Dienstag 30.10.07, 09:00 Uhr
Gerichtsverfahren eingestellt - fader Nachgeschmack bleibt

Vom „Sprengstoffgesetz“ zum „Zisselmännchen“


Das Protestkomitee gegen Studiengebühren hat auf seiner Webseite einen ausführlichen Bericht über einen Prozess veröffentlicht, der am Dienstag, den 23.10.07, im Bochumer Amtsgericht gegen einen Studenten stattfand, dem im Zusammenhang mit einer Aktion gegen Studiengebühren schwerste Vergehen vorgeworfen wurden: Versuchte gefährliche Körperverletzung, Verstoß gegen das Versammlungsrecht, schließlich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – bei der Festnahme war sogar von einem angeblichen „Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz“ die Rede. Der Bericht: »Dieser unglaubliche Kriminalisierungsversuch, der letztlich protestierende Studierende in die Nähe von Terroristen rückte, geriet vor Gericht zur Farce. Am 30.11.2006 hatten sich ca. 100 Studierende spontan in der Bochumer Innenstadt zu einer „Reclaim the Streets Party“ versammelt, um der drohenden Einführung von Studiengebühren ihren kreativen Protest entgegenzusetzen. Doch was fröhlich begann, endete mit massiven Polizeiübergriffen: Dutzende der feiernden Studierenden wurden ohne Vorwarnung mit Pfefferspray verletzt, drei wurden herausgegriffen und brutal festgenommen – unter absurden Vorwürfen, wie etwa dem „Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz“.
Dieser Vorwurf erschien offenbar selbst der ermittelnden Staatsanwältin als zu abenteuerlich, weswegen die gestrigen Anklagepunkte „nur“ versuchte gefährliche Körperverletzung, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte lauteten – immerhin auch Vorwürfe, die zu einer Gefängnisstrafe reichen könnten. Der angeklagte Student habe einen gefährlichen „Knallkörper“ „gezielt in eine Menschenmenge“ geworfen, und bei seiner späteren Festnahme Polizisten geschlagen. Einer der als Zeugen geladenen Polizisten behauptete gar, darüber hinaus von den Umstehenden während der Festnahme geschlagen und „ins Gesicht getreten“ worden zu sein – offenbar, um im Nachhinein den massiven Pfeffersprayeinsatz zu legitimieren, bei dem sich die Polizisten gegenseitig verletzten. Ein weiterer als Zeuge geladener Polizist widersprach dieser Darstellung: Die dazugekommenen DemonstrantInnen hätten gefragt, warum der Student festgenommen werden sollte – und die Polizisten hätten auch versucht, die Frage zu beantworten.
„Was Recht ist, bestimme ich.“ (Einsatzleiter der Bochumer Polizei am 30.11.06) Aus der Perspektive der kritischen Studierenden stellen sich der Ereignisse anders dar: In ihren Augen wurde ein angeblicher „Knallkörper“ als vorgeschobenes Argument zur willkürlichen Verhaftung von TeilnehmerInnen der Reclaim-the-Streets-Party herangezogen. Die Polizisten konnten nicht einmal genaue Aussagen zur Art des „Knallkörpers“ treffen. Vom Richter nach der Größe gefragt, reichten ihre Angaben von „Knallfrosch“ bis „Zisselmännchen“. Dass es sich um einen größeren Knaller gehandelt habe, schlossen die Polizisten aus – obwohl sich die Anklageschrift so ließt, als habe ein mächtiger Böller eine reale Verletzungsgefahr geboten. Überreste des angeblichen Knallers hat die Polizei ebenfalls nicht gesichert.
In Bezug auf den „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ waren die Aussagen der Polizisten schlicht gegensätzlich. Nachdem der erste Befragte von „Schlägen gegen den Körper“ während der Festnahme erzählte, folgte die kritische Frage des Richters, wie der Angeklagte denn habe schlagen können, wo bei Festnahmen doch meist die Arme gepackt würden. Die gemurmelte Antwort, man habe den Angeklagten nur an der Jacke ergriffen, erschien nicht nur aufgrund der 21jährigen Diensterfahrung des Beamten unglaubwürdig. Der zweite befragte Beamte attestierte dem Angeklagten, sich lediglich durch Verschränken der Arme „gesperrt“ zu haben. Geschlagen habe er nicht.
Aufgrund der gegensätzlichen Aussagen der Polizisten und der offensichtlichen Lächerlichkeit der Vorwürfe sah sich der Staatsanwalt gezwungen, die Unhaltbarkeit der Anklageschrift einzugestehen, und „angesichts des Unrechtsbestandes“ eine Einstellung des Verfahrens gegen 600 Euro Spende an eine gemeinnützige Organisation vorzuschlagen – nachdem er dem Angeklagten bereits gönnerhaft „Läuterung“ attestiert hatte. Nach der Halbierung dieser Summe durch den Richter wurde diese Lösung vom Angeklagten akzeptiert.
Was bleibt?
Dieser jüngste Kriminalisierungsversuch ist – mit all den damit zusammenhängenden staatlichen Drohungen und Beleidigungen (der Angeklagte berichtete vor Gericht, wie er von Polizisten als „Wichser“ und „Arschloch“ beschimpft wurde), Falschaussagen, Gewalttaten, der absurden Übersteigerung der Vorwürfe – Ausdruck massiver politischer Repression gegen KritikerInnen der bestehenden Verhältnisse, sei es an den Hochschulen oder sonstwo in der Gesellschaft. Den Betroffenen dieser Repression gilt nach wie vor unsere volle Solidarität!«