Nun, dass nicht gerade die Tatsache allzu schlimm ist, dass gerade Nazi-Seiten gesperrt
werden, das dürfte wohl Konsens sein. Ich denke es gibt auch sehr gute Gründe, für eine solche
Sperrung, ob man sie nun Zensur nennen mag oder nicht, zu sein. Und wenn ich eine solche
Sperrung ablehne, dann gewiss nicht aus ganzem Herzen. Dennoch gibt es meiner Meinung
nach halt auch deutliche Gründe, gegen eine derartige Zensur zu protestieren.

1) Die Sperrung ist aufgrund ihres technischen Ansatzes dumm. Damit will ich nicht
argumentieren, dass sie schließlich von technisch versierten AnwenderInnen umgangen werden
kann. Das kann sie zwar, trotzdem hindert sie vermutlich den Großteil der Leute am Aufsuchen
der entsprechenden Seiten. Allerdings funktioniert diese Sperre auch nur auf einer sehr groben
Ebene, nämlich eben nur der der IP-Adressen. Wenn auf einem Server nun neben irgendwelchen
anderen Inhalten auch Nazi-Inhalte liegen (bspw. in Form von privaten Homepages), so besteht
eben nur die Möglichkeit, entweder sämtliche Seiten auf diesem Server zu sperren, oder
garkeine.

2) Ich muss gestehen, dass ich mir persönlich nie die Seite www.rotten.com angeguckt habe.
Laut BSZ-Artikel (und ich denke mal, dass T. schon einigermaßen weiß, wovon er spricht),
handelt es sich bei dieser Seite jedoch keinesfalls um eine Naziseite. Vielmehr scheint es eine
Seite zu sein, die zwar allerlei Geschmackloses anbietet, aber eben auch nützliche
Informationen. Die Tatsache, dass auch eine solche Seite schon unter den allerersten vier ist,
die gesperrt werden, lässt nichts Gutes erahnen. Es gibt mehr als nur drei Seiten, die deutlich
und ohne Frage als üble Naziseiten einzuordnen sind. Davon dürften auch die zuständigen
ReferentInnen der Landesregierung schon gehört haben. Dass trotzdem neben drei echten Nazi-
Seiten auch rotten.com gesperrt wird, mutet da schon irgendwie als Testballon an, wieweit die
Sperrung auch weiterer Seiten akzeptiert wird.

3) Wenn man schon in diese Richtung denkt, dann ist die Form, in der die Sperrungen
durchgesetzt wurden nicht gerade beruhigend. Nicht etwa ein Gericht hat irgendwie angeordnet,
dass die entsprechenden Seiten in Deutschland nicht verfügbar sein dürfen, oder sich überhaupt
mit der Rechtsmäßig- oder Widrigkeit der Seiten auseinandergesetzt, sondern es gab eine
Weisung, die in keinster Weise juristisch untermauert wurde. Ich denke nicht, dass das ein
Traummodell ist.

4) Was das Argument angeht:
> Analog zur Argumentation der Protesten müsste man sich auch
> ausdrücklich gegen das evtl. Verbot von Nazi-Demonstrationen und
> Organisationen oder den Verkauf von Nazi-Literatur aussprechen,
> denn auch diese stellen streng genommen eine Informations-
> möglichkeit für die Öffentlichkeit dar und legen rechtsradikales
> Potential in unserer Gesellschaft offen. Deren Verbote hingegen
> führen zum totalitären Staat.
Ich würde zumindest nicht Demonstrationen/Aufmärsche auf die gleiche Stufe mit einem
Internetauftritt stellen. Im ersten Falle handelt es sich um ein direktes an die Öffentlichkeit
treten, oftmals verbunden mit dem Versuch der Einschüchterung. Im zweiten Fall handelt es
sich um ein Angebot, das individuell aufgesucht werden kann, aber eben nicht vor meiner
Haustür aufmarschiert. Was Nazi-Literatur angeht, so wird auch diese schon seit Jahren in
Ländern mit entsprechender Gesetzgebung produziert und verschickt, während der Verkauf in
Deutschland strafrechtlich verfolgt wird. Die Situation bei Internetangeboten ist da so anders
nicht: Selbstverständlich dürfen auf Servern in D keine strafrechtlich relevanten Nazi-Inhalte
liegen. Ob man aber strikte Grenzkontrollen einführt, ist eine andere Frage.

Keines dieser Argumente ist überzeugend genug, dass nun alle vernünftigen Menschen sofort
und vehement gegen die Sperrung protestieren müssten. Das dürfte letzten Endes eine Frage
der Einschätzung/Abwägung sein. Für große Freude ob dieser Sperrung von drei Nazi-Seiten
dürfte dennoch kein Anlass bestehen.

> Ich würde mich freuen, wenn wir beim kommenden
> SiN-Treffen (Dienstag, 15.01.2002, 19.00 Uhr, Kulturcafe)
> darüber reden könnten.

Werde leider keine Zeit haben, fände es aber durchaus interessant. Vielleicht ließe sich ja
später auch (wenn sich der Rauch des Wahlkampfes gelichtet hat) eine kontroverse (Podiums-
?)Diskussion im Rahmen des Poldi draus machen.

Thomas