Rede von Lutz Berger, VVN-BdA zur Ausstellungseröffnung "Sinti und Roma in Bochum - verachtet, vertrieben, verfolgt" Zunächst einmal möchte ich mich bei allen bedanken, die bei der Erstellung der Ausstellung geholfen haben. Da ist das Kulturbüro, dass mit einer finanziellen Spritze alles er's möglich gemacht hat, da sind die Archive, aus denen wir Dokumente bekommen haben, da ist die Familie Rosenberg, die uns Unterlagen zur Verfügung gestellt hat. Nicht zuletzt aber möchte ich mich bei Käte Wissmann bedanken, die für das Design der Ausstellung verantwortlich war, und die dies, wie ich glaube, hervorragend gemacht hat. Heute vor 62 Jahren wurden überall in Bochum, Wattenscheid und Wanne-Eickel Sinti- und Romafamilien in aller Frühe aus dem Schlaf gerissen und mit LKWs zum Güterbahnhof Nord gebracht. Jetzt um diese Zeit waren sie unterwegs in Richtung Osten, der Hunger und der Durst war um diese Zeit sicherlich schon groß, die Enge im Viehwagen, der Eimer, auf denen man seine Notdurft verrichten konnte, das alles war ein Vorgeschmack auf das, was sie in Auschwitz erwartete. Meine Tochter, die vor kurzen mit italienischen Juden über Ihre Zeit in Auschwitz gesprochen hatte, sagte mir, dass sie die Zigeuner beneidet hatte, weil sie ja wenigstens ihre Familien bei sich hatten, dass dort Kinder waren, die trotz allen Grauens dort spielten. Sie schilderten aber auch den Schrecken, den sie verspürten, als nach der Liquidierung des Zigeunerfamilielagers sich dort eine quälende Stille ausgebreitet hatte. Das Grauen von Auschwitz ist kaum zu beschreiben, aber auch, wenn man das Ganze dort kaum glauben mag, es ist Teil unserer Geschichte, und es hilft uns nicht, wenn wir es leugnen oder mit Gleichgültigkeit darüber hinweg gehen. Auschwitz zeigt uns, wohin Hass, Rassismus und Menschenverachtung führen. Aber auch Auschwitz hat seine Geschichte. Sinti und Roma waren bereits lange bevor die Nazis an die Macht gekommen sind, verhasst. Ähnlich wie die Juden. Sie waren Nomaden, weil sie niemand haben wollte. Versuche, sie Sesshaft zu machen, scheiterten immer wieder daran, dass keine Stadt sie wollte, sesshaft sollten sie werden, aber bitteschön, nicht hier bei uns sondern woanders. Auch in Bochum hatten Sintofamilien versucht, sesshaft zu werden. Sie ließen sich von dem Schreinermeister Jansen auf dessen Grundstück einige Baracken bauen. Aber das Grundstück lag neben einer Schule, der katholische Elternverein strengte ein Verfahren gegen Janzen an, das bis nach Berlin ging. Dort sprachen Richter Recht und sorgten dafür, dass die Sintofamilien vertrieben werden konnten. Auch 1995 sprach ein Richter am Amtsgericht Bochum Recht. Er sagte, dass Zigeuner als Nachmieter nicht akzeptiert werden müssen. Es ist hinlänglich bekannt, dass diese auf Grund ihrer fahrenden Lebensweise keine ausreichende Perspektive für ein Mietverhältnis bieten. Die Urteil wurde rechtkräftig. Auf diesen Rassenhass konnten die Nazis nach 1933 aufbauen. Genau so, wie sie sich vor Jüdische Geschäfte stellten, um zum Boykott aufzufordern, bekämpften sie auch Sinti und Roma. Das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes galt für Juden sowie Sinti und Roma. Auch in Bochum wurden die gesetzlichen Regelungen entsprechend umgesetzt. So steht im Verwaltungsbericht der Stadt Bochum 1934 unter dem Abschnitt des Gesundheitsamtes: "Das zur Pflege einer erbgesunden Rasse und zur Ausschaltung erbkranker Glieder durch den nationalsozialistischen Staat erlassene Reichsgesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 hat das Gesundheitsamt vor neue Aufgaben erheblichen Umfangs gestellt. Das Gesundheitsamt ist bei der Durchführung dieses Gesetzes, das vermöge seiner bevölkerungspolitischen Bedeutung auf weiteste Sicht eingestellt ist, auf die Mitwirkung weitester Kreise angewiesen. Die Einleitung der Verfahren auf Unfruchtbarmachung, die Beantragung der Entscheidungen bei den zuständigen Erbgesundheitsgerichten und die Durchführung der Verfahren erfordert neben den ärztlichen Erhebungen eine umfangreiche Verwaltungsarbeit." So wurden viele Sinti und Roma Opfer von Zwangssterilisationen. Juden gab es in Deutschland mehr als eine halbe Million, Sinti und Roma gab es viel weniger, und so konnte man diese lückenlos überwachen und Rassehygienische