Alle gläsern ? Gleichzeitig mit Hartz IV tritt ein engmaschiges Überwachungssystem in Aktion. Durchleuchtet werden nicht nur Arbeitslosengeld-II-Bezieher, ihre Kinder, Ehe- und Lebenspartner. Alle Inhaber von Konten werden von neu geschaffenen Zentralstellen KEZ (Konten-Evidenz-Zentrale) erfaßt. Seit 1999 können Arbeits- und Sozialämter erfahren, ob die Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitslosen- sowie Sozialhilfe ihren Banken Freistellungsaufträge erteilt haben. Diese Regelung wurde 2002 erweitert - eine neue zentrale Erfassungsstelle. Alle Geldinstitute müssen seitdem der KEZ über eine Computer-Schnittstelle online jederzeit alle Informationen über Konten und Depots von aller Bankkunden bereithalten. (Kreditwesengesetz - KWG - § 24c) Die Abfragen durch die Behörden gehen so vor sich, dass nicht nur die Konteninhaber, sondern auch die Banken nichts davon bemerken. Die zugänglichen Daten bestanden zunächst nur aus den Stammdaten: Name und Adresse des Konteninhabers, Geburtsdatum und die Art seiner Konten. Einzelne Geldbewegungen und der Kontostand gehörten nicht dazu. Jetzt sind wir bei Hartz IV: Die Daten über Konten und Erträge, so beschloß die Bundesregierung termingerecht, stehen ab 2005 nicht nur den Finanzämtern, sondern auch den Sozialämtern und der Arbeitsagentur zur Verfügung, "wenn eigene Ermittlungen keinen Erfolg versprechen" (Abgabenordnung, § 93, Abs. 8). So können die Zahlstellen nicht nur alles über die Konten und Erträge der Leistungsempfänger erfahren, sondern auch über Konten der Kinder, Ehepartner u. Mitbewohner. Durch Zentralisierung, einheitliche Identifikationsnummer und gegenseitige Amtshilfeverpflichtung entsteht ein Schnüffel- und Meldesystem, das den "gläsernen Bürger" Wirklichkeit werden lässt, wie es ihn in Deutschland bisher nicht gab. Die Konten-Evidenz-Zentrale erhält durch ein weiteres Großprojekt erst ihre durchschlagende Wirkung: Die neue Identifikationsnummer. Zum schnelleren Datenabgleich verpaßt das Bundesamt für Finanzen zentral jedem Steuerzahler eine solche Nummer. Sie gilt ab 1.April 2005. Die einheitliche Steuernummer gab es bisher nicht. Jeder Bürger bekommt nun eine solche Nummer, lebenslang. Der Staat verfügt damit über ein Überwachungsinstrument, das dem Innenministerium verweigert wurde, weil dem eigentlich der Datenschutz entgegensteht. Die einheitliche bundesweite Steueridentifikationsnummer wird in der Praxis zur allgemeinen Bürger-Kenn-Nummer. Denn auf die Daten der KEZ haben eben nicht nur die Finanzämter Zu- griff, sondern auch die Zahlstellen des ALG II, also Sozialämter und Arbeitsagenturen. Die Daten müssen von den Banken und Ämtern täglich aktualisiert und zum automatisierten Zugriff bereitgehalten werden. Und das alles, ohne daß der Ausgespähte und selbst die jeweilige Bank etwas davon erfahren. Die Betroffenen müssen über die Datenerhebung und die Weiterleitung nicht unterrichtet werden, weil das einen "unverhältnismäßigen Aufwand" bedeuten würde. Dennoch ist dieses System nur scheinbar einheitlich. Das wird deutlich anhand der EU- Zinsrichtlinie: Ab 1. Juli 2005 tauschen 22 EU-Staaten Informationen über Zinserträge von Ausländern aus. Dort wird angeblich die Steuerhinterziehung bekämpft. Doch die Informationen sind hier wesentlich geringer als in der "Erträgnisaufstellung" deutscher Banken über deutsche Konteninhaber, und die traditionellen Steuerfluchtstaaten nehmen an dem Informationsaustausch überhaupt nicht teil. Außerdem werden nur Zinsen, also die altertümlichste Form des Kapitalgewinns, erfaßt, nicht jedoch Aktiengewinne, kumulierende Fonds, Gewinne aus Hedgefonds und Derivaten und andere moderne Gewinnformen. Zudem werden nur individuelle Privatkonten erfaßt. Wenn dagegen eine Luxemburger Bank, für die zwei Millionen Euro eines deutschen Geldanlegers eine Briefkastenfirma gründet, z.B. einen Trust in der britischen Finanzoase Guernsey, dann werden deren Gewinne nicht erfaßt, selbst wenn es sich um Zinsen handeln sollte. Somit wird nur die Unterklasse der Geldanleger von der neuen EU-Steuer erfaßt. |