Berlin, im August 2000


Ruck nach rechts

Zur Augenmaßlosigkeit der NPD-Verbotsdiskussion und anderer repressiv schäumender Härteformeln

Eine Erklärung des geschäftsführenden Vorstands des Komitees für Grundrechte und Demokratie

(1) Panikwellen schwappen als Politikersatz immer erneut über die Öffentlichkeit, füllen sie aus. Trefflich ist es, wenn sie hierbei sogleich gähnende Sommerlöcher füllen.

Irgendein unschönes, ja schlimmes Ereignis passiert. Und dann blasen pausbäckig Medien, mehr oder minder amtliche Politiker und sogleich alle möglichen berufenen VertreterInnen aller möglichen Gruppen. Und das Ereignis wird zur Welle. Ein Welt schlimmer Ereignisse, voll der Gefahren. Niemand der sich ihm entziehen kann. Nicht einmal wir.

Manche Ereignisse eignen sich besser als andere zur Panikmache. Solche vor allem, die Schleusen gestauter Vorurteile öffnen lassen. Dazu gehören in Sonderheit Vorurteile gegen Ausländer und Fremde (und solche, die mit sexuellen Abweichungen vom Pfade anscheinshafter Normalität zu tun haben, gar sexuelle Gewalt).

Also befinden wir uns gegenwärtig mitten in einer Panikwelle. Ihr Wellenkamm scheint freilich schon überschritten. Ihre weniger direkten als indirekten Folgen stehen weithin noch aus. Sie müssen alle diejenigen kümmern, denen es wahrhaft um Menschenrechte und Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland zu tun ist. Und zwar um deren Realität, nicht um deren symbolische Inszenierung.

(2) Rechtsextremisten vor den Toren, so schallt es aus allen Gazetten und Kanälen. Da tut es nichts, wenn in Sachen Düsseldorfer Anschlag beispielsweise die Strafverfolgungsbehörden noch gänzlich im Dunkeln tappen. Ein „rechtsextrem" motivierter Anschlag, eine „Beziehungstat"? Welche Chance Talkshows zu füllen. Ernst wird geredet, mit ganzer Sohle auf der freiheitlich demokratischen Grundordnung aufgetreten. Einhalt gilt es aller Ausländerfeindlichkeit und „rechten" Gewalt zu bieten. Und zwar jetzt und sofort. Der „Konsens der Demokraten" in diesem edlen Lande stellt sich unversehens ein. Und sie bilden die übergroße Mehrheit. Niemand kann sich diesem - sozusagen atmosphärisch politisch aufgeherrschten - Konsens entziehen. Offenkundig vor allem diejenigen nicht, die eher „links", wenigstens „linksliberal" stehen und darum im Kampf gegen „rechts" wie automatisch die Wort- und Verbots-Faust ballen (auch weil sie in jüngst vergangener Gegenwart selbst immer wieder von allen möglichen restriktiven Maßnahmen bedroht und mit regierungsamtlich abgesicherten Vorurteilen verhängt worden sind).

Im Konsens der Demokraten also Aufbruch gegen „rechts". Bewegung vom Bundeskanzler bis zum ´letzten´ Gemeindebürgermeister. Und selbstredend allen couragiert zur Courage aufgerufenen Bürgerinnen und Bürgern. Diesen „rechten" Gruppierungen, Parteien und ihren vorurteilshaft gewaltförmigen Äußerungen ist endlich hier und heute und morgen Paroli zu bieten. Und das heißt - wenngleich je nach Situation und Position verschieden laut und leis, entschieden und differenziert verlangt: zu allererst Verbot all dessen, was irgend verbietbar ist; heißt, wenn schon keine neuen Gesetze verabschieden, so doch die bestehenden restriktiver und „mit aller Härte" (Otto Schily, Bundesminister des Innern) auslegen und anwenden. Verbot, Verhinderung, Strafe - wie entschieden und streitbar Demokraten, Grundrechtskämpfer in diesem Lande endlich auftreten. Es ist eine Lust angesichts von so viel Übereinstimmung, so machtvollem Politiker- und Bürgermut bundesdeutsche Demokratie zu erleben. Da wird den „Rechten" ihre arge Lust schon vergehen. Die Bundesrepublik Deutschland wird endlich ein Land in dem das 1993 nur vorübergegehend verschrumpelte Grundrecht auf politisches Asylrecht ausgiebig wahrgenommen werden kann; in dem jede und jeder Staatsbürger(in) werden kann, der sich eine Zeitlang im Lande aufhält und will; ein Land, das sich als Einwandererland begreift und allen Minderheiten extensiv die eigenen bürgerlichen Rechte zugesteht.

