"What a wonderful
world",
2. 9. 2006 Bochum,
Redebeitrag Dagmar Wolf / Bahnhof Langendreer
Guten Abend
und herzlich willkommen zu der multimedialen Revue "What a wonderful world"!
Wir freuen uns sehr, dass Musiker, Chöre, Orchester, Tänzer und andere Künstler und Künstlerinnen
die IDEE aufgegriffen haben, sich mit kreativen Mitteln mit einem hochpolitischen und wichtigem Thema auseinander
zu setzen.
Ich freue mich AUCH darüber, dass wir in der Christuskirche nicht nur einen angemessenen Ort für die
Aufführung gefunden haben,
sondern darüber hinaus zu einer breiten Veranstalterkooperation mit dem DGB Bochum, der Gesellschaft Bochum-Donezk,
der Evangelischen Kirche, der VHS mit "Arbeit und Leben" und dem Bahnhof Langendreer und gekommen sind.
Ich werte das als ein Zeichen, dass wir frühere Fehler beim Kampf gegen die Atomkraftwerke überwunden
haben.
Als vor einem Jahr das Projekt, das wir heute Abend hier erleben werden, aus der Taufe gehoben wurde, ging es den
InitiatorInnen auch darum, das Vergessen der Katastrophe von Tschernobyl zu verhindern.
Tatsächlich war vor einem Jahr das Thema Atomkraft WENIG in den Schlagzeilen vertreten, und mancher dachte
schon, es handle sich bei ihr um ein Auslaufmodell.
Aber heute wissen wir wieder einmal mehr, dass das Thema nach wie vor brandaktuell ist: Der neueste Störfall
in Schweden zeigte, dass die These von der Beherrschung der Technologie - auch im Westen falsch ist.
Was war in Schweden passiert?
Zunächst ein Kurzschluss im Stromnetz. Das AKW trennte sich daraufhin automatisch vom Netz, allerdings mit
einer winzigen, unzulässigen Zeitverzögerung, so dass der
atomar produzierte Strom nicht mehr abgeleitet werden konnte.
Weil DAS unweigerlich dazu führt, dass sich ungeheure Energiemengen aufstauen, muss die Ketten re aktion im
Reaktorkern unterbrochen werden - und zwar per Notabschaltung.
Der Strom für die Notabschaltung, für die weitere Reaktorsteuerung und für die noch tagelang notwendige
Kühlung
muss von einer Notstromversorgung kommen.
Diese funktionierte in Forsmark nicht korrekt.
Bereits eine solche Kleinigkeit kann zu einem Super-GAU führen. Super GAU, der größte anzunehmende
Unfall, das war Tschernobyl.
Mittlerweile wird das Atomkraftwerk bei uns in Brunsbüttel untersucht, das ist - wie das schwedische - auch
ein Siedewasserreaktor und offenbar gibt es hier eine ähnliche Sicherheitslücke wie in Forsmark. Brunsbüttel
ist das älteste AKW dieses Typs in Deutschland, es kam hier immer wieder zu Pannen und Problemen und mehrmals
zu dramatischen Vorfällen. Der letzte Prüfbericht von Brunsbüttel weist über 200 Fehlermeldungen
auf.
Trotz Sellafield und Greifswald, trotz Harrisburg und Tschernobyl - um nur die allerschlimmsten Unglücke der
Atomwirtschaft zu nennen - trotz des jüngsten Beinah-Super-GAUs und trotz weiterhin fehlender Konzepte zur
Entsorgung des noch lange strahlenden Mülls, gibt es derzeit eine Renaissance des Wunsches zur sogenannten
"friedlichen Nutzung" der Atomkraft. Der hessische Ministerpräsident Koch setzt darauf, weil angeblich
nur so die Energiekrise zu beantworten sei. Mit seinem "Aktionsplan für weltweite Energiesicherheit"
unterstützte der letzte G8-Gipfel dergleichen Positionen.
20 Jahre nach Tschernobyl werden die Laufzeiten der AKWs in Deutschland verlängert, 20 Jahre nach Tschernobyl
wollen deutsche Banken den Bau neuer Atomkraftwerke in Osteuropa finanzieren.
Das Thema bleibt also heiß.
Auch die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Iran beweist
außerdem wieder einmal, dass sich die sogenannte "friedliche Nutzung" der Atomkraft und die Produktion
von AtomWAFFEN nicht voneinander trennen lassen. Es gibt nach wie vor keine Ächtung dieser Massenvernichtungswaffen
- im Gegenteil: die Zahl der Länder, die sich im Besitz von Atomwaffen befinden, nimmt stetig zu.
Und wer meint, diese Waffen dienten lediglich der Abschreckung, muss im jüngsten Krieg im Libanon feststellen,
dass viele Bombenkrater "verstrahlt" sind. Es muss befürchtet werden, dass es dort zum Einsatz von
Munition mit abgereichertem Uran gekommen ist.
Wir haben unseren Kindern und noch vielen weiteren Generationen mit der bisherigen Praxis bereits sehr, sehr viele,
bisher nicht lösbare Probleme auf die Schultern geladen. 20 Jahre nach Tschernobyl sind wir aufgefordert,
mit dieser riskanten, alles Leben bedrohenden Technik endlich Schluss zu machen.
Dafür steht der heutige Abend, zum Antikriegstag und 20 Jahre nach Tschernobyl. Ich hoffe, dass diese Veranstaltung
uns allen den Rücken stärkt beim Kampf für die
Abschaltung und Stillegung der Atomreaktoren hier und anderswo.
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