Forschung an ihnen betreiben. Die Polizei hatte ja schon früher umfangreiche Karteien mit den Personalien von allen Sinti und Roma erstellt. So konnte dann Roman Ritter von der Rassenhygienischen Forschungsstelle durch das ganze deutsche Reich ziehen und alle aus dieser minderwertigen Rasse vermessen, katalogisieren und begutachten. Essenz dieser wissenschaftlichen Forschungsergebnisse war die Einsicht, dass es am besten wäre, diese Familien nachdem sie in Wanderhöfen gesammelt und gesichtet wurden, von der Polizei in geschlossenen Kolonien unterzubringen. Ein familiäres Zusammenleben wäre dort nur nach vorangegangener Sterilisation zu gestatten. Die Karteien dieser menschenverachtenden Wissenschaftler dienten nach der Befreiung von den Faschisten noch als Auskunftei der Behörden in den sogenannten Wiedergutmachungsverfahren. Sie wurden außerdem noch von der Polizei als Landfahrerakten zur Schikanierung von Sinti und Roma benutzt, und das noch Jahrelang nach der Befreiung vom Faschismus. Ganz so frei waren wir dann doch nicht. So steht z.B. in dem Bescheid des Regierungspräsidenten von Arnsberg an den Rom Siegfried Rosenberg: (ich zitiere:) Wer ihre Erben sind, ist hier im Entschädigungsverfahren nicht feststellbar, denn die verstorbene V. (gemeint ist die Verfolgte Mutter von Siegfried Rosenberg) hat offenbar, wie aus der Bescheinigung (Gutachtliche Äußerung) der rassehygienischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes in Berlin-Dahlem vom 11.9.1941 hervorgeht, in Zigeunerehe mit Johann Rosenbergzusammengelebt. Ob der A. (gemeint ist der Antragsteller) tatsächlich ein Abkömmling der verstorbenen V. ist, kann ... ebenfalls nicht festgestellt werden. Der Regierungspräsident (immerhin steht sein Name im Kopf des Schreibens) schämt sich nicht, Entschädigungsansprüche mit pseudowissenschaftlichen Gutachten der Nazis abzulehnen, seine Schlüsse sind auch noch so dumm, dass man förmlich merkt, wie er sich bemüht, Entschädigung für Zigeuner zu bewilligen. Die Verfolgung der Sinti und Roma begann auch nicht erst mit dem Himmlererlass vom 16.12.1942, mit dem die Deportation aller Sinti und Roma nach Auschwitz angeordnet wurde. Bereits am 26. Januar 1938 veranlasste Himmler die Aktion "arbeitsscheu Reich" nach der 2000 arbeitscheue in Schutzhaft genommen wurden und dann in Konzentrationslager verschleppt wurden. Meist waren es Sinti und Roma, die als Arbeitsscheue direkt von ihren Arbeitsstellen weggeholt worden sind. Am 1. Juni 1938 wurde angeordnet, aus jedem Kriminalpolizeibezirk mindestens 200 männliche arbeitsfähige Personen in Vorbeugehaft zu nehmen und in Konzentrationslager zu bringen. Wieder waren es Sinti und Roma, die darunter waren. Dabei war der Maurer Jakob Bernd, der mit seiner deutschen (oder muss ich arischen Freundin sagen, denn Jakob Bernd war doch auch Deutscher) zusammenlebte, die ein Kind von ihm erwartete. Heiraten durften die beiden nicht, das war damals Blutschande. Jakob Bernd wurde nach Buchenwald geschickt, wo er noch vor dem Gericht die Vaterschaft anerkannte, und von dort aus nach Mauthausen, wo er am 19. Februar 1942 umkam. In der Entschädigungssache die für seinen Sohn durch die Mutter angestrengt worden ist, schrieb die Stadt Bochum, Amt für Wiedergutmachung am 28.März 1956: "Zigeuner, die bereits im Jahr 1938 inhaftiert wurden, sind in der Regel nicht aus rassischen Gründen verfolgt worden. Demnach kann der A. (gemeint ist der Antragsteller) nicht in den Genuß der beantragten Entschädigung erlangen. Weitere Untersuchungen erübrigen sich daher." Abgesehen davon, dass Jakob Bern auf der Baustelle verhaftet worden ist, als "Arbeitsscheuer" ins KZ gekommen ist und dort elend verreckt ist, meint der Entschädigungsausschuss wirklich, dass es gerechtfertigt ist, einen Menschen so zu behandeln, wie es die Nazis taten? Warum wird die Entschädigung dann nicht gezahlt. Es ist ja ohnehin nur der lächerlich geringe Betrag von 150 Mark für einen vollen Monat in Unfreiheit. Für den Tod eines Menschen gab es gar nichts. Wie viel großzügiger ging der Staat mit seinen Soldatenwitwen um? Oder mit den Ehefrauen von SS-Männern, die unendliche Verbrechen ausgeübt hatten. Sie bekamen Renten und Pensionen, die einem Verfolgten nie gewährt wurden. Sinti und Roma waren selbst