Montag 02.07.12, 08:24 Uhr

„Zu viel Kultur schadet nur“


von Norbert Hermann
Die klassische Kulturklientel stirbt aus, so aktuelle Forschungsergebnisse im Bereich der Publikumsentwicklung. Das Stammpublikum wird immer älter, die noch nicht ganz so alten wollen nicht mehr hin, und die Jüngeren schon gar nicht. Wird „Hochkultur“ in Zukunft nur noch für sich selbst produziert werden? Das Publikum wird durch große Spiegel fiktioniert?
Kulturpolitik braucht eine grundlegend andere Ausrichtung, hin zu den Menschen, ihrer gewandelten Zusammensetzung und frischen Interessen. Die Ausrichtung eines Musikzentrums Bochum wesentlich als „Konzerthaus“ zementiert überholte Zustände.
Die Zahl der elitären Kultureinrichtungen wächst, selbst in Bochum möchte die selbsternannte „Elite“ ein eigenes Konzerthaus. Die Dichte der Konzert- und Schauspielbesuchenden in Bochum ist in Stiepel am höchsten. Das trifft allerdings auch für die Teilnehmenden an VHS-Kursen zu. Womit die VHS allmählich ihren Titel und die besondere Förderungswürdigkeit als „Volkshochschule“ zu verspielen droht.
Viel „ Kultur“ schafft nicht unbedingt viel Kunst. Die Masse der Einrichtungen mit der weltweit höchsten Dichte spricht eher für deren Mittelmäßigkeit und für guten Filz und gute Lobbyarbeit. Wobei das viele Geld irgendwo versickert und die eigentlichen Künstler und Künstlerinnen eher prekär versorgt sind.
Die Hälfte dieser Kultureinrichtungen gut finanziert täte es auch. Für die schrumpfende Klientel reicht es allemal. Und die Häuser wären besser gefüllt. Für ein gutes Konzert fahre ich auch schon mal nach Bonn.
Die Lebenslüge der Hochkultur ist der Anspruch auf “ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts” (F. Schiller). Öffentlich geförderte (Hoch-) Kultur läuft Gefahr die Gesellschaft zu spalten. Es wird immer mehr Geld ausgegeben für die vorhandenen Institutionen und es bleibt nichts mehr übrig für die Kunst und Kultur der jungen Generation oder für neue Entwicklungen in der Gesellschaft.
Das wesentliche Kulturelle, das wir benötigen, findet nicht im Konzerthaus und im Theater statt. Kultur – das ist der Lebenswert unserer Stadt. Von den Parks und Plätzen über die Schwimmbäder, Schulen, Bibliotheken und Wochenmärkte zu Stadtteilzentren mit (Musik-) Unterrichts-, Proben- und Aufführungsräumen. Die sog. „Laienkultur“ ist in den letzten Jahren immer mehr ins Hintertreffen geraten und auch die Infrastruktur, die Laienkultur braucht. Kunstausbildung muss viel praktischer und experimenteller werden und die gewachsene Interkulturalität (unabhängig auch von Herkunftshintergründen) berücksichtigen.
Auch die Musikschule, obgleich stark nachgefragt, muss sich fragen lassen, ob ihre Intentionen nicht im Zusammenhang mit einem musisch orientierten und insgesamt gut ausgestatten Bildungssystem in Zukunft besser zu organisieren wäre. Kulturpolitik muss eingebettet sein in eine Vision von Gesellschaft. Die muss orientiert sein auf junge Menschen im Kulturbereich, und wegkommen von der Ausrichtung auf vorwiegend weiß und europäisch.

inspiriert u.a. durch: Der Kulturinfarkt
Von Allem zu viel und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention. – Von Armin Klein (Prof. für Kulturwissenschaft und Kulturmanagement in Ludwigsburg, ehemals leitender Dramaturg am TaT FFM, später Kulturreferent der Stadt Marburg), und die nicht minder sachkundigen Dieter Haselbach, Pius Knüsel, Stephan Opitz. Knaus – Verlag