Kommunale Sozialberatung in Bochum – eine lange Geschichte
Am 23.1.2007 hat die in Bochum herrschende Koalition aus SPD und Grünen im Sozialausschuss die Einrichtung einer „niedrigschwelligen Sozialberatung“ beschlossen und dafür 95 tausend Euros bereitgestellt (jährlich, ist anzunehmen). Wir wissen nicht, wo das Geld herkommt, wie das haushaltsrechtlich zu regeln ist, und vor allem wissen wir nicht, wer hier von wem warum über welchen Tisch gezogen werden soll. (Der beschlossene Antrag im Wortlaut).
Am 18. Mai 2006 fand in Bochum die bundesweit beachtete Demonstration gegen Zwangsumzüge statt. Mit einem kleinen Erfolg für die Betroffenen und einem deutlichen Zeichen, dass in Bochum Politik und Behörde nicht machen können was sie wollen – Teile der Öffentlichkeit sind wachsam und aktiv: sehr zahlreiche Gruppen waren vertreten, bis hin zu Kirchens, und erstmals auch der SoVD und der VdK.
Ein weiteres Ergebnis war, dass der Mieterverein beauftragt wurde ein Konzept zu entwickeln für eine „niedrigschwellige Sozialberatung“. Der Hintergrund ist, dass den Verursachern der öffentliche Ärger und die Kosten der Widerspruchs- und Klageverfahren über den Kopf zu wachsen drohen. Schuld daran sei vor allem die „Unterstützer-Szene“ – örtlich wie bundesweit (Internet – tacheles) – das wurde ganz offen gesagt. Auch bei der ARGE wird auf allen Etagen von zunehmender Aggressivität der Betroffenen berichtet – was dort niemand verstehen will („Früher ging das doch auch …“). Bislang blieb der Widerstand in Bochum auf allen Ebene allerdings im „Symbolhaften“. Die Leute gehen „vor Gericht“ und nicht auf die Strasse. Aber es brodelt.
Trotz dieser eindeutigen Intention hat der Mieterverein den Auftrag angenommen und im Herbst zu vorbereitenden Gesprächen eingeladen. Eingeladen waren nur sehr Wenige, die Auswahl war – nach eigenem Bekunden – „zufällig“.
Wir haben in mehreren Papieren das 2004 bundesweit verbreitete Konzept einer „Unabhängigen Sozialberatung“ vorgestellt – inhaltlich von Betroffenenorganisationen kontrolliert, öffentlich finanziert (Anlage „Initiative …“). Auf Bochum bezogen haben wir eine entsprechende „Stellungnahme …“ (Anlage) abgegeben. Wesentliche Aussage ist, dass die Gestaltung in die Hände der beratungserfahrenen betroffenennahen Organisationen zu geben sei – das sind in Bochum die Gewerkschaften, KAB, EAB (und Entsprechende), SoVD und VdK, Ev. Arbeitslosenberatungsstelle, Unabhängige Sozialberatung. Zusätzlich haben wir den Stand der sozialarbeiterischen Wissenschaft aufgearbeitet und veröffentlicht.
Das wurde allerdings wesentlich ignoriert, bevorzugt wurde ein Konzept einer wohlfahrtsverbandsüblichen Dienstleitung von (mehr oder weniger engagierten) (Rechts-) Beratungsprofis für dann relativ unmündig bleibende Betroffene. Der Mieterverein hat daraus ein „Konzept“ (besser: „Stichwortstrukturierung“ – Anlage) entwickelt und Teilen der Öffentlichkeit bzw. den Ratsfraktionen vorgetragen.
Zwischenzeitlich sickerte aus politischen Kreisen durch, dass wohl nur 20tausend Euros jährlich dafür zur Verfügung gestellt werden sollten – das MV – Konzept sollte 160tausend kosten. Für das kleine Geld wären grad mal Beratungsgutscheine entsprechend der Regelung zur Schuldnerberatung finanzierbar. Damit war plötzlich auch die streithafte Stimmung zwischen beteiligten Gruppen vorbei – das grosse Geld war hier nicht mehr zu holen. (Nochmals zur Klarstellung: wir wollen weiterhin „ehrenamtlich“ und arm bleiben, gegen eine kleine Unterstützung für Miete, Sachmittel, Aufwand hätten wir allerdings nichts einzuwenden!). Jetzt sieht aber überraschend alles ganz anders aus – drei Stunden vor der Sitzung wurden die 95tausend Euros aus dem Hut gezaubert.
Was wir kritisieren:
Seit 1975 steigt wieder die Arbeitslosigkeit (damals: eine halbe Million!). Seit dem gibt es auch Erwerbslosenberatungen, meist hervorgegangen aus Selbsthilfegruppen. Die gewerkschaftliche Koordinierungsstelle der Erwerbslosengruppen (KOS – www.erwerbslos.de) feierte kürzlich ihr zwanzigjähriges Bestehen! Hier ist anzuknüpfen.! DAS Rad muss nicht neu erfunden werden! Hier gibt es reichlich Erfahrung und bestehende Organisationsstrukturen und Vernetzungen.
NRW ist inzwischen von einem ganzen Netz kompetenter und meist engagierter Beratungsstellen überzogen – auch Bochum profitiert seit Jahren davon. Begleitet wird das von der NRW-Agentur „GIB“ – „Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung“ in Bottrop. Durch Hartz IV ist der Unterstützungsbedarf allerdings immens gewachsen.
