Bochumer Stadt- & Studierenden Zeitung
30. Juli 2003 • Nr. 607
Wöchentlich erscheinende Zeitung des AStA der RUB

Verhaftet diese Comicfigur
Emily auf der Anklagebank?

Die Bochumer Staatsanwaltschaft hat ein bemerkenswertes Dokument vorgelegt: In einer Anklageschrift gegen den Verantwortlichen der Bochumer News-Site "www.bo-alternativ.de" wird ein letzter verzweifelter Versuch gestartet, den erfolgreichen Widerstand gegen die Nazi-Demo am 22. Februar 2003 zu kriminalisieren. Die Staatsanwaltschaft entblödet sich dabei nicht, gleich eine besonders große Keule auszupacken: "Zur Begehung gefährlicher Körperverletzungen" soll der Beschuldigte aufgerufen haben.
Was war tatsächlich passiert? Auf www.bo-alternativ.de wurde ein Plakat veröffentlicht, mit dem die Bochumer Antifa-Gruppen zu einer von den Bochumer Grünen angemeldeten Gegendemonstration zum Nazi-Aufmarsch am 22. Februar mobilisierten. Auf dem Plakat ist die Kinder-Comic- Figur Emily mit einer Fletsche zu sehen. Hieraus und aus der Überschrift "Naziaufmarsch am 22. Februar in Bochum verhindern!" konstruiert Staatsanwalt Petlalski in seiner Sprache und Phantasie einen "Aufruf, die nicht verbotene Versammlung von Rechtsextremisten durch die Vornahme oder Androhung von Gewalttätigkeiten zu verhindern oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln und stellt sich gleichzeitig als Aufruf an die Teilnehmer der so genannten Gegendemonstrationen dar, bei der öffentlichen Versammlung Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, ohne behördliche Ermächtigung mit sich zu führen und diese zur Begehung von Vergehen der gefährlichen Körperverletzung einzusetzen."
Andere StaatsanwältInnen, Richter- Innen und RechtsanwältInnen halten diese Anklagekonstruktion je nach Standpunkt für lächerlich oder peinlich. Dennoch muss dieser Vorgang ernstgenommen werden. Im vergangenen Jahr ist die Anmelderin einer Antifa- Demonstration in Bochum auf Grund von sehr zweifelhaften Polizeiaussagen verurteilt worden. Sie soll dabei "nur" zur Vermummung aufgerufen haben. Gleichzeitig muss bedacht werden, dass die Ereignisse am 22. Februar für das etablierte Bochum und insbesondere für den Polizeipräsidenten eine erhebliche Schlappe darstellten. Während Parteien, Kirchen und Gewerkschaften auf dem Dr.-Ruer-Platz mit ihrer Protestkundgebung nur einige hundert TeilnehmerInnen anlockten, folgten mehre tausend DemonstrantInnen dem Aufruf, den Nazi-Aufmarsch zu verhindern.

Horrorvisionen?
Genau hiervor hatte aber Polizeipräsident Wenner unablässig gewarnt und immer wieder Horrorvisionen von gewaltbereiten GegendemonstratInnen verbreitet. Die Kriminalisierung des Protestes scheiterte aber völlig. Kaum jemand hörte auf den Polizeipräsidenten und ließ sich von der Teilnahme abschrecken. Die Antifa-Demonstration verlief völlig friedlich. Vor diesem Hintergrund muss die Anklage als ziemlich willkürliche nachträgliche Kriminalisierung begriffen werden. Der Staatsanwalt selbst bezeichnet www.bo-alternativ.de als "ein Informationsforum der so genannten links-alternativen Szene in Bochum". Wäre dies ein Informationsforum der Szene, wenn es ein Antifa-Plakat nicht veröffentlichen würde? Es geht bei dieser Anklage auch um einen Angriff auf die verbliebene Pressefreiheit. In einem anderen politischen Prozess gegen www.boalternativ. de hatte der Vertreter der politischen Polizei (die so genannte Abteilung Staatsschutz) dieses Internetangebot als einzigartig in Deutschland bezeichnet: "Alle KollegInnen in ganz Deutschland beneiden uns, dass wir immer so gut über die Szene informiert sind." Damals befürchtete die Redaktion von www.bo-alternativ.de, ein intelligenter Mensch sei zur politischen Polizei in Bochum gekommen und würde sie nun mit Lob verfolgen. Mit der erneuten Anklageschrift wurde diese Befürchtung aber zerstreut. Staatsschutz und Staatsanwaltschaft arbeiten weiterhin mit der gewohnten primitiven Kriminalisierung.
Paul Merker, Petra Rekrem