Presseerklärung

Vorläufige Bilanz des Besuchs einer Überlebenden der Shoah in Bochum

Seit dem 1.11. ist Orna Birnbach aus Tel Aviv in Bochum, um in Schulen und anderen Einrichtungen von ihrem Leidensweg und demjenigen der Juden in deutschen Konzentrationslagern, von Zwangsarbeit und den Bochumer NS-Prozessen zu berichten. Dabei kommt sie mit einigen Tausend SchülerInnen ins Gespräch. Nicht erst die antisemitischen Gewalteskalationen in diesem Sommer haben uns dazu veranlasst, sie hierher einzuladen. Die Mitteilung über den geplanten Besuch stieß bei Lehrenden wie Lernenden und Kulturschaffenden von vorn herein auf großen Zuspruch.

Versuche, öffentliche Gelder der Stadt zur Finanzierung der Reise und des Aufenthalts von Frau Birnbach einzuwerben, sind bislang gescheitert. Hier zeigt sich der offenkundige Unwille des Bürgermeisters und einzelner Mitarbeiter des Bochumer Büros Agenda-21, Initiativen im Sinne des landesweiten Programms "Toleranz und Zivilcourage" zu fördern. So hat Herr Stüber auf offener Straße gegenüber Frau Schiele erklärt, er werde ein solches Projekt nicht unterstützen: „Sie laden ein, und ich soll bezahlen". Dass über die Finanzierung solcher Projekte offenbar nach dem Königsprinzip entschieden wird, zeigt auch das Verhalten des Mitarbeiters im Agenda-21-Büros, Wilhelm Heckmann, der zugleich Mitarbeiter von Herrn Stüber ist und es mit diesem Hinweis ablehnte, zu unserem Antrag auf Projektförderung Position zu beziehen. Dagegen hat die Programmgruppe von Agenda-21 das Projekt für förderungswürdig erklärt und eigentlich könnte jetzt ein Teil der beantragten Mittel ausgeschüttet werden. Gegenüber der Programmgruppe hat jetzt immerhin einer der Leiter des Agenda-21 Büros, Jürgen Löwer, eine allerdings eigenwillige und völlig gegensätzliche Haltung eingenommen, die eine Ablehnung unseres Antrags doch noch ermöglichen soll, wofür er sich offenkundig ganz persönlich engagiert. Einerseits beruft er sich dabei auf Bestimmungen der Agenda-21 (die seine Programmgruppe mitausgearbeitet hat!), doch er teilte auch mit, dass Frau Birnbach schließlich vor drei Jahren schon mal in Bochum gewesen sei. Zudem zeige die Stadt ohnehin sehr viel Engagement im Themenfeld NS.

Dass Frau Birnbach jetzt zu anderen Schülern als 1998, wenn auch an denselben Schulen spricht, will ihm erst gar nicht erst in den Sinn kommen. Vielmehr schwenkt er ein in die Beschwörung der Normalität des 'deutsch-jüdischen-Verhältnises', wie wir sie seit der Walser-Bubis-Debatte verstärkt erleben. So liefert sein Verhalten und dasjenige von Herrn Stüber weitere Indizien dafür, dass die vom Ministerpräsidenten zu recht geforderten Maßnahmen zur Bekämpfung von Intoleranz, Rechtsradikalismus und Antisemitismus auch die Amtsstuben mit einbeziehen sollte. Dass sich gerade in der sogenannten ‚Mitte der Gesellschaft' heimliche Sympathieträger antisemitischer Einstellungen tummeln, zeigen die Äußerungen der Rektorin einer Bochumer Schule: Sie vertrat die Meinung, dass Frau Birnbach hier nach Deutschland käme, um sich persönlich zu bereichern. Jenseits aller Verlautbarungen von Politikern aller Couleur in diesem Sommer, möglichst sofort und unbürokratisch Initiativen - insbesondere auch solche von Bürgerinnen und Bürgern - zu unterstützen, reagiert die Stadt auch bei der Vergabe der vom Land zugewiesenen Mittel in der Höhe von 400.000,- DM so, als ginge es hier um die Vorbereitung einer weitreichenden Verwaltungsreform. Auch ohne diese Sondergelder hätte die Stadt ihre Möglichkeiten einsetzen können. Aber vielleicht, so kann vermutet werden, will Herr Stüber solche Projekte wie das unsrige gar nicht unterstützen, weil es nicht seinen Vorstellungen von der Förderung von "Toleranz und Zivilcourage" entspricht? Er kann sich im Falle einer solchen Haltung jedenfalls auf die leitenden Mitarbeiter des Büros Agenda-21 verlassen. Es ist erfreulich, dass wir jenseits dieser Erfahrungen von Schulen und zahlreichen Bochumer Bürgerinnen und Bürgern großen Zuspruch für unser Projekt erfahren.
Wir möchten noch einmal an die Stadt und an das Bochumer Büro Agenda-21 appellieren, ihre ablehnende Haltung gegenüber unserem Projekt zu überdenken. Es geht hier nicht um eine Widergutmachung für Frau Birnbach, die in den 60-er Jahren bei den NS-Prozessen am Bochumer Landgericht mit weiteren jüdischen Zeugen zusammen mit den Angeklagten in einem Bochumer Hotel untergebracht wurde. Vielmehr erhalten Tausende BochumerInnen die Gelegenheit, eine der letzten Überlebenden der Shoah kennen zu lernen - eine Veranstaltungsreihe, die laut Wolfgang Clement jede Unterstützung verdient – nur nicht die der Stadt?

Andreas Disselnkötter (Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie")
Karin Schiele (GEW-Bochum)
Kontakt: 0234-311642 oder 0234-331249