Wenn die Oberen vom Frieden reden …

Wenn die Oberen vom Frieden reden …


Dienstag 27.11.07, 13:38 Uhr
LeserInnenbrief an die WAZ vom 27.11.2007:
Zu "Lesung Lammert/ Flimm im Schauspielhaus"

Veranstaltung geriet zur Manipulation

»Was ist aus dem Bochumer Schauspielhaus geworden? Hier wurde die Bühne nicht hergegeben für eine Gruppe, die in dieser Gesellschaft sonst keine Möglichkeit findet sich zu äußern, sondern für gesellschaftlich einflussreiche Männer zur Imagepflege.
Ohne die Anwesenheit des Friedensplenums wäre diese Veranstaltung nicht zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema „Krieg und Frieden“ geworden, sondern zur politischen Manipulation geraten. Welche Funktion sollten wohl die auffällig vielen Türsteher haben? Herrn Lammert zu bewachen, zu beschützen? Das Publikum zu bewachen, zu beschützen? Vor wem eigentlich? Bedrohlich wirkten vor allem die Bewacher selbst. Und wie verträgt sich das alles mit der Tradition unseres Schauspielhauses? Ist das nicht doch ein „Paradigmenwechsel“?«
Christiane Makus


Mittwoch 21.11.07, 08:30 Uhr

Bürgeranfrage des Friedensplenums

Frau
Oberbürgermeisterin
Dr. Ottilie Scholz Bochum

Bürgeranfrage

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

die folgende Bürgeranfrage bitten wir in der nächsten Sitzung des Rates der Stadt Bochum zu beantworten.

Am 11.11.2007 veranstaltete das Schauspielhaus Bochum unter dem Thema “´s ist leider Krieg und ich begehre, nicht schuld daran zu sein“ eine Lesung des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert und des Theaterregisseurs Jürgen Flimm. Dabei protestierten Bürgerinnen und Bürger der Stadt auf Initiative des Bochumer Friedensplenums öffentlich angekündigt gegen die Bereitschaft des Schauspielhauses, dem Bundestagspräsidenten, einem führenden Exponenten deutscher und europäischer Hochrüstung, die Bühne zu öffnen für, wie es hieß, “ein Trugspiel von Schuld und Gewissen“. Nach einer Protestmanifestation, die vor Beginn der Lesung für wenige Minuten vor der Bühne der Kammerspiele stattfand, verlief die Veranstaltung ohne Störung, wie es das Friedensplenum der Theaterleitung angekündigt hatte. Gleichwohl kam es vor und während der Veranstaltung im Foyer und im Saal zu einem massiven Einsatz von Polizei und offenbar privaten Sicherungskräften, die u.a. vorzuschreiben versuchten, in welcher Bekleidung der Saal zu betreten sei, und in Pausen zwischen den einzelnen Lesungsbeiträgen normalste Kommunikation zwischen Zuschauerinnen und Zuschauern mit der Drohung des Saalverweises zu unterbinden suchten.

Wir fragen deshalb:
1.) Wie viele Polizei- und Sicherungskräfte waren in den Kammerspielen und seiner näheren Umgebung wegen der Veranstaltung im Einsatz?
2.) Wer hatte sie angefordert? Wer trug die Verantwortung für die Maßnahme? Hatte die Leitung des Schauspielhauses Einfluss auf den Einsatz? Wann wurde sie über den Einsatz und sein Ausmaß informiert?
3.) Sind dem Schauspielhaus oder der Stadt durch den Einsatz Kosten entstanden, falls ja, in welcher Höhe? Wer sonst muss den Einsatz bezahlen?
4.) War der Einsatz angemessen und verhältnismäßig? Auf welche Weise wird in Zukunft sicher gestellt, dass das Schauspielhaus Bochum gerade auch bei politischen Veranstaltungen ein Ort freier geistiger Auseinandersetzung bleibt ohne Einschüchterung durch Polizei und Sicherungskräfte?

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag des Bochumer Friedensplenums

