Ruhr-Nachrichten, Bochum, v. 29.11.05

Abend voller Dissonanzen

Langendreer "Wenn wir nicht mutig genug sind, uns der Vergangenheit wie erwachsene Menschen zu stellen, dann sind wir auch nicht reif genug, uns dem zu stellen, was ich als das wahre Böse unserer Zeit betrachte."
Eigentlich war es als Lesung mit anschließendem Konzert geplant, doch der Auftritt des israelischen Schriftstellers und Musikers Gilad Atzmon am Sonntag im Bahnhof Langendreer entwickelte sich anders als erwartet.
Statt aus seinem neuen Roman zu "My one and only Love" (Meine eine und einzige Liebe) zu lesen, wollte Atzmon lieber über das Buch und dessen Entstehungshintergründe erzählen. "In Israel", so der seit 1994 im Londoner Exil lebende Atzmon, "wird man eingesperrt, wenn man nicht mit der offiziellen Meinung übereinstimmt". Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Vergangenheit. In seinen Büchern versuche er, diese Vergangenheit neu zu arrangieren.
Hitzige Debatte
Was folgte, war eine hitzige Debatte zwischen dem Literaten und dem Publikum, in deren Verlauf mehrere Zuschauer unter Protest den Saal verließen. Atzmon bezeichnete die uns bekannte Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust als eine komplette, von Amerikanern und Zionisten initiierte Fälschung. Der wahre Feind sei nicht Hitler, sondern Stalin gewesen. Die Deutschen sollten dies endlich erkennen und sich nicht länger schuldig und auch nicht verantwortlich fühlen. "Ihr seid die Opfer", meinte Atzmon.
Massive Kritik
Die Bombenangriffe auf deutsche Städte hätten stattgefunden, weil die Amerikaner diese Bomben besaßen und einsetzen wollten. Und genauso sei es auch in Vietnam und heute in Afghanistan und im Irak gewesen. Das wahre Böse unserer Zeit seien George W. Bush, Tony Blair und Ariel Sharon.
Besonders heftig entbrannte die Diskussion, als Atzmon die Zahl der während des Holocausts umgekommenen Juden in Frage stellte und argumentierte, es gäbe "keinerlei forensischen Beweis" dafür, dass diese wirklich 6000000 betragen habe. Eine These, die ihm massive Kritik seitens des Publikums einbrachte.
Schließlich unterbrach Frank Schorneck, Veranstalter des Festivals, das Streitgespräch, um den musikalischen Teil des Abends einzuleiten. Doch den im Saal verbliebenen Zuhörern war die Lust auf die durchaus beeindruckenden Jazz-Improvisationen von Atzmon und "The Orient House Ensemble" sichtlich abhanden gekommen. - tho