Die Finanzierung dieser Beratungsstruktur läuft allerdings Ende 2007 aus. „Die ARGEn können das doch gut selber machen“ war Schartaus Begründung dafür. Ein Unding!
Aus Düsseldorf wurde allerdings signalisiert, dass diese Einrichtungen eine Überlebenschance hätten, wenn sie sich schwerpunktmässig der Betreuung von beschäftigungspolitischen Massnahmen zuwenden würden – vor allem bekannt unter dem Kürzel: „1-Euro-Jobs“. Etliche Einrichtungen sind ohnehin massiv in diesen Bereich gegangen – von Betroffenen und ihren Organisationen für diesen „Verrat“ mit Häme und Weiterem überzogen. Subjektiv mag das verständlich sein, droht den dort Beschäftigten doch letztendlich auch Hartz IV, und da wissen sie, was sie erwartet. Politisch kann das nicht geduldet werden.
Der Vortrag des Mietervereins hat doch Einiges aufgegriffen, was im Verlauf der Gespräche zusammengetragen wurde. Auf dieser Basis, unter Einbeziehung des Konzepts „Initiative Unabhängige Sozialberatung“, unter Federführung vor allem der erwähnten Betroffenenorganisationen, könnte es möglich sein, etwas Geeignetes wachsen zu lassen.
Der Antrag Grüne/SPD sieht allerdings vor, diesen Beschluss umgehend umzusetzen. Das kann nichts werden. Zu denken gibt uns aber im besonderen folgender Satz im Antrag: „Dazu sind auch Formen von Beschäftigungsprojekten zu prüfen.“ Das darf nicht sein! Das steht auch nicht im Konzept des Mietervereins!
Es gibt keinen „Zweiten Arbeitsmarkt“!
Wir wollen uns hier nicht groß einmischen in arbeitsmarktpolitische Erwägungen, das ist bislang nur am Rande unser Thema.
Tatsache ist aber: einen „Zweiten Arbeitsmarkt“ gibt es in Wirklichkeit nicht, es ist der prekärste Teil des Ersten. Mit der Funktion, allgemein die Löhne zu drücken. Die beste Maßnahme ist die, wo Sie für billig Geld genau das Selbe tun wie zuvor ordentlich bezahlt. SozialarbeiterInnen werden jetzt für 1.600,– Euros eingestellt . (brutto!) – das geht. Das wird bald für alle gehen, wenn ALLE Betroffenen nicht aufpassen und an einem Strick ziehen! 500 Euro Eckregelleistung, Extras für Kinder, 10 Euro Mindestlohn, Tariflohn müssen die Forderungen sein.
Natürlich haben die Selbsthilfeorganisationen der Erwerbslosen bald schon sich um Beschäftigungsmöglichkeiten bemüht (den Älteren unter uns werden noch die Dorstfelder Selbsthilfegruppe und andere bekannt sein). Das waren eindeutig parteiische, solidarische Initiativen, die neben dem ökonomischen auch eine starke soziale Bedeutung hatten. Verbandelung mit Ämterkram und „Sanktion“ gab es dort nicht.
Ganz anders das Konzept „Fordern und Fördern“ – Druck machen, Geld streichen, aus dem Leistungsbezug drängen. Beschäftigungsprojekte als Repressionsmittel.
Durch hunderte von Kontakten mit 1-Euro Jobbern wissen wir: seit dem 1. August 2006 müssen ALLE, die in Hartz IV fallen ohne zuvor „normales“ Arbeitslosengeld bezogen zu haben, umgehend in eine derartige Massnahme „eingegliedert“ werden. Die weitaus Meisten „stehen das durch“ und blieben lieber in Ruhe gelassen. Nur für die Wenigsten stellt das eine willkommene Hilfe dar. Juristisch lässt sich immer dagegen angehen, weil diese Massnahmen in aller Regel nicht den gesetzlichen Vorgaben der Zusätzlichkeit und der Zielführung zum ersten Arbeitsmarkt entsprechen. (s. Presse-Berichte vom 27.1.207, basierend auf dem Bericht der BA – IAB „Soziale Arbeitsgelegenheiten – Einsatz und Wirkungsweise aus betrieblicher und arbeitsmarktpolitischer Perspektive“ von dieser Woche – gerne elektronisch bei uns erhältlich).
Schlechter gestellt durch Hartz IV sind die nicht erwerbsfähigen Menschen mit Behinderung – sie sind kaum noch maßnahmeberechtigt. Hier muss wieder deutlich gefördert werden.
Den meisten Erwerbslosen fehlt aber nichts – außer einem Arbeitsplatz. Wenn vor allem die öffentliche Hand ausgestattet wäre mit den nötigen Mitteln, um in der Pflege, Kinderbetreuung, Ausbildung …., Schienen- und Straßenbau, Gebäudeerhaltung usw. das Nötige zu tun, ein sehr großer Teil wäre von der Straße.
Die „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ wäre also zu denken im Rahmen einer insgesamt menschengemäßen Neubegründung von Gesellschaft. Anders wird das nichts!
Eine Vermischung von niedrigschwelliger Sozialberatung und „Beschäftigungsprojekten“ ist aus den genanten Gründen unbedingt abzulehnen. Ebenso eine Angliederung an bestehende Wohlfahrtseinrichtungen mit vor allem eigenwirtschaftlichen Interessen.
„Bestehende Erfahrung und Kompetenz stärken, Selbstorganisation fördern“ ist unser Motto.
Da machen wir einfach weiter – in gewohnter Qualität!
i.A. Norbert Hermann 27. Januar 2007