Annemarie Grajetzky
Ralf Feldmann
Sigrid Schößler
Wolfgang Dominik


Mittwoch 21.11.07, 08:30 Uhr

Fragen des Friedensplenums zum Polizeieinsatz im Schauspielhaus

Ein massives Aufgebot von Polizei- und Sicherungskräften begleitete die Lesung von Bundestagspräsident Norbert Lammert und Theatermacher Jürgen Flimm zum Thema “ `s ist leider Krieg und ich begehre, nicht schuld daran zu sein“, die am 11. November in den Kammerspielen des Schauspielhauses Bochum stattfand.
Das Bochumer Friedensplenum, das dagegen zum friedlichen Protest aufgerufen hatte, verlangt nun von Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz in einer Bürgeranfrage Auskunft dazu, wie viele Sicherungskräfte im Einsatz waren, wer sie bestellt hat, wie teuer die Maßnahme war, wie hoch die Kosten waren und wer sie zu tragen hat. Die Kritik richtet sich vor allem dagegen, dass die Einsatzkräfte vorzuschreiben versuchten, in welcher Kleidung der Theatersaal zu betreten war, und in Pausen zwischen den Lesungsbeiträgen auf jeden Ansatz normalster Kommunikation im Zuschauerraum mit der Drohung des Saalverweises reagierten. Wie wird in Zukunft sicher gestellt, fragt das Friedensplenum, dass das Schauspielhaus gerade auch bei politischen Veranstaltungen ein Ort freier geistiger Auseinandersetzung bleibe ohne Einschüchterung durch Polizei und Sicherungskräfte.


Samstag 17.11.07, 20:00 Uhr
Zu Äußerungen des Bundestagspräsidenten Lammert:

Mörderische Friedenspolitik

Der Bundessprecher der VVN – BdA Ulrich Sander schreibt in einem Leserbrief an die Westfälische Rundschau: »Bundestagspräsident Norbert Lammert von der CDU hat sich laut epd (WR vom 13. November 2007) als Militarist und Geschichtsrevisionist geoutet. Den Vertretern der Friedensbewegung, die es nicht hinnehmen wollten, dass sich der Exponent der Hochrüstung ungestört im Schauspielhaus Bochum in einer literarischen Lesung mit Matthias Claudius Gedicht „’s ist leider Krieg“ beschäftigt, hielt er dies entgegen: „Er sei niemals ein Anhänger antimilitaristischer Friedenspolitik gewesen. Nicht zuletzt angesichts der deutschen Geschichte empfinde er eine solche Friedenspolitik zudem als ‚Menschen verachtend’“. Im Grundgesetz, dem ein Bundestagspräsident verpflichtet sein sollte, finden sich an vielen Stellen antimilitaristische Positionen, die da – angesichts der deutschen Geschichte – auch hineingehören. In mehreren Artikeln (Artikel 25, 139) gibt es entschiedene Absagen an Krieg und Militarismus. Dennoch propagiert Lammert den Krieg als Mittel der Politik. Wäre es nicht angebracht, dass sich die Öffentlichkeit und die Bundestagsfraktionen, die sich über angebliche oder wirkliche Äußerungen des Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse aufregen, der Äußerungen des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert annehmen? Wenn Thierse „hinterhältig“ (Merkel) ist, was ist dann Lammert?«


Dienstag 13.11.07, 23:00 Uhr

Schauspielhofberichterstattung

Als wär‘ die Zeit stehen geblieben. WAZ-Kulturredakteur Werner Streletz schreibt sich die Finger wund, wenn es gegen Frank-Patrick Steckel geht. Selbst dann, wenn Steckel gar nicht anwesend ist. So am Sonntag, als Lammert und Flimm ihre Kriegslesung in Szene setzten. Wie vor 15 Jahren: Streletz will oder kann Steckel nicht verstehen. Während viele andere Kulturredaktionen der Republik Steckels Kritik aufgenommen und ernsthaft diskutiert haben, dass es sehr wohl ein Problem ist, wenn ein Schauspielhaus einem kriegsbefürwortendem Spitzenpolitiker eine Bühne für die Deklamierung von Friedensgedichten bietet, kennt Streletz nur eins: Sag Ja! Ja zum Schauspielhaus, Ja zu Lammert und zu Flimm. Hofberichterstattung pur: Die Artikel im Hauptteil, Lokalteil und der Kommentar „Den Frieden pachten“ von Gudrun Norbisrath, die schon die brave Kritik „Wo die Kanonen blüh’n“ für die Duisburger Aufführung geschrieben hatte.

