Presseerklärung
des Bundesfachverband feministische Selbstbehauptung
und Selbstverteidigung (BV-Fest)


Ungläubig und mit Bestürzung haben wir, die Berliner Fachrunde gegen
sexuelle Gewalt (ein von der Senatsverwaltung unterstützter Zusammenschluss
der Berliner Projekte und Fachöffentlichkeit gegen sexuelle Gewalt), zur
Kenntnis genommen, dass Sido beim "Bundesvision Song Contest" am 12. Februar
Berlin vertreten wird.

Sido? Wer ist Sido? Diese Frage kann einem jedes Berliner Grundschulkind
beantworten: Sido ist der angesagte deutsche Hiphopper schlechthin. Einer,
der ausspricht, was andere sich nicht trauen. Der seine Herkunft nicht
verleugnet, sondern das Märkische Viertel über Berlin hinaus bekannt gemacht
hat, nichts beschönigt, sondern zu der "ganzen Scheiße" steht. Sido ist
cool, Sido ist Kult - und das nicht nur bei Schulkindern und Jugendlichen.
Sich mit Sido zu zeigen, ihm jede nur denkbare Anerkennung zu zollen und ihn
bei seinem Werbespot für seinen Contest-Auftritt zu unterstützen, ist auch
für Prominente aus dem Sport und der Musikbranche ein klarer Fall, wie
Harald Peters in der Berliner Zeitung vom 26. Januar ("Sind wir nicht alle
ein bisschen Sido? Mit dem Maskenmann aus dem Märkischen Viertel zu Besuch
bei der Berliner Prominenz") ausführlich schildert und begrüßt. Aber was
bringt einen Herthaspieler wie Andreas Neuendorf, das Football-Team von
Berlin Thunder, Marusha oder Frank Zander dazu? Was bewegt einen Redakteur
zu dieser offensichtlichen Begeisterung? Kennen sie seine Texte nicht oder
haben sie keine Probleme mit einem Song mit dem Titel "Arschfick-Song", der
detailreich die Vorzüge analer Vergewaltigungen von Mädchen und Männern
besingt?

"...Es fing an mit 13
und na Tube Gleitcreme
dann muss man nicht erst lockern
und kann ihn gleich rein schieb´n.
Kathrin hat geschrien vor Schmerzen
mir hat´s gefallen
ich hab gelernt man kann ne Hand reinschieben
und dann ´n Bein
ich hab experimentiert
Kathrin war schockiert
Sie hat nicht gewusst, dass der Neger Dildo auch vibriert
Ihr Arsch hat geblutet und ich bin gekommen..."

Probleme haben allerdings Lehrerinnen und Lehrer an Berliner Grundschulen,
die die Auswirkungen dieser Musik und ihrer Texte auf ihre Schülerinnen und
Schüler als verheerend beschreiben. Sie erleben, wie diese Gewaltbotschaften
ihre Schülerinnen und Schüler verstören und zugleich abbrühen. Alles was
engagierte Lehrkräfte im Rahmen der Sexualerziehung und der Gewaltprävention
(bei keinem sozialen Thema gibt es derzeit höhere Erwartungen an die Arbeit
der Schulen) vermitteln, wird dagegen zum Lacher: Sensibilisierung für die
eigenen Gefühle, Grenzen anderer wahrnehmen, gegenseitiger Respekt, Ächtung
von (sexueller) Gewalt als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen -
Themen, die in pädagogischen Fachkreisen als unverzichtbar gelten, um
Mädchen und Jungen zu einem sozial verantwortlichen Umgehen miteinander zu
befähigen. Themen, die dem Zynismus und der Verachtung solcher Texte nicht
standhalten können. Deshalb kommen Lehrkräfte zu der Einschätzung, dass das
Phänomen Sido ihren Kinderschutzauftrag berührt.

Zugegeben, die Musikbranche hat keinen pädagogischen, sondern allein
unterhaltenden Auftrag. Aber wie unterhaltend ist anale Vergewaltigung? Wohl
gemerkt: Die Kritik richtet sich nicht gegen Analverkehr als sexuelle
Praxis, sondern gegen sexuelle Gewalt. Wie vereinbart ein Frank Zander sein
soziales Engagement für Obdachlose mit seiner unverhohlenen Bewunderung für
seinen Musikerkollegen mit seinen im radikalen Sinne unsozialen, nämlich
menschenfeindlichen Botschaften? Und was fällt einem Journalisten ein, in
der gleichen Zeitung, die im Chor mit den anderen Medien die Brutalisierung
der Jugend beklagt und vermehrte Anstrengungen gegen die Gewaltbereitschaft
der Jugendlichen und Kinder von Schulen und Elternhäusern verlangt, seine
Begeisterung kund zu tun für einen Musiker, der mit seinen Texten derartige
pädagogische Arbeit in den Dreck tritt? Was will uns der deutsche Sportbund
damit sagen, wenn er in seinen Öffentlichkeitskampagnen dafür wirbt, dass
Sport Kinder stark macht, stark gegen Drogen, stark gegen Gewalt, wenn sich
zugleich stadtbekannte Sportler mit ihrer wichtigen Vorbildfunktion, für
einen sexuelle Gewalt verherrlichenden Musiker engagieren?

"... Da kam der erste Rapper
der dachte er sei besser
als jeder von der Sekte,
und als ich dann in ihm steckte,
hat er geweint und gesagt es tut ihm leid
für ihn war´s ne Blamage
für mich ficken in Extase...
... Ich wollte den Kerl schon
sein Loch war schon ganz blau,
und dabei fand ich raus,
er kann blasen wie ´ne Frau..."

Sido wird am 12. Februar nicht mit seinem Arschficksong an den Start gehen,
sondern mit einem anderen Titel, aber das ist nicht entscheidend. Denn zum
einen ist dieser Song über den Handel oder als Download auf seiner Homepage
für jedes Kind zugänglich. Zum anderen signalisiert Sidos Auswahl für den
"Bundesvision Song Contest" und seine breite gesellschaftliche Akzeptanz,
dass einer wie er sich auch einen Arschficksong erlauben kann, ohne seinen
Idolstatus zu verlieren. Wieviel Doppelmoral darf man Kindern eigentlich
zumuten?