Der Artikel im Bochumer Lokalteil der WAZ vom 27.10.2006 "Die Dezernentin
soll gehen" ist im Original zu finden unter:
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Der Text des Beitrages:
"Die Dezernentin soll gehen"
Das fordert Bochumer "Kinder-Anwalt" von der Sozialdezernentin, weil sie das Jugendamt nicht genug unterstützt
habe. Viele Mitarbeiter seien überfordert, es fehle an Stellen. Der Tod von Justin zeige dies
"Da platzt mir der Kragen", Thomas Paßmann, der Bochumer "Anwalt der Kinder" ist empört
über die Verlogenheit im Fall des kleinen Justin: "Die Sozialdezernentin betreibt in der Öffentlichkeit
Schönfärberei. In ihrem Amt wird nur ein Mangel verwaltet. Die Jugendamts-Mitarbeiter sind völlig
überarbeitet, weil sie überhaupt nicht genug Unterstützung erhalten. Nicht finanziell, nicht personell",
berichtet der 41-Jährige. Der Fall des misshandelten Jungen mache die mangelnde Koordination im Amt grausam
deutlich.
Für den Juristen Thomas Paßmann gibt es hier nur noch eine akzeptable Lösung: "Die Sozialdezernentin
soll ihre Stelle frei machen." Sofort. "Sie muss die Veratwortung übernehmen und nicht auf ihre
gut arbeitenden Mitarbeiter schieben."
Fast täglich habe Paßmann, der als Verfahrenspfleger im Familiengericht arbeitet, mit den Mitarbeitern
des Jugendamtes zu tun. In zahlreichen Gesprächen beklagen diese fehlendes Personal, Überstunden und
mangelnde finanzielle Ausstattung. "Gerade in sozialschwachen Stadtgebieten wie Wattenscheid, Langendreer
oder Dahlhausen häufen sich die Fälle von Vernachlässigung in den Familien. Hier nehmen die In-Obhutnahmen
von Kindern drastisch zu", berichtet der Jurist und Sozialarbeiter.
In Wattenscheid, so sei auch dem Jugendbericht zu entnehmen, gibt es doppelt so viele In-Obhut-Nahmen von Kindern
als im Vorjahr. "Wer soll die denn alle gut betreuen?", fragt Paßmann - wenn keine einzige neue
Stelle geschaffen werde. "Die derzeitigen Mitarbeiter können nur noch ihre Überstunden-Meldungen
beim Jugendamtsleiter auf dem Tisch stapeln."
Das Budget reiche in Problem-Stadtteilen hinten und vorne nicht. Die Sozialdezernentin Sophie Graebsch-Wagener
hatte gegenüber der Öffentlichkeit genau das Gegenteil behauptet, man habe nie mit dem Budget gegeizt.
Die Personalausstattung sei hinreichend. (WAZ berichtete) Dem widerspricht der Paßmann entschieden: "Das
ist Quatsch. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass das Jugendamt bei der Betreuung oft die billigere Lösung
bevorzugen muss." So führten knappe Geldmittel häufig dazu, dass nicht ausreichend geschulte Sozialarbeiter
in Familien geschickt würden. "Das ist preiswerter als eine Heimunterbringung."
Das Jugendamt sei per Gesetz verpflichtet, den anvertrauten Kindern ein Leben zu bieten, das sie an der Gesellschaft
teilhaben lässt. "Dafür muss das zuständige Dezernat auch die Strukturen schaffen", fordert
der Jurist.
In der vergangenen Zeit, so berichtet Thomas Paßmann, habe er zunehmend Fälle auf dem Tisch, die sich
um Verwahrlosung und Misshandlung von Kindern drehen. In 80 Prozent gehe es um Sorgerechts-Verfahren, in nur 20
Prozent um Scheidungsfälle. "Das war früher anders", sagt er. Und: "Die Fälle werden
immer komplexer." Da sei die Arbeit der Jugendamts-Mitarbeiter besonders hoch zu schätzen. "Denen
muss man nicht in den Rücken fallen."
Bildunterschrift:
Thomas Paßmann arbeitet für das Familiengericht. Er vetritt die Rechte der Kinder. Foto: WAZ, Ingo Otto
Von Alexandra Trudslev