Dr. Ralf Feldmann 
Richter am Amtsgericht                                                

Bochum, 2.4.03    

 

 

 

Herrn
Axel Schäfer
Mitglied des Deutschen Bundestages
44801 Bochum

 

 

Lieber Axel Schäfer,

warum bricht Euer Widerstand, wenn Bomben fallen und Menschen sterben? Warum helft Ihr denen, die töten, und nennt sie Freunde? Warum ist Rechtsbruch für Euch nicht Rechtsbruch: warum kämpft Ihr nicht für Völkerrecht und Grundgesetz?

Die UN-Charta verbietet Krieg grundsätzlich. Gewalt ist nur im eng begrenzten Ausnahmefall der Selbstverteidigung gegen einen unmittelbaren Angriff und stets nur unter der Kontrolle des UN-Sicherheitsrates erlaubt. Die Resolution 1441 ermächtigt nicht zum Krieg: sie droht ernsthafte Konsequenzen an, falls der Irak vorhandene Massenvernichtungswaffen nicht zerstört. Diese Formulierung wurde – daran kann nach der Entstehungsgeschichte kein Zweifel bestehen – bewusst gewählt, weil sich der Sicherheitsrat die Entscheidung über einen Krieg weiter vorbehalten wollte. Ohne UN-Mandat ist der Krieg völkerrechtswidrig.

Wir müssen uns durchaus der Diskussion stellen, ob das Völkerrecht kriegerische Gewalt gegen unerträgliche Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen sollte und ob gegen internationalen Terrorismus ein „völkerrechtliches Polizeirecht“ entwickelt werden muss. Die Herrschaft über Auslegung und Anwendung eines solchen weiter entwickelten Völkerrechts muss aber der Sicherheitsrat haben; darüber dürfen nicht eine oder mehrere Mächte allein entscheiden. Und die völkerrechtliche Antwort gegen internationalen Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen muss ihre kompromisslose Ächtung sein, auch wenn sie sich in den Händen der Großmächte befinden. 

Völkerrechtswidrig ist der Krieg auch dann, wenn man sich auf die Doktrin des „vorbeugenden Schlages“ einließe, mit der die Kriegsherren das Völkerrecht aufweichen wollen. Krieg darf immer nur das allerletzte Mittel sein. Die Fortschritte der UN-Inspektionen verbunden mit einem vernünftigen Zeitplan boten nach der Einschätzung der beiden Leiter der Inspektoren die Chance einer Abrüstung ohne Krieg. Nun droht - im absurden Gegensatz zum vorgegebenen Ziel - der Einsatz von Massenvernichtungswaffen im Krieg.

Warum zieht Ihr Sozialdemokraten – so Bundeskanzler Schröder im Interview mit der Wochenzeitschrift Die Zeit vom 27.März – diesen völkerrechtlichen Befund in Zweifel? Warum sagt Euer Vorsitzender nicht  klar und eindeutig wie etwa Präsident Chirac oder der Papst, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig ist?  Recht ist ethisches Minimum, Völkerrecht ethisches Minimum für das Zusammenleben der Völker. Warum billigt Euer Vorsitzender in dem Interview den Kriegsherren in Washington und London moralische Integrität zu?

Warum tut Ihr nicht, was das Grundgesetz gebietet? Nach Artikel 25 Grundgesetz sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Nach Artikel 26 Grundgesetz sind Handlungen, die geeignet und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges auch nur vorzubereiten, verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen. Im Gegensatz dazu nennt Euer Vorsitzender die Beteiligung am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak „Erfüllung von Bündnispflichten“. Von Frankfurt aus werden Soldaten und Kriegsmaterial ins Kriegsgebiet transportiert. In unserem Land  starten jene Tankflugzeuge, um die schwer beladenen militärischen Frachtflugzeuge und B-52-Bomber aufzutanken. Aus Großbritannien kommend dürfen diese Riesenbomber mit ihrer besonders todbringenden Ladung unser Land überqueren. Hunderte von Lastwagen, Planierraupen, Kräne und Sattelschlepper mit Tausenden Soldaten bewegten sich bereits ungestört durch unser Land Richtung Krieg. Bundeswehr und Bundesgrenzschutz ersetzen die Kriegsteilnehmer bei der Bewachung militärischer Anlagen. Das alles soll nicht Beihilfe zu einem völker- und verfassungswidrigen Angriffskrieg sein?

Wenn ein guter Freund, der Deine Garage gemietet hat, dort Benzin abholt, um das Haus des Nachbarn anzuzünden, antwortest Du dann: „Aber er hat doch ein Wegerecht!“, und lässt es geschehen? Kommen wir hier der Antwort darauf näher, warum die Bundesregierung, so der Regierungssprecher, von der Inanspruchnahme unseres Landes für den Krieg nichts wissen will?

Rechtlich ist es eine bewusste Irreführung, Bündnispflichten über das Grundgesetz zu stellen. Im Verteidigungsbündnis Nato gibt es keine Verpflichtung zur Unterstützung der Führungsmacht in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Zudem stehen nach den Nato-Verträgen die Verfassungen der Einzelstaaten über den Bündnisverpflichtungen. 

Lieber Axel Schäfer, ich zweifle überhaupt nicht daran, dass Du wie die allermeisten Mitglieder Deiner Fraktion und Partei diesen Krieg innerlich  verabscheuen. Die Bundesregierung war im politischen und diplomatischen Ringen lange standhaft. Du bist als Mitglied des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages besonders dafür verantwortlich, jederzeit für Verfassung und Völkerrecht einzutreten. Deshalb erwarte ich besonders von Dir, Deiner Fraktion und der Bundesregierung, dass Ihr in diesem schrecklichen Krieg das Völkerrecht unzweideutig anerkennt, das Grundgesetz befolgt und – nicht länger mitmacht.

Ich würde es begrüßen, wenn Du bereit wärest, durch eine Initiative im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages den Vorschlag zu unterstützen, die Vereinten Nationen  zu veranlassen, den Völkerrechtsbruch vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Vielleicht können auch Deine guten Beziehungen in Europa für einen solchen Vorschlag nützlich sein.

Mit freundlichem Gruß

Ralf Feldmann