(3) Halt ein. So war der „Ruck gegen rechts" nicht gemeint. Welch ein Missverständnis. Verbot, Verhinderung, alle Härte bestehender Gesetze, Strafe sind gegen die „anderen" gerichtet: die rechten Jugendlichen, die stiefelbeschwerten Glatzköpfe, die Internet-Missbraucher, die machtvolle Partei, die sich selber NPD nennt und schon seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik wuselt. „Wir Demokraten" haben damit nichts zu tun. „Unser" Verhalten ist ohne Fehl und Tadel. „Wir" müssen alle das regierungsamtlich im Frühjahr dieses Jahres aus der Taufe gehobene „Bündnis für Toleranz" endlich beleben. „Wir" müssen selbiges vor allem mit den nötigen Anwehr- und Ausgrenzungszähnen und -zäunen versehen. Um der Toleranz willen. „Unserer" Toleranz.

Das ist denn auch des nicht allzu wolligen Pudels Kern, seine magere, krummbeinige Gestalt. Die kleine Panikwelle gegen rechts soll von all dem ablenken, wie - vom amtierenden Bundeskanzler an über die etablierten Parteien, die diversen Landesregierungen, die freistaatlich bayerische an der Spitze - dabei mitgeholfen worden ist und mitgeholfen wird, Vorurteile gegen Ausländer zu produzieren, Bedingungen rechter Gewalt zu flechten. Ja, mehr noch. Die inszenierte, medial als Lochauffüller und kurzsichtig wie die politisch amtlichen Vertreter unterstützte ´Panikwelle gegen rechts´ soll dazu herhalten, die innere Aufrüstung durch repressive Gesetze und Einrichtungen zu verstärken bzw. endlich zu nützen. Denn das, was die rechts-verfolgungssüchtige Leiterin der Abteilung für politische Strafsachen bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts Frankfurt/Oder jüngst in der ansonsten mitblinden Frankfurter Rundschau sagte, gilt für die Bundesrepublik und ihre Gesetzes- und Institutionen-´Lage´ allgemein: „Eine weitere Erhöhung des Repressionsdrucks halte ich in meinem Landgerichtsbezirk für nicht mehr möglich" (in FR vom 4.8.2000 unter der sprechenden Überschrift: „Wir grasen ab, wir sammeln ein, wir schliessen weg". Die Brandenburger Juristin Petra Marx über die harte Frankfurter Gangart nach rechts" Ob das übrigens nicht selbst eine „rechte", ein vorurteilstriefende Sprache ist?).

Der Kampf gegen rechts, zu dem in diesen Wochen kräftig aus allen möglichen Jagdhörnern zum bundesweiten Halali geblasen wird, ist also selbst rechtsgerichtet. Er soll, als wäre der Kalte Krieg nicht ein Jahrzehnt lang vorbei, „streitbare Demokratie" so praktizieren lassen - und dafür ein gutes legitimatorisches Gewissen und Ruhekissen schaffen -, daß Demokratie und Grundrechte eingeengt werden. Selbst von Sondergerichten war schon die Rede. Er soll außerdem vom eigenen, gesetzlich gemachten ausländerfeindlichen Verhalten ablenken. Auch darum der Ruf: Haltet die rechten Gewalttäter. Also signalisiert der Kampf gegen rechts einen weiteren Ruck der bundesdeutschen „Mitte" nach rechts. Und sie, diese „Mitte" ist das Problem, um die sich Demokraten und Menschenrechtler kümmern müssen. Nicht die ekelhafte NPD und deren unsinnig kontraproduktives und dazuhin scheinheiliges Verbot bzw. die Verbotsdiskussion über die altneubraune NPD.

(4) Muß im August 2000 in der Tat daran erinnert werden, in welchem Ausmaße und welcher dauernden Arbeit die offizielle Bundesrepublik Deutschland und ihre wahrhaften Repräsentanten nicht nur das Feld bestellt und gedüngt haben, auf dem Vorurteile kräftig zu wachsen vermochten, sondern selbst eine immer erneute Politik des Vorurteils betrieben haben? Im Sinne des permanenten Appells an den inneren Schweinehund der Bundesdeutschen, ihren DM-Nationalismus und ihre ererbten, habituell weiter sozialisierten Vorurteile. Demokratie ist nicht zuletzt eine Sache des guten Gedächtnisses (Kurt Schumacher).

Biederleute als Brandstifter:

- Die allweil verkündete Lebenslüge der Bundesrepublik: „Deutschland ist kein Einwanderungsland!".

- Die bis zum amtierenden Bundesminister des Innern schier unendlich wiederholte Geschichte vom bundesdeutschen „Boot", das angeblich zum Kentern „voll" ist (neuerdings kann man via Green-Card munter, wenngleich zeitlich befristet, zusteigen. Wer Lücken sieht und wer sie füllt, das bestimmen selbstredend die bundesdeutsche ökonomischen Interessen. Wen kümmern schon weltweite Migrations- und Fluchtbewegungen).

- Eine Ausländerpolitik, die seit ihren Anfängen 1965 (erste bundesdeutsche Ausländergesetz mit starker Kontinuität zum Nazi-Ausländergesetz von 1938) durch eine überaus human kostenreiche Kontinuität des Irrtums ausgezeichnet ist. Als könne man kräftige (1965) und PC- effektive (2000) Arbeitskräfte, niemand sonst versteht sich, in die Bundesrepublik hereinrufen und sie dann - „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen" - wieder hinauskomplimentieren. Als Arbeitsbienen erwünscht, nicht als Bürger.

- Eine Asylpolitik, die schon vor 1993 das Grundrecht auf politisches Asylrecht bis zur Unkenntlichkeit auszehrte und die, CDU/FDP geführt, jedoch sozialdemokratisch akzeptiert und mitgetragen, seit dem 1. Juli 1993 den Grund- und Menschenrechten systematisch ins Gesicht schlägt (zuvor war von der CDU/FDP-Regierung die Asylflutwellenpanik in Gang gesetzt worden). Entgegen der Säulennorm des Grundgesetzes wird die Würde des Menschen dauernd angetastet. Entgegen dem Recht auf Leben und Integrität werden Lebensrecht und Integrität von gefährdeten Menschen dauernd riskiert (von den negativen Effekten in Sachen Schlepperbanden, illegalisierter Einwanderung, damit verbundener rücksichtsoser Ausbeutung u.ä.m. nicht zu reden).

- Seit 1990 ist im westdeutschen Ruckzuck und westdeutsch borniert eine Vereinigungspolitik betrieben worden, die vielen Bürgerinnen und Bürgern, und hierbei auch gerade den jüngeren unter ihnen, nahezu keine Chance ließ, Demokratie zu lernen und das angeschlagene Selbstbewußtsein verändernd zu gewinnen.

- Arbeitsmarkt, Bildungs- und Jugendpolitik suchen den Jugendlichen keine eigenen Räume sozialer Relevanz zu eröffnen, sondern lassen nur die bange Wahl zwischen flexibel-mobil-Funktionieren und bildungsarm/arbeitslos vegetieren.

