Brief von Andreas Disselnkötter und Karin Schiele (den EinladerInnen von Orna Birnbach) an die Mitglieder des Rates der Stadt Bochum vom 11.11. 2000

 

An
die Mitglieder
des Rates der Stadt Bochum

 

Thema: Der Besuch von Frau Orna Birnbach in Bochum (1.11.-11.11)

 

Sehr geehrte Mitglieder des Rates der Stadt Bochum,

überrascht und erfreut haben wir am 9. November der Ansprache des Oberbürgermeisters Stüber entnommen, er werde gegebenenfalls den Besuch von Frau Orna Birnbach finanziell unterstützen. Damit ist gegenüber früheren Verlautbarungen des Büros des Oberbürger-meisters eine neue Situation eingetreten, die wir angesichts seiner bisherigen Schreiben nicht haben absehen können. Hier wurde lediglich für einen späteren Zeitpunkt die Entscheidung über die Bewilligung/Nicht-Bewilligung von Mitteln in Aussicht gestellt.

Im Zusammenhang mit der medienöffentlich und durch zahlreiche Bochumer Bürgerinnen und Bürger bekundeten Betroffenheit über die Ignoranz von Herrn Stüber gegenüber dem Besuch von Frau Birnbach bzw. ihrem Engagement im Sinne des Aktionsprogramms für "Toleranz und Zivilcourage", hat es nicht allein unser Gast als ausgesprochen abweisend empfunden, dass der Bochumer Oberbürgermeister oder andere Repräsentanten der Stadt Bochum bis heute keine persönliches Wort an Frau Birnbach gerichtet haben. Für sie ist Bochum ein besonderer Ort. Hat sie doch zwischen 1964 und 1974 insgesamt in NS-Prozessen viermal am Bochumer Landgericht ausgesagt. Damals wurden die jüdischen Zeugen gemeinsam mit den Angeklagten, ehemaligen SS-Angehörigen, im selben Hotel untergebracht.

Die einzigen Worte, die Herr Stüber bis heute zu dem zweiten Besuch von Frau Birnbach findet, sind von Eitelkeit und mangelndem Gespür für den Leidensweg der Juden auch nach dem NS geprägt. Diese Erfahrung kommt auch in dem Schreiben von Frau Birnbach an den Ministerpräsidenten des Landes NRW zum Ausdruck, der sich ganz persönlich – gleich dem Wittener Oberbürgermeister – an sie gewandt hat und zusätzlich eine finanzielle Unterstützung in ankündigte. Inzwischen haben wir einen Zuweisungsbescheid über DM 4000,- erhalten. Umso erstaunlicher ist der Verweis den Fraktion SPD, Herr Clement solle den Besuch unterstützen (9.11.00).

Wir können heute nicht nur auf den großen Zuspruch von Bochumer Bürgerinnen und Bürgern verweisen, sondern auch auf die spontane Bereitschaft der Bochumer Bevölkerung, uns angesichts des Verhaltens von Herrn Stüber sowie einiger Verwaltungsbeamten auch finanziell zu unterstützen.

Insofern sind wir vor dem Hintergrund der bewilligten und in Aussicht gestellten Mittel nicht darauf angewiesen, auf Herrn Stübers Angebot vom 9. Nov., einzugehen. Allerdings möchten wir darauf zurück greifen: wir beabsichtigen eine von den SchülerInnen (ca. 3000) erstellte Dokumentation und allen an dem Besuch beteiligten zur Verfügung zu stellen. Bitte überprüfen Sie Ihre Möglichkeiten, diesen Teil des Projekts zu unterstützen.

Unser Dank gilt denjenigen Mitgliedern des Rats, die offenkundig dazu beigetragen haben, dass der Oberbürgermeister sich zuletzt offenbar dazu aufgefordert sah, doch noch einen Satz zu dem Besuchsprogramm zu äußern: auch wenn er lediglich auf sich selbst und mögliche finanzielle Engpässe einging, nicht aber auf Frau Birnbach.

Mit freundlichen Grüßen

 

Andreas Disselnkötter & Karin Schiele