Dienstag 08.05.12, 21:27 Uhr
Ist ein Lautsprecher eine Bombe?

Die BSZ über mediale Deutungskämpfe


Der fernsteuerbare Lautsprecher

In der am Mittwoch erscheinenden BSZ wird auf der Titelseite der Nazi-Auftritt am letzten Donnerstag vor der Moschee in der Humboldtstraße thematisiert. Ein zweiter Artikel problematisiert, wie insbesondere die WAZ mit dem Begriff „Lärmbombe“ eine Kriminalisierung des Protestes gegen die Nazi-Aktion betreibt. Der Artikel von Rolf von Raden im Wortlaut: »Für Verwirrung sorgten am Tag der Proteste gegen Pro NRW Teile der Lokalpresse sowie die Polizei: Sie erweckten den Eindruck, am Kundgebungsort sei am Morgen eine „Bombenattrappe“ gefunden worden. Das jedenfalls verbreiteten die extrem rechten RednerInnen und das WAZ-Onlineportal derwesten.de am Morgen unisono. KritikerInnen werfen der Polizei und der WAZ vor, die Falschmeldung nicht deutlich genug richtig gestellt zu haben.

Tatsächlich war die Polizei am frühen Morgen von AnwohnerInnen auf eine Plastiktüte hingewiesen worden, die in einem Kellerschacht in unmittelbarer Nähe des Pro-NRW-Kundgebungsortes deponiert wurde. Nach bsz-Informationen befand sich in der Tüte eine lautsprecherartige Sirene, die so präpariert war, dass sie durch einen Telefonanruf eingeschaltet werden konnte.
Anders als von Pro NRW und diversen Internetberichten suggeriert, gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass der Lautsprecher im Vorfeld der Pro-NRW-Kundgebung gefunden werden sollte, um möglicherweise einen „Bombenalarm“ auszulösen. Vielmehr spricht alles dafür, dass genau das Gegenteil das Ziel war – nämlich, eben vorher keine Aufmerksamkeit zu erregen, um dann mit Hilfe der Sirene akustisch gegen die rechte Kundgebung protestieren zu können.

Nach ersten Berichten über einen „Bombenalarm“ in Bochum stellte die Polizei zwar bereits am Mittag per Presseerklärung richtig, dass es sich bei dem Gegenstand „nicht um eine Sprengvorrichtung“ gehandelt habe. Sprengstoff oder andere gefährliche Stoffe seien nicht gefunden worden. Der von den extrem rechten Rednern auf der Kundgebung verbreiteten Fehlinformation, bei dem Lautsprecher handle es sich um eine „Bomben-Atrappe“, die Angst vor einer möglichen Explosion verbreiten sollte, widersprach die Polizei dagegen nicht explizit. So konnte sich diese Version im Internet weiter verbreiten, insbesondere extrem rechte Blogs rückten den Lautsprecherfund gar in die Nähe von Terrorismus. Nachdem auch WAZ-Gerichtsreporter Bernd Kiesewetter in einem ersten Internetartikel von einer „Bomben-Attrappe“ sprach, änderte sich die Darstellung wenig später: In einem zweiten Artikel wird Oberstaatsanwalt Christian Kuhnert mit der angeblichen Richtigstellung zitiert, bei der „Bomben-Attrappe“ handle es sich wohl tatsächlich um eine „Lärmbombe“. Bei dem Begriff „Lärmbombe“ handelt es sich um ein bis dato in Deutschland selten verwendeten Begriff, der – wenn er überhaupt auftauchte – bisher nahezu ausschließlich tatsächliche Sprengsätze bezeichnete, die in Gaza, Syrien und Bahrain unter anderem zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt wurden.

„Wir sind überrascht, wie auch einen Tag nach dem Vorfall eine harmlose Lärmvorrichtung, die offenbar Rassistinnen und Rassisten stören sollte, mit einer Bombe in Verbindung gebracht wird“, sagt Kevin Waschkowitz, der Pressesprecher der Antifaschistischen Jugend Bochum. „Nachdem bekannt wurde, dass es sich bei der Vorrichtung nicht um eine Bomben-Attrappe gehandelt hat, musste man zur Rettung der Bomben-Geschichte eine Lärmbombe draus machen“. Das erinnere ihn an den Bochumer „Torten-Prozesse“, die vom Jahr 2009 bis 2011 bundesweit Schlagzeilen gemacht hatten.
Damals verklagte die Staatsanwaltschaft den verantwortlichen Redakteur des lokalen Internetportals bo-alternativ.de, weil er im Netz ein Anti-Nazi-Plakat dokumentiert hatte, auf dem eine Torte zu sehen war. In den Augen der Staatsanwaltschaft war die Torte jedoch eine getarnte Bombe, und die Plakat-Dokumentation damit ein „Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung“. Nach insgesamt vier Prozessen vor verschiedenen Instanzen endete der Kriminalisierungsversuch mit einem Freispruch für den verantwortlichen Redakteur.
Auch im aktuellen Lautsprecherfall könnte es zu einem Gerichtsverfahren kommen. So hatte die Polizei noch am gleichen Vormittag einen 18jährigen vorläufig festgenommen, dem sie vorwirft, die Sirene abgelegt zu haben. Der Beschuldigte sei dem linken Spektrum zuzuordnen. Ob die Hinweise für einen Prozess reichen, und wie viel Phantasie gegebenenfalls dieses Mal bei der Formulierung einer Anklageschrift aufgebracht wird, ist derzeit noch unklar. Medienberichten zufolge will die Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht ausschließen, das Ablegen des Lautsprechers sogar als „versuchte gefährliche Körperverletzung“ zu bewerten – wegen der möglicherweise hohen Lautstärke des Störgeräusches.«