Donnerstag 21.11.02, 12:00 Uhr

Persönliche Erklärung von Gabriele Riedl auf der Sitzung des Bochumer Stadtrates am 21.11.2002:


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kollegen und Kolleginnen im Rat der Stadt Bochum,
bei der letzten Diskussion zum Thema Cross Border leasing mußte ich mir sagen lassen, dass mit Menschen, die in meinem moralischen Kategorien denken, keine Geschäfte zu machen seien
… ich hab natürlich den Rest der Sitzung über meine Geschäftsfähigkeit nachgedacht, aber dann befand ich den Gedankenfür richtig:
Nur es wird erst umgekehrt gedacht sinnvoll: Es gibt Geschäfte, die mit einer bestimmten moralischen Haltung nicht möglich sind.
Ich finde, Geschäfte, die der Moral entbehren, sollte eine Stadt wie Bochum nicht tätigen.

Denn es macht nach meiner Auffassung schon einen Unterschied, ob ich mein privates Geld anlege und dabei in „zwielichtige Gesellschaft“ sogenannter Steuervorteile und rechtsfreier Räume gerate – und das ist ja heutzutage schon fast zwangsläufig, wenn ich es nicht im Sparstrumpf lasse – oder ob ich Elemente des Gemeinwesens, hier unser Abwassersystem, den Marktgesetzen anheimstelle.

Deren Eigenart ist es bekanntlich, dass sie in aller Regel zum Wohle einiger Weniger und zum Wehe von Vielen funktionieren.

Wäre dies nicht so, sähe unsere Stadt, unser Land und auch das Zusammenleben auf der Erde mit Sicherheit anders aus.

Abgrenzung, Gier und Machtstreben bringen Gemeinwesen in Schwierigkeiten, die nun mit den gleichen Mitteln gelindert werden sollen.

Unser Defizit hier in Bochum ist derzeit nicht hausgemacht, es ist u.a. Folge von Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen, aber auch Resultat einer Steuerpolitik, die den Firmen in den letzten Jahren helfen wollte, wieder Wirtschaftskraft gewinnen. Das Angebot wurde im Sinne der vorhin beschriebenen Marktgesetze genutzt – gut gemeint,
ist nicht gleich gut gemacht.

Jetzt stehen wir mit dem Rücken zur Wand und wollen versuchen, diese Situation mit einem virtuellen Scheingeschäft zu mildern. Ich halte dies für verfehlt.
Es ist, als ob der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben werden sollte.

Ich vertraue Frau Dr. Scholz und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie die unbestritten vorhandenen Risiken minimieren wollen.
Und ich habe mich selbst auch sehr intensiv mit dem Vorhaben auseinandergesetzt.
Aber – und das ist selten bei mir, je mehr ich mich damit beschäftigte, umso sicherer wurde ich mir, daß ich ein solches Vorhaben nicht mittragen kann und will.
Ich habe Respekt vor denjenigen, die der Ansicht sind, dass dies ein Beitrag zur Verbesserung unserer Situation sein könnte, denn ich sehe auch die Probleme unserer Stadt.

Aber ich teile diese Auffassungen nicht und erwarte, dass auch diese meine Meinung respektiert wird.

Inzwischen zeigen sich an anderen Orten auch schon die Probleme:
Rechtsdezernenten melden Bedenken an, Volksbegehren in Süddeutschland lehnen Cross-Border-Leasing Vorhaben ab.

Das ist auch noch eine spannende Angelegenheit in dieser Diskussion:

Sobald Sie das Rathaus verlassen, herrscht Fassungslosigkeit über das Vorhaben:

Es ist ja noch relativ einfach zu erklären, dass das Abwassernetz an einen US-Trust verleast und von dort wieder zurückgemietet wird.

Erstaunen ruft schon hervor, dass der Trust bereit ist, von der Steuerersparnis etwas abzugeben. Also ohne die ganzen rechtlichen Verzweigungen, Arrangeure, usw. überhaupt zu erwähnen, halten die meisten Menschen außerhalb politischer Kreise ein solches Vorhaben für absurd.

Zynisch könnte man nun vermuten, dass sie dem Trust die Steuerersparnis und die Gewinne nicht gönnen, aber darum geht es dann in den Gesprächen und Briefen, die ich dazu bekommen habe gar nicht.

Die Menschen machen sich Sorgen über den Zugriff auf wichtige Einrichtungen ihrer Stadt- und meiner Ansicht nach ist diese Sorge berechtigt. Es gibt eine Menge Dinge, die sich für virtuelle Geschäfte wie dieses eignen.

Aber Einrichtungen der Grundvorsorgung eines Gemeinwesens sind es nicht!

Die heruntergekommenen Vorstädte mancher Metropole – inzwischen auch in Mitteleuropa – hat nicht allein mit der Verarmung ihrer Bevölkerung zu tun.
Es geht auch darum, dass durch ungeklärte, unterschiedliche Besitzverhältnisse und Zuständigkeit „Niemandsland“ entsteht – übrigens sind es vorzugsweise Kanalisationen und Straßen, die dann verkommen.
Auch in Bochum, gibt es „Schmuddelecken“, wo weder USB noch Landesstraßenbauamt noch sonst jemand sich zuständig fühlen. Die Gegend verkommt dann.
Ein undurchsichtiges Vertragswerk, mit noch so vielen Sicherungen, öffnet solchen Verhältnissen Tür und Tor.

Schließlich gibt es noch die Stimmen die sagen: Mit so einem Vertrag wird das Netz wenigstens in Ordnung gehalten! Was ist das für ein Verständnis von Gemeinwesen und von Sorge um unsere Bevölkerung?

Wenn nur noch marktwirtschaflicher Vertragsdruck das Gemeinwesen aufrechthalten solle und nicht mehr demokratische Willensbildung und kommunale Selbstverwaltung über die Gestaltung des Zusammenlebens entscheiden, dann hinterlassen wir den nachfolgenden Generationen ein Desaster.

Sie werden verstehen, dass ich mit dieser Grundhaltung diesem Vorhaben nicht zustimmen kann.

Ich wünsche mir stattdessen eine Diskussion zur Entwicklung alternativer Finanzmodelle für unsere Stadt.

Vielen Dank.