Wolfgang Dominik hat der WAZ einen Leserbrief geschickt:
»Den millionenfachen Tod durch Rüstung (auch schon im „Frieden“ bzw. Vorkriegszeiten) und dann immer auch im Krieg anzuklagen, wird in der WAZ als „aggressiv“ und „rüde“ bezeichnet. Die Aktionen der Friedensbewegung wurden immer schon von den „Oberen“ diffamiert. Egal, wie friedlich die Friedensbewegung auch agiert, wird sie als störend empfunden und deshalb als „aggressiv“ verurteilt. Das von Streletz inkriminierte alternative Programmheft klärt auf, warum Lammert als „Pate der Todesmaschinen“ bezeichnet wird. Davon erfährt der WAZ-Leser aber nichts. Horst-Eberhard Richter, immerhin mit der IPPNW Friedensnobelpreisträger, erklärt in dem Programmheft lang und breit, wie psychologische Kriegsführung gerade von den „Oberen“ in Deutschland betrieben wird. Dieses Interview mit Prof. Richter wird ebenfalls nicht erwähnt. Wäre ich nicht zufällig in den Kammerspielen dabei gewesen, müsste ich auf die Darstellung in der WAZ hereinfallen. Das Bochumer Friedensplenum zitiert historisch völlig zu Recht Brecht: „Wenn die Oberen vom Frieden reden, weiß das gemeine Volk, dass es Krieg gibt.“ Das ist eine zeitlose Aussage – leider trifft sie für das deutsche Volk in der Regel so nicht mehr zu. Aber auch das analysiert Richter psychologisch absolut exakt.
Es ist zu hoffen, dass wirklich Interessierte sich beim Friedensplenum das Programmheft bestellen, um sich ein differenzierteres Bild der Aktionen und Argumente der Friedensbewegung in den Kammerspielen zu machen. Die WAZ-Beiträge scheinen mir genau zum Brecht-Text zu passen.«
Wolfgang Dominik
Lehrer für Geschichte und Psychologie

bo-special: Wenn die Oberen von Frieden reden…


Pressespiegel zu der umstrittenen Lesung "‘S IST LEIDER KRIEG"
Dienstag 13.11.07, 10:05 Uhr

WAZ-Kommentar vom 13.11.2007

AUF EIN WORT
Den Frieden pachten

Von Gudrun Norbisrath

Die Friedensbewegung hat in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt. Sie war ein Teil der Gesellschaft, den als wohltuend auch empfinden konnte, wer sich ihren Ausdrucksformen nicht anschließen mochte.
Jetzt ist diese Bewegung weitgehend versunken. Warum? Weil die Gesellschaft sich änderte und der Zeitgeist sich drehte; weil andere Werte in den Vordergrund rückten. Dass ein Engagement für den Frieden überflüssig geworden wäre, wird niemand behaupten. Dem Bochumer Friedensplenum ist Grundlauterkeit deshalb nicht abzusprechen, sein Auftritt aber spricht eine fatale Sprache. Eine aggressive.
Und der Anlass ist falsch. Ein hochrangiger CDU-Politiker liest öffentlich Gedichte gegen den Krieg – großartig. Den Frieden hat keiner für sich gepachtet.


Pressespiegel zu der umstrittenen Lesung "‘S IST LEIDER KRIEG"
Dienstag 13.11.07, 10:00 Uhr

Print-WAZ-Artikel vom 13.11.2007 – Kultur

Friedensworte, Kriegsgeschrei

Das Bochumer Friedensplenum attackierte Norbert Lammert und Jürgen Flimm wegen ihrer gemeinsamen Lesung „’s ist leider Krieg“
Von Werner Streletz

Bochum. Als wär’ die Zeit stehengeblieben: Das alternative Programmbuch, das am Sonntag Abend im Kammerfoyer des Schauspielhauses verteilt wurde, sah äußerlich exakt so aus wie die Exemplare, die zu Zeiten von Frank-Patrick Steckel im Umlauf waren. Doch nicht nur beim Programmbuch hatte sich das „Friedensplenum“ vom Bochumer Ex-Intendanten anregen lassen, auch dessen rüden Angriffston hatte es übernommen.

Als „Luzifer der Kultur“ wird ihr Objekt der Abneigung bezeichnet, als „Pate der Todesmaschinen“. Warum diese Attacken wie aus seligen Agit-Prop-Tagen? Bundestagpräsident Norbert Lammert (CDU) und Theatermacher Jürgen Flimm hatten im Schauspielhaus einen Abend mit Texten gegen den Krieg angekündigt, von Gryphius bis Borchert. Das brachte den heute in Berlin lebenden Frank-Patrick Steckel auf die Barrikaden. Er witterte „Heuchelei“, „wenn „Angehörige der kriegtreibenden Bundestagsparteien Texte gegen den Krieg lesen“. Wozu Flimm klar stellte, dass er – anders als Steckel wohl vermutete – „schon vor 20 Jahren“ aus der SPD ausgetreten sei.

Der Bochumer Intendant Elmar Goerden bat vor der Lesung „um respektvollen Umgang miteinander“. Doch das Bochumer Friedensplenum entrollte ein Transparent mit dem Brecht-Vers: „Wenn die Oberen vom Frieden reden, weiß das gemeine Volk, dass es Krieg gibt.“ Nicht sonderlich fair, hat der Stückeschreiber damit im dänischen Exil doch vor Hitler und dem Zweiten Weltkrieg gewarnt. Mit derlei Schaum vor dem Mund tun sich die Friedensbewegten sicher keinen Gefallen. Lammert und Flimm wirkten nervös.

