Redemanuskript für die Demonstration gegen die NPD am 21. 07. 2012 auf dem Husemannplatz
Sonntag 22.07.12, 15:24 Uhr

Dr. Ralf Feldmann,
Bochumer Bündnis gegen Rechts


Liebe Bochumer Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Freundinnen und Freunde!
Vor 77 Jahren wurde Fritz Husemann im Konzentrationslager Esterwegen ermordet.  Die politischen Erben seiner Mörder wollen uns heute hier auf „seinem“ Platz ihren nationalistischen, rassistischen Überlegenheitswahn als Antwort auf die europäische Krise nahe bringen. Da kommen die, die Saat legten für die Mordbrenner von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen, Hünxe, für hundertfachen Mord an Fremden, Schwachen und politisch Andersdenkenden. „Gute Heimreise“ war die Parole auf ihren Wahlplakaten, dort zeigten sie Vertreibungsbilder von Juden auf dem Weg ins KZ, diesmal mit muslimischen Frauen auf ängstlicher Flucht. „Das Plakat ist der Renner“, konnte man auf der Internetseite der Volksverhetzer aus Wattenscheid lesen. Es ist klar, welche Heimreise sie meinen. Wir wissen: NSU und NPD sind zwei Seiten derselben Münze.
Die kommen nicht mehr nur als hässliche Glatzköpfe, sondern auch mit Schlips und Kragen und hätten gern den Schulterschluss mit jenen konservativen Talkshow-Rechten von Sarrazin bis Sinn, die meinen, der Rückzug in die nationale Trutzburg mit Schlagbäumen und Deutscher Mark sei die Lösung der ökonomischen und demokratischen Krise Europas. Wir in Bochum wollen weder die einen noch die anderen.
Ein Menschenleben nach dem Ende der Nazibarbarei, die Millionen Menschen vernichtete und große Teile unseres Kontinents in Schutt und Asche legte, wollen wir, dass ein friedliches, demokratisches Europa weiter zusammenwächst. In dem wir uns nie wieder als Feinde, ja Todfeinde die Schädel einschlagen, sondern uns als Freunde begegnen – wie oft erleben wir das im Austausch, in den Ferien – und uns solidarisch helfen, wenn ein Schwächerer in Not gerät.
Rassistische Überheblichkeit von Nationalisten – seien sie neofaschistisch oder konservativ-nationalistisch – lenken von der Ursache der europäischen Krise ab und tragen zur Lösung nichts bei. Die Krise ist nicht der Gegensatz zwischen überlegenem, tatkräftigen nordischen Fleiß und südländischem Schlendrian minderwertiger Müßiggänger. Sie ist entstanden, weil die Reichen und das ihren Reichtum organisierende Finanzkapital ihren Beitrag zum Gemeinwohl partout nicht beisteuern wollen und sich in neoliberal entfesselter Gier nach noch größerem Reichtum massivst verspekuliert haben. Für die Verluste ihrer Gier sollen jetzt alle aufkommen.
Europa leidet nicht an einem Konflikt zwischen Nord und Süd. Es ist vielmehr der uralte Kampf zwischen Oben und Unten, zwischen Reich und Arm. Er geht quer durch alle Gesellschaften  – in Nord und Süd, er spaltet sie in Glück und Unglück. Die wahrhaft Mächtigen weltweit, die Herrschenden des entfesselten Finanzkapitals treiben die atemlosen Akteure der staatlichen Demokratien vor sich her. Bis diese alternativlos – in Wirklichkeit besinnungslos – unbegrenzte Hilfen in Billionenhöhe beschließen. Hilfen für Banken, nicht für Menschen in Not. Nicht für die Menschen in Griechenland, die sich Gesundheit nicht mehr leisten können und deshalb früher sterben, zunehmend von eigener Hand, nicht für die jungen Leute in Spanien, die zu Zehntausenden um Ausbildung und Arbeit anstehen. Geholfen wird Banken, damit die Profite der Reichen keinen Schaden nehmen.
Das Bundesverfassungsgericht sucht zur Zeit nach Rettungsringen für das Überleben unserer staatlichen Demokratie. Damit sie sich nicht in Europa verflüchtigt und auflöst. Etwas genauer formuliert geht es um die Rettung von Ansätzen demokratischer Entscheidungsprozesse in einer kapitalistisch herrschaftlich verfassten Gesellschaft. Diese Rettung der staatlichen Demokratie, über die das Verfassungsgericht nachdenkt, ist nicht belanglos. Denn nach dem Grundgesetz ist Staatsgewalt kein Produkt alternativloser Technokratenweisheit – produziert von den Mietmäulern des großen Geldes, sondern geht vom Volke aus. Aber Demokratie wird erst, wenn die  Machtstrukturen unserer Gesellschaft nicht mehr kapitalistisch bestimmt sind, sondern wir selbst unser Wirtschaftssystem demokratisch organisieren und kontrollieren. Wenn unsere Gesellschaften auf dem Boden der Menschenrechte – auch der sozialen Menschenrechte – sozialistisch und frei werden, europaweit, weltweit. Daran wollte ich in diesen Krisenzeiten erinnern.

Die Rede wurde nicht gehalten. Siehe: Ungehaltene Reden