Mittwoch 06.06.12, 17:52 Uhr

Angeklagt: Kirche als Arbeitgeberin 2


Wenn sich Sozialkonzerne als kirchlich deklarieren, gelten in Deutschland elementare Grundrechte wie das Streikrecht nicht für die Beschäftigten. Dies ist selbst dann der Fall, wenn die Finanzierung der Einrichtungen ohne jegliche kirchliche Beteiligung wie z. B. bei Krankenhäusern oder Altersheimen geschieht. Die Mitarbeitervertretung (MAV) der Bochumer Diakonie hat zusammen mit anderen MAV im Bereich Ruhr-Lippe einen offenen Brief an ihre ArbeitgeberInnen formuliert, in dem der christliche Umgang mit den Beschäftigten heftig kritisiert  wird: »Seit geraumer Zeit werden in den Medien die Arbeitsbedingungen für Interessenvertretungen und Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen immer wieder kritisiert. Es geht um Lohndumping, Tarifflucht, Outsourcing und Leiharbeit, aber auch um mangelnde Beteiligungsrechte der Interessensvertretungen und Streikverbot. Es zeigt sich, dass der „Dritte Weg“ nicht mehr funktioniert und längst zum ersten Weg geworden ist, in dem die Arbeitgeber bestimmen, ohne dass Mitarbeitervertretungen etwas dagegen unternehmen können, z.B. einen anderen Tarif anzuwenden. Hierfür gibt es viele Beispiele auch in unserer Region.
Es ist uns völlig unverständlich, dass durch eine Satzung (hier die Satzung des Diakonischen Werkes von Westfalen)  Kirchenrecht gebrochen werden kann.
Es werden Beschäftigte in weltliche Gesellschaften outgesourced, um Lohnkosten zu sparen. Neueingestellte in diesen Gesellschaften werden zu kirchenfernen Bedingungen beschäftigt. Dadurch erhalten sie für die gleiche Arbeit wie ihre „älteren“ KollegInnen bis zu 40 % weniger Lohn, bei teilweise höheren Wochenarbeitszeiten und z. T. fehlender betrieblicher Altersversorgung.
Auch bei der „Flucht“ aus dem BAT/KF in die AVR DW EKD kommt es bei neueingestellten MitarbeiterInnen je nach Arbeitsfeld zu Einbußen von 15 – 25 %.
Wenn zwei Mitarbeiter für die gleiche Arbeit so unterschiedlich bezahlt werden, ist das die christliche Dienstgemeinschaft?
Diese Vorkommnisse sind aus unserer Sicht nicht mehr mit einem christlichen Weltbild, mit demokratischen Strukturen und einem menschengerechten Umgang in Einklang zu bringen.
Für uns gilt weiterhin „ Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bzw. das Gebot der „Tarifeinheit“ bei einem Arbeitgeber. Gerade unterschiedliche Tarife werden von vielen Beschäftigten als ungerecht empfunden. Wir fordern Sie auf, alle Menschen gleich zu achten und zu behandeln!
Grund für diese Missstände ist das mangelnde Beteiligungsrecht der Interessenvertretungen. Kirche verweigert Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften und will ihren Mitarbeitern Streikrechte verbieten. Auf der Synode der EKD in Magdeburg im November 2011 wurde extra das Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz verabschiedet, das Streikmaßnahmen verbietet. Die kirchliche Rechtsprechung spricht Mitarbeitervertretungen sogar das Recht ab, die Belegschaften über laufende Verhandlungen in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen zu unterrichten. An die Beschlüsse von Arbeitsrechtlichen Kommissionen und selbst an die Urteile des Kirchengerichtshofes müssen sich die Arbeitgeber nicht halten. Auf der Internetseite von evangelisch.de beklagt Präses Schneider, dass es bei 8 % der Einrichtungen zu Lohndumping kommt. Und was nun? Diese Zahl ist sicherlich noch zu niedrig angesetzt, aber sie sagt, dass
36.000 Mitarbeiter bei Kirche und Diakonie von Lohndumping betroffen sind.
Dies ist ein Skandal.
Ob der Staat oder die Gerichte ein Streikverbot in kirchlichen/diakonischen Einrichtungen akzeptieren, soll 2012 vom Bundesarbeitsgericht entschieden werden. Es würde den Kirchen gut zu Gesicht stehen, die Europäische Grundsatzcharta anzuerkennen, in der Streikrechte anerkannt sind, denn Streikrecht ist ein Menschenrecht!
Dieses Festhalten am Dritten Weg ist nicht mehr zeitgemäß. Die Diakonischen Werke sind nicht mehr die kleinen Werke eines Kirchenkreises. Sie haben mittlerweile Konzerngröße erreicht. Die Geschäftsführungen sind in der Regel nur noch an wirtschaftlichen Kennzahlen orientiert und halten sich einen Stab von bezahlten Beratern. Die abhängig beschäftigten Mitarbeiter einer Mitarbeitervertretung sind hier oft überfordert, da sie nicht über die gleichen Ressourcen wie die Geschäftsführung verfügen.
Noch deutlicher wird dies dann bei Lohnverhandlungen durch Arbeitsrechtliche Kommissionen und zeugt nicht von „Augenhöhe“ und Gleichgewicht der Verhandlungsmacht. Hier müssen endlich Tarifverträge her und es braucht echte Tarifverhandlungen mit qualifizierten, unabhängigen Gewerkschaften.
In den Kommissionen selbst gibt es eine paritätische Besetzung, doch es herrscht ein Ungleichgewicht außerhalb dieser Kommissionen was Macht und Einfluss betrifft. Aber auch dass die Besetzung und die Arbeitsweise dieser Kommissionen einseitig durch die Dienstgeber festgelegt werden kann, betrachten wir als undemokratisch. So war es möglich, Mitglieder, die zu kritisch waren, aus der AVR DW EKD Kommission zu entfernen. Von strukturellem Gleichgewicht kann aus Sicht der Mitarbeiterseite nicht die Rede sein.
Wir fordern Sie auf:
Wagen Sie mehr Demokratie, lassen Sie sich auf echte Tarifverhandlungen ein!
Bemühen Sie sich gemeinsam mit anderen Wohlfahrtsverbänden um einen „Sozialtarif“ bzw. um einen allgemein gültigen Flächentarif, der der gegenseitigen Konkurrenz der Wohlfahrts-verbände auf dem Rücken der Beschäftigten die Grundlage entzieht.
Sorgen Sie dafür, dass die weiter um sich greifende Erosion der Vergütungsgrundlagen durch die vorher beschriebenen Entwicklungen gestoppt wird.
Kirche und Diakonie können an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie Vorbildfunktion für andere Arbeitgeber übernehmen. Sonntagspredigten von Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit aller Menschen werden sonst als unglaubwürdig wahrgenommen.
Mitarbeitervertretungen aus dem Bereich Ruhr-Lippe
mit ausdrücklicher Unterstützung des Vorstands der AG-MAV-Westfalen«