Die Lesung selbst klang, für sich genommen, eindringlich als Appell gegen jedes Kriegsgeschrei. Um eine Brücke zu Norbert Lammert schlagen, rezitierten Lammert und Flimm einen Text von Erich Fried aus dem Programmbuch des Friedensplenums. Doch seltsam: Auch der Vortrag auf der Bühne erinnerte an Antikriegs- Lesungen lang vergangener Dekaden. Als würde gleich „Eve of Destruction“ grollen.

Die anschließende Diskussion wurde vom Friedensplenum dominiert. Wie Lammert zum Krieg stehe, was er sage zur Invasion in den Irak? „Eine antimilitaristische Friedenspolitik habe ich noch nie vertreten“, so der Bundestagspräsident.

Jürgen Flimm beschäftigte derweil eine andere Frage. Mit Entrüstung in der Stimme fragte er in die Runde, was Frank-Patrick Steckel dazu getrieben haben möge, ihn in einem Schreiben als „zweifelhafte Existenz“ zu bezeichnen. Flimm: „Das ist reine Polemik.“ Und überhaupt: „Was ist das für eine Sprache?“

WAZ vom 13.11.2007


Pressespiegel zu der umstrittenen Lesung "‘S IST LEIDER KRIEG"
Montag 12.11.07, 23:50 Uhr

Zeit-Artikel vom 12.11.2007

DIE ZEIT

Politik trifft Kunst: Lammert liest – die Kritiker schäumen

Bundestagspräsident Norbert Lammert und Theatermacher Jürgen Flimm trugen im Bochumer Schauspielhaus unter dem Titel „’s ist leider Krieg“ Texte vor. Anlass genug für das Bochumer Friedensplenum, den Politiker als „Luzifer der Kultur“, „Paten der Hochrüstung“ und „Friedensheuchler“ zu betiteln.

Bochums Alt-Intendant Frank-Patrick Steckel hatte sich zwei Wochen vor der Lesung von Berlin aus zu Wort gemeldet und an das Theater appelliert, die Veranstaltung abzusagen. „Die Bühnen eines Schauspielhauses sind der Vorstellungskunst der Schauspieler vorbehalten – für die Heuchelei von Berufspolitikern und Kunstfunktionären ist da kein Platz“, hatte Steckel erklärt. In zwei offenen Briefen hatte er beide Vortragende zudem als „zweifelhafte Existenzen“ tituliert, deren Auftreten im Schauspielhaus „jede aufrichtige Theaterarbeit kontaminiere“.

„Politische Imagepflege“

Flimm, in den vergangenen drei Jahren Leiter des renommierten Kulturfestivals RuhrTriennale und seit Oktober 2006 Intendant der Salzburger Festspiele, musste sich vom Friedensplenum den Vorwurf gefallen lassen, er sei „Impresario“ für den Bundestagspräsidenten und sorge mit dem gemeinsamen Auftritt für „politische Imagepflege“ des Bochumer CDU-Bundestagsabgeordneten. Zwei große Transparente mit Zitaten von Bertolt Brecht wurden ausgerollt, dann setzten sich die etwa 40 Friedensfreunde zu den übrigen Zuschauern. Weder Lammerts Leibwächter noch die Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes mussten einschreiten.
Flimm wies zu Beginn vor etwa 200 Zuhörern darauf hin, dass die Lesung als Bestandteil der RuhrTriennale in enger Verbindung zu der Inszenierung „Courage“ stand, die im Rahmen des Festivals Uraufführung hatte und vom Leben einer Frau im 30-Jährigen-Krieg erzählte. Alle Texte, die Lammert und Flimm dann zu Gehör brachten, handelten von den Grausamkeiten des Krieges und den Hoffnungen auf Friedensschluss. Dabei erwies sich Lammert als exzellenter Rezitator. Nur zweimal wurden beide Protagonisten durch Zwischenrufe unterbrochen. mehr…


Montag 12.11.07, 16:00 Uhr

Ästhetisierung des Krieges mißlungen

Die Kriegslesung von Norbert Lammert und Jürgen Flimm ging im Bochumer Schauspielhaus nicht so glatt – wie noch wenige Wochen zuvor bei der Ruhrtriennale in Duisburg – über die Bühne. Das Bochumer Friedensplenum störte die geplante Ästhetisierung des Krieges. Eine Hundertschaft der Polizei in der Saladin-Schmitt-Straße, die sich später dezent in den Innenhof des Schauspielhauses verkroch, kahlköpfige Sicherheitskräfte an allen Türen des Zuschauerraums, die manchen Gästen des Theaