Im Streit um die Ackermann-Veranstaltung im Schauspielhaus Bochum wandte sich der ehemalige Intendant Frank-Patrick Steckel an das Ensemble. Der Brief liegt nun der Redaktion vor, den wir im folgenden dokumentieren:
An das Ensemble des Schauspielhauses Bochum – kurz vor den Ferien.
Ich bitte es mir nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Schauspielhauses auszulegen, wenn ich mich euch gegenüber zu dem in den Spielplänen des Theaters, an dem ihr beschäftigt seid, angekündigten Auftritt der Herren Reitz, Stoiber und Ackermann äußere und euch bitte, mit einem klaren Votum gegen diesen Auftritt zu protestieren.
Die Sache des Theaters ist längst nicht mehr die Sache eines Theaters – es ist die Sache aller Theater. Das bedeutet, dass das, was sich in einem Theater ereignet, alle Theater betrifft. Lasst ihr es zu, dass die genannten Herren eure Bühne erklimmen, werden alle Bühnen in Mitleidenschaft gezogen.
Das Theater ist die einzige Kunstform, die ausschließlich dem Menschen verpflichtet ist.
Diese Verpflichtung schließt ein, dass es sich gegen alle Verhältnisse stemmt, die von der Verachtung des Menschen gekennzeichnet sind – es verlöre, würde es sich nicht widersetzen, seinen Gegenstand. Gerade das Schauspielhaus Bochum hat eine in dieser Hinsicht schwierige, auch während meiner Intendanz leider nicht wirklich untersuchte Geschichte, das darf ich an diesem 20. Juli vielleicht anmerken. Wenn es so etwas wie „die Moderne“ gibt, dann kann es sich dabei nur um eine Epoche gesteigerter Aufmerksamkeit gegenüber diesen Dingen handeln.
Die drei bewussten Herren sind, und darum haben sie in eurem Theater höchstens als Zuschauer etwas verloren, hervorragende Vertreter der globalen Menschenverachtung.
Darum vor allem wurde Herr Ackermann eingeladen, seinen 60. Geburtstag auf Kosten des Volkes im Kanzleramt zu feiern. Das Schauspielhaus Bochum ist nicht das Kanzleramt.
Es wird nicht nötig sein, euch aufzuzählen, was insbesondere die Herren Ackermann und Stoiber angerichtet haben und anrichten – eine der gewaltigsten Herausforderungen der Zukunft besteht jedenfalls darin, das bitte ich mir zu glauben, ihnen und ihresgleichen nachhaltig das Handwerk zu legen. Die unselige Rolle der käuflichen, weil auf Verkauf getrimmten Medien bei der Aufrechterhaltung der untragbaren, unwürdigen Umstände, aus denen diese Herren ihren Gewinn ziehen, wird durch die Moderation von Herrn Reitz zur Genüge repräsentiert.
Duldet ihr es, dass diese Männer ihr Luxusschuhwerk auf die Bretter setzen, die uns die Welt bedeuten, bildet sich gleichsam allegorisch der Zustand ab, gegen den wir, gewappnet mit der absoluten Mehrheit unserer Texte, Sturm laufen müssen. Gerade die öffentliche Bezuschussung unserer Arbeit erlegt uns diesen Widerstand auf. Eure Bühne wird, weist sie die Fußspuren der Menschenverächter auf, nie mehr ein Ort dieses Widerstands sein können.
„Die Zeit der verantwortungslosen Künstler ist vorbei“, sagte Albert Camus in seiner Nobelpreisrede von 1957. Camus verstand diese Bemerkung als einen die Kunst belebenden Trost. Und so sollten wir sie verstehen. Und danach handeln.
Frank-Patrick Steckel