in der Wehrmacht nicht geduldet. Wurden sie zunächst noch eingezogen - nachdem sie vorher einen Schein unterschrieben hatten, dass weder sie selbst, noch ihre Eltern und Großeltern Juden sind, änderte sich das schon bald. Sie wurden entlassen, als Grund sagte ein Stempelabdruck in den Wehrpässen "wegen irrtümlicher Einstellung". Viele kamen von der Front weg in Konzentrationslager, Bochumer Sinti und Roma kamen wieder in die Heimat zurück und arbeiteten in der Rüstungsindustrie, bis sie am 11.März 1943 nach Auschwitz deportiert wurden. Der Sinto Heinz Lagerin hatte in seinem Entschädigungsverfahren einen Bericht über diese Deportation geschrieben. Die Schreiben war eine Gegendarstellung zu der Aussage des Kriminalpolizeiwachtmeisters Stemmann, der sich während der Nazizeit Sinti und Roma gegenüber besonders grausam und sadistisch gezeigt hatte. Nach dem Krieg war er weiter bei der Kripo, machte dort seinen Persilschein und durfte dafür durch seine Aussagen in Entschädigungsverfahren Sein altes Klientel weiter schikanieren. Der Bericht von Heinz Lagerin ist der einzige Bericht, der uns vorgelegen hat. Er schildert auch nicht die Qualen des Transports, weil sich der Ausschuss dafür gar nicht interessiert hatte. Peter und Michael Pfaus mit ihren Familien sowie ihrer Mutter Apollonia Pfaus wurden erst am 21. Oktober 1943 nach Auschwitz gebracht. Für ein Wiedergutmachungsverfahren, das Albert Pfaus im Namen der anderen Überlebenden angestrengt hatte, schrieb der Polizeipräsident von Bochum am 11. Juni 1960: "Über die Appolonia Pfaus, geb. am 18.1.1878 oder 79 in der franz. Schweiz, sind hier keine Unterlagen vorhanden. Aus der Personenakte der Josefine Pfaus, geb. am 24.4.1924 in Kirchensall, sowie sonstiger Aufzeichnung der Familienmitglieder Pfaus geht eine Überführung der Appolonia Pfaus in das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz nicht hervor. Aufgrund der dienstlichen Kenntnisse des damaligen Sachbearbeiters steht jedoch mit Sicherheit fest, daß die Appolonia Pfaus s. Zt. gemeinsam mit ihrem Sohn Peter Pfaus und dessen Familie ( Ehefrau und Kinder) in das KL Auschwitz transportiert worden ist. Der Abtransport erfolgte, wie bereits im dortigen Schreiben erwähnt, am 21.10.1943. Die Appolonia Pfaus soll sich bei der damaligen Verhaftung ihres Sohnes Peter aus freiem Entschluß nicht von diesem getrennt haben, da sie sich angeblich weigerte, ihren Sohn und dessen Familie, mit denen sie bis dahin zusammenlebte, zu verlassen. Sie soll sich auch dem Sammeltransport nach Auschwitz freiwillig angeschlossen haben. Ob und wann die Einlieferung der Appolonia Pfaus in das KL Auschwitz erfolgte, ist hier nicht bekannt." Nach Appolonia Pfaus ist seit dem Herbst letzten Jahres der Park an der Windmühlenstraße benannt. Ihr Name steht dort stellvertretend für alle Sinti und Roma, die von den Nazis verfolgt worden sind. In einer Aktion, die die VVN - BdA durchführte um für eine solche Benennung zu werben, hatten Neonazis Hakenkreuze und die Hetzparole "Zigeuner - Diebe und Volksparasiten" geschrieben. Nazis hetzen immer noch. Auch auf der Zusammenrottung am 26.6.2004 sagte der NPD Funktionär Claus Cremer unter den Augen von 2 Staatsanwälten: "Im Weltnetz fand ich gestern einen Antifa-Artikel, in dem uns und damit auch mir unterstellt wurde, etwas gegen Linke, Juden, Homosexuelle, Obdachlose, Zigeuner etc. zu haben. Liebes Antifagesocks, diese Aussage stimmt nicht, ich habe gar nichts gegen Obdachlose." Die Staatsanwälte hatten daran nichts auszusetzen, Claus Cremer zog wenig später in das Bezirksparlament in Wattenscheid ein und kandidiert gemeinsam mit dem NPD-Vorsitzenden Voigt zu den Landtagswahlen. Wegen einer anderen Aussage in der genannten Hetzrede wurde er vor kurzen zu einem Jahr Gefängnis auf Bewähung verurteilt. Wenn wir hier der verfolgten Sinti und Roma gedenken, sollten wir uns bewusst machen, dass Rassenhass in unserer Gesellschaft wirklich keinen Platz haben darf. Das bedeutet auch, dass es keinen Platz für Neonazis geben darf, die danach drängen, das Werk ihrer Vorgänger zu vollenden. Unser Grundgesetz ist aus den Erfahrungen im Faschismus entstanden, es ist im Kern antifaschistisch. Und es enthält das Recht und sogar die Pflicht für Jeden zum Widerstand gegen Faschisten. |