Und so weiter, und so fort. Wem es tatsächlich darum zu tun ist, schon als solche gewalthaltige Vorurteile und vollends Drohungen und Akte physischer Gewalt gegen andere zu reduzieren und nicht mehr gesellschaftsfähig zu machen, der Muß in der herrschenden Mitte ansetzen und dem Versuch wehren, dieselbe vollends zur wohllegitimierten Festung auszubauen. Wo blieb denn der nun sich auch im Kampf gegen rechts profilierende Herr Stolpe , als er sich in Gollwitz hätte zeigen und mit den dortigen und anderen Bürgerinnen und Bürgern eine andere Politik beginnen sollen? Er saß personengeschützt in den wohl bestuhlten Räumen seiner Residenz zu Potsdam. Die Feigheit der politischen Repräsentanten, sich den wahren Problemen zu stellen, bedrückt am meisten. Diese Feigheit zu vertuschen, wird die Parole „Haltet die rechten", die morgen auch wieder anders gefüllt werden mag, aus der allemal offenen Tasche gezogen.

(5) Verbot, Verbot, Verbot, Strafe, Strafe, Strafe, Einschränkung, Einschränkung, Einschränkung - so hallt es durch die beblätterten und bebilderten Lande. Nicht Sicherung gegen rechts ist die gewisse Folge; vielmehr die weiter verengte Herrschaftssicherung.

• Also geht es erneut gegen das Demonstrationsrecht, die einzige Bürgerinnen und Bürgern kollektiv mögliche politische Äußerung unterhalb des bürgerlosen repräsentativen Absolutismus.

• Also sollen alle möglichen Überwachungen, grundrechtwidrig veränderte Grundrechte a la Lauschangriffe, Internetkontrollen (auch wenn sie meist unwirksam sind) u.ä.m., wenn nicht neu installiert werden (die gesetzlichen Vorkehrungen und deren schier unbegrenzte Auslegungsfähigkeit sind bei weitem genug), so doch bürgerwidrig strikter angewandt werden.

• Der Bundesgrenzschutz soll sich hierbei vollends zur Bundespolizei mausern, so wie die Verfassungsschutzämter einen lergitimatorischen Purpurmantel überworfen erhalten, der diesen Bürger ausspähenden Ämtern, demokratisch kropfunnötig wie sie sind, schlechterdings nicht zukommt.

Gegen rechts, gegen rechts tönt es flötenweich durch die bundesdeutschen Lande. Selbst wenn man die Grund- und Bürgerrechte „rechts" gesinnter Bürgerinnen und Bürger weniger ernst nähme, als wir dies tun, die wir uns deswegen umso mehr mit ihnen und gegen ihre miese Vorurteilspolitik auseinandersetzen, selbst dann müßte man doch endlich, wenn schon nicht regierungsamtlich, so doch demokratisch rechtstaatlich merken, daß mit diesem repressiven Ruck gegen rechts der grundgesetzlich fundierte Rechtsstaat massiv gefährdet wird. Und, übrigens gerade auch die schwächsten der Schwachen, die Ausländerinnen und Ausländer, die Illegalisierten, die Asyl Suchenden.

Nein! Eindeutig und klar: Diese gezielte Panikmache gegen rechts betreiben wir nicht mit. Sie führt in die Irre. Sie gefährdet bewußt unbewußt den demokratischen Rechtstaat. In der Sache, nämlich in Richtung Abbau gewalttätiger Vorurteile, in Richtung einer Umorientierung von Jugendlichen bewirkt sie nichts oder nur Negatives. Menschenrechtlich demokratisch kann es allein darum gehen, dauernd und unablässig ein Mehr an verwirklichten Menschenrechten, ein Mehr an demokratischer Beteiligung einzuklagen. Und dafür unter anderem, auch gegen den erneut versuchten Abbau dieses wichtigen Grundrechts, gewaltfrei mit allen sonstigen Mitteln zu demonstrieren.

Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr

Prof. Dr. Roland Roth