2 Gedanken zu “Angeklagt: Kirche als Arbeitgeberin

  • Schwester Stefanie

    Erschreckende Zustände in Einrichtungen, die von der gesamten Gesellschaft finanziert werden (Krankenkassenbeiträge, Pflegekassenbeiträge, Steuern aus Bund und Land) und in denen die Kirchen sich als Gutsherren ihren Beschäftigten gegenüber auftreten.
    Und mittlerweile merken es die Angestellten, dass sie über weniger Lohn verfügen als in kommunalen Einrichtungen und das ihnen wesentliche demokratische Rechte vorenthalten werden. Ihre Interessenvertretungen im Betrieb setzen sich zur Wehr.
    Und die angeblich zuständige Gewerkschaft verdi?
    Leider befinden sich die örtlichen Hauptamtlichen immer noch auf Schmusekurs und führen Gespräche mit Geschäftsführern und Superintendenten ohne Rücksprache mit betrieblichen Akteuren.
    Somit fallen sie nicht nur diesen in den Rücken sondern auch der Bundesorganisation, die mit tollen Aktionen den bevorstehenden Bundesarbeitsgerichtstermin für demokratische Rechte in kirchlichen Betrieben begleitet: http://www.streikrecht-ist-grundrecht.de

    Aber, wie der interessierte Beobachter erkennt. Auch mit schlafenden Gwerkschaften kann die Selbstorganisation der Beschäftigten viel erreichen.

  • Karl

    Wie recht Schwester Stefanie doch hat.
    Als Ergänzung zu dem offenen Brief sei erwähnt, daß wir diesen an Präses Schneider, an die Superindendenten der Region, an die Kirchenleitung von RWL und an VERDI geschickt haben. In dem Anschreiben haben wir auch deutlich gemacht, daß wir uns einen einheitlichen Tarif für die Sozialbranche wünschen und es begrüßen würden, wenn Kirche und Diakonie diese Forderung unterstützen würden.
    Brief und Anschreiben auch unter:
    http://auswegdritterweg.wordpress.com/

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