Herrn
Leitenden Oberstaatsanwalt
Bernd Schulte
Bochum
Offener Brief
Strafverfahren gegen Johannes Bienert - 33 Js 30/05 - 131/05
Sehr geehrter Herr Schulte,
der Deutsche Gewerkschaftsbund Bochum (DGB) und die in ihm organisierten
Bildungsgewerkschaften Erziehung und Wissenschaft Stadtverbände Bochum
und Wattenscheid (GEW) sehen sich veranlasst, zu dem am 03.11.2005
stattfindenden Prozess gegen Johannes Bienert öffentlich Stellung zu
nehmen. Der Angeklagte ist 76 Jahre alt. Gegenstand der Klage ist die
Durchführung einer Gedenkfeier am 9.November 2004 anlässlich des 66.
Jahrestages der Reichspogromnacht in Wattenscheid. Diese Veranstaltung,
die seit 15 Jahren zum Gedenken an die jüdischen Opfer stattfindet, wird
von Johannes Bienert organisiert und durchgeführt. Bei der Veranstaltung
wird ein Kranz mit den Schleifenaufschriften :"9. November 1938 - Die
Erinnerung muss das Vergessen besiegen." "9. November - Damit die Nacht
nicht wiederkehre." und den Namen der Mitveranstalter durch einen
kleinen Teil der Wattenscheider Fußgängerzone getragen und dann an der
Gedenktafel in Wattenscheid niedergelegt. In der Regel, so auch dieses
Mal, spricht Johannes Bienert Worte des Gedenkens, der Trauer und der
Mahnung an die Teilnehmer. Hannes Bienert ist ein politischer Mensch, er
war und ist nicht bequem, er war immer einer von den anderen, er wollte
nie das Öl im Getriebe sein. Er hat einen wachsamen und unbestechlichen
Blick für die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Realitäten in
unserem Lande. Er hat ein selten gewordenes politisches Gewissen und
erinnert uns an unsere Verantwortung, die jeder Deutsche tragen muss,
wenn es darum geht, die ungezählten und ungesühnten Morde, die im Namen
des deutschen Volkes an jüdischen Bürgern begangen worden sind, nicht
aus dem Bewusstsein zu verdrängen und zu vergessen. Für uns, seine
Freunde und Wegbegleiter, bedeutet er viel. Hannes Bienert hat sich
besonders um die Aufklärung der Jugend in den Schulen verdient gemacht.
Unter anderem organisierte er eine große Ausstellung zum Thema
"Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland". In den begleitenden
Texten machte Hannes Bienert deutlich, dass Faschismus nie wieder
theoriefähig und diskussionswürdig- werden darf und nie als Alternative
zu den bestehenden demokratischen Grundlagen gedacht oder vermittelt
werden darf.
Wie will ein Lehrer seinen Schülerinnen und Schülern diese dunkelsten
Kapitel der deutschen Geschichte vermitteln, wenn jemand, der an einem
solchen Gedenktag als Geste gegen das Vergessen als Zeichen der Trauer
einen Kranz niederlegt und dann für sein Tun bestraft wird.
Ein wesentlicher Grundsatz pädagogischer Arbeit ist es, den jungen
Menschen Orientierung und Leitlinien zu vermitteln. Dazu gehört im
politisch-gesellschaftlichen Bereich zwischen Wesentlichem und
Unwesentlichem, zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden zu
lernen. Eine Bestrafung von Johannes Bienert dafür, dass er die
Veranstaltung nicht den Polizei- und Ordnungsbehörden gemeldet hat,
macht das Unwesentliche wichtig und das entscheidend Wesentliche
unwichtig. Jeder Mensch, ob allein oder in einer Gruppe, der sich auf
den Weg macht, am 9.November an einer jüdischen Gedenktafel einen Kranz
zum Gedenken an die Opfer niederzulegen, muss geschützt sein, sowohl vor
den Anfeindungen und Übergriffen unbelehrbarer Rechtsradikaler als auch
vor staatlichen Sanktionen. Unser Appell von DGB und GEW geht an alle am
Verfahren Beteiligten ein Zeichen dafür zu setzen, dass im heutigen
Deutschland für eine solche "Tat" niemand bestraft wird. Es besteht auch
die große Gefahr, dass unsere jüdischen Mitbürger nicht nur in Bochum
das in unseren Staat gesetzte Vertrauen verlieren könnten. Wer jemanden
dafür bestraft, dass er eine Kranzniederlegung an einer jüdischen
Gedenkstätte versammlungsrechtlich nicht korrekt anmeldet, dem kann auch
wieder zugetraut werden, dass er demnächst eine solche Veranstaltung
generell untersagt. Wir würden uns freuen, wenn der Prozess einen guten
Ausgang für die Sache und für Johannes Bienert nehmen wird.
Ludger Hinse DGB-Kreisvorsitzender Bochum
Gert Schäfer GEW Wattenscheid
Karin Schiele GEW Bochum