keine „Spekulationen“ nötig, wie die Vorsitzende abwertend bemerkte, sondern für einen Teil der Aufgaben liegen klare Aufwandsberechnungen vor, das Weitere muss seriös geschätzt werden – unter anderem von den Fachleuten in der Belegschaft, die teils auf jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken können. Bei der Stadt genießen Belegschaften und Personalrat eine andere Wertschätzung.

Das Problem der fehlenden Möglichkeit, die Daten automatisch aus dem alten in das neue System zu übertragen, liegt im Übrigen womöglich in der Verwendung einer neuen und flexibleren Datenbanksystematik und nicht an einer Intervention des ehemaligen Datenschutzbeauftragten Peter Schaar (GRÜNE). Der hatte sich allerdings darüber erfreut gezeigt, weil viele in der Vergangenheit erhobene Daten widerrechtlich erhoben worden sind und jetzt „verschwinden“ können. Wobei das Jobcenter fleißig weiter am gläsernen Bürger und der gläsernen Bürgerin arbeitet: mit der unseligen „Vermieterbescheinigung“ werden weiterhin unzulässigerweise Daten und Kontoangaben des Vermieters und Weiteres erhoben, es werden die Daten von Mitbewohnenden erhoben (die das Jobcenter überhaupt nichts angehen), beim Erstantrag wird per Formular danach gefragt, wieso überhaupt die Grundsicherung beantragt wird. Auch dazu gibt es keine Rechtsgrundlage, die Leistungsvoraussetzungen, insbesondere die Bedürftigkeit, sind ohnehin genau zu ermitteln.

Norbert Hermann für Bochum-Prekär (Bochum-prekaer@t-online.de)

(1) Quelle und weitere Informationen:
https://www.bo-alternativ.de/2014/02/25/kommune-und-hartz-iv-parteien-in-der-pflicht/

Flugblatt der ver.di Gruppe im Jobcenter