Presseerklärung, Bochum 5. Juli 2002
Mit Druck zu mehr Jobs?
Halt! Möchte man rufen, Halt! Seit wann schafft die Wirtschaft
neue Arbeitsplätze, wenn der Druck auf die Arbeitslosen erhöht wird?
Die Hartz-Kommission verbreitet den Eindruck, es läge nur am gutem Willen der Arbeitslosen und einigen
neuen Instrumenten des Arbeitsamtes und schon würden Arbeitgeber massenhaft Personal einstellen. Das können
doch selbst Fachleute nicht glauben!
So wächst der Verdacht, dass ganz andere Ziele im Blick
sind: Senkungen der Leistungen für Arbeitslose, Bereinigung der Statistik. Das wurde schon erfolgreich in
Holland so gemacht – und alle loben das vorbildliche Land!
Zum Beispiel Arbeitsamtsbezirk Bochum (Zahlen vom 6.6.2002):
30.682 Menschen suchen Arbeit.
Hinzu kommen
Teilnehmer in beruflichen
Weiterbildungs- und Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahmen, die Arbeit suchen. Dem stehen 1.161 gemeldete offene Stellen
gegenüber.
Wenn innerhalb von zwei bis drei Jahren die Arbeitslosigkeit
halbiert werden soll, müssten in Bochum mehr als 15.000 neue Jobs entstehen. Statt dessen wird angedroht, dass Arbeitsplätze wegen schlechter Auftragslage
abgebaut werden müssen. Hinzu kommt der Wegfall von Arbeitsplätzen durch Konkurse und Rationalisierung.
Angst vor Arbeitsplatzabbau geht um u.a. bei Opel, beim Starlight-Express in Bochumer Banken und Handwerksbetrieben
und in der Metall-Industrie.
Verstehen wir die Hartz-Kommission richtig, dass sie keine
neuen Arbeitsplätze schaffen, sondern nur die Arbeitslosenzahlen verringern will?
Und wenn das nicht klappt, dann sind es mal wieder die Arbeitslosen
selbst, an denen es liegt.
Denn das Hartz-Konzept verlagert die Verantwortung auf die Einzelnen. Wer sich keinen Arbeitsplatz besorgen kann, ist selbst schuld. Eigenverantwortung ist das Zauberwort.
So werden soziale Probleme gelöst: Arbeitslose sind selbst
schuld, Kranke sind selbst für ihre Gesundheit zuständig (Gesundheitsreform), Personen im Rentenalter
müssen für sich selbst vorsorgen (Rentenreform à la Riester). Die großen Volksparteien beerdigen
Solidarität und soziale Gerechtigkeit. Sie sind sich des Beifalls vieler sicher und hoffen auf deren Wählerstimmen.
Wie mag es aber denjenigen gehen, die jetzt schnell zustimmen,
wenn sie selbst betroffen sind? Wenn sie selbst die rote Karte sehen, ohne die soziale Sicherheit dastehen und
gezwungen sind, ihre Zukunft allein auf ihre Eigeninitiative
zu gründen? Und dazu noch eine „Riester-Rente“ zu finanzieren
haben? Und beim Zahnarzt kräftig zuzahlen?
Die Erwerbsloseninitiativen von Ver.di, Werkschlag und
der IGM, die Beratungsstelle für Arbeitslose und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt der Evangelische
Kirche von Westfalen, der mit der Diakonie seit vielen Jahren Beschäftigungsprojekte betreibt und
Arbeitslose berät, kennt die Probleme vieler Menschen, die nie gedacht hätten, selbst einmal arbeitslos
zu werden.
Wir warnen davor, das Problem der Arbeitslosigkeit zu individualisieren
und die Arbeitslosen selbst für ihre Misere verantwortlich zu machen. Das Defizit von rund 7 Millionen Arbeitsplätzen
darf nicht wegreformt werden.
In Bochum bemühen sich Vereine, in Beschäftigungsprojekten
sinnvolle Arbeit beson-ders für diejenigen anzubieten, die sonst kaum eine Chance haben, auf dem Arbeits-markt
einen Job zu bekommen.
Wird die Hilfe nun immer mehr auf die „vermittlungsnahen“ Projekte
konzentriert, auf die noch Fitten und die Forschen, fallen wir weit hinter das zurück, was wir im Rahmen der
sozialen Marktwirtschaft erreicht hatten.
Für Rückfragen stehen
zur Verfügung:
Hans-Peter Brandt (Sprecher der
Erwerbsloseninitiative Ver.di), Friedrichstraße 14, 44866 Bochum,
Tel.-Nr.: 02327/20815
Rose Richter (Kirchlicher Dienst
der Arbeitswelt), Wittener Str. 242, 44803Bochum, Tel. 0234/35 00 92