Ein Kommentar der Vorsitzenden des Bochumer Forums für Antirassismus und Kultur – BoFo e.V., Cigdem Deniz Sert
Der Brandanschlag von Solingen jährte sich am 29. Mai 2011 zum 18. Mal und es sollte auch diesmal wieder lauten: Kein Vergessen! Nicht nur den rassistisch motivierten Mord an vier unschuldigen Menschen sollten wir nicht vergessen, sondern auch die damalige politische Atmosphäre, die nicht wenig dazu beitrug, dass dieser Mord passieren konnte.
Wir blicken auf das Jahr 1993. Politische Positionen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, ja gar aus der damaligen Regierung, die verlauteten, dass „das Boot voll“ sei oder „dem Asylmissbrauch ein Riegel vorgeschoben werden müsse“ oder „die Zahl der Ausländer müsse halbiert werden“, waren keine Seltenheit.
Der kurze Rückblick soll verdeutlichen, dass Solingen kein abstrakter, von allen gesellschaftspolitischen Umständen losgelöster und von Einzelnen verübter Mord war, sondern das Ergebnis der etablierten Politik damals. Das Ergebnis politischer Verantwortungslosigkeit. Damals gab es noch nicht den konstruierten Feind „Islam“ oder „Muslim“, sondern den „Ausländer“. Auch hatte damals Sarrazin noch keinen Bestseller unter dem Beifall Vieler geschrieben.
Aber damals wie heute wird rassistische Hetze betrieben, werden Feindbilder geschaffen. Der vermeintlich andere wird, damals wie heute, je nach Bedarf im Rahmen der politischen Konjunktur, konstruiert. Damals wie heute werden rassistische Ressentiments gegen „die Anderen“, gegen das vermeintlich „Fremde“, geschürt. Gegen jene, die sich nicht „integrieren“ wollten.
Gedenken wir der Opfer des rassistischen Brandanschlages von Solingen ohne den achtsamen und kritischen Blick auf die Entwicklungen in unserer Gegenwart zu behalten, würden wir der Ernsthaftigkeit der Sache nicht gerecht werden. Ja, wir würden Gefahr laufen, es wiederholen zu lassen. Vielmehr muss Solingen heute mehr denn je als ein Warnsignal gelten. Ein Warnsignal dafür, dass auch heute Rassismus salonfähig gemacht wird. Dass ein rassistischer Biologismus zu mainstream gemacht und soziale und ökonomische Probleme ethnisiert werden. Dass ähnlich wie in Solingen wieder Brandstiftung verübt wird, und zwar geistige Brandstiftung. Wieder sind es Menschen, die „unserem Land“ schaden. Menschen, die zu einer „Überfremdung“ Deutschlands führen.
Solingen darf sich nicht wiederholen, niemals und nirgends. Es darf aber auch nicht wie ein historisches Ereignis betrachtet werden. Ein Ereignis, das in der Vergangenheit liegt und leider passiert ist. Es darf nicht auf ein „Denkmal“ reduziert werden. Bei allem Respekt gegenüber dem Denkmal, das in Gedenken an die Opfer des Brandanschlages dort errichtet wurde, ist es nicht ausreichend, den Rassismus mit Ringen einzuschließen. Denn was eingeschlossen wird, kann auch wieder ausbrechen! Es muss darum gehen, ihn an der Wurzel zu packen und aus unserer Gesellschaft zu verbannen. Dies deshalb, damit unsere Kinder damals wie heute die richtigen Fragen stellen und immer dafür einstehen, es nie wieder so weit kommen zu lassen und schon den Anfängen wehren. Heute schon!
Dienstag 31.05.11, 19:33 Uhr
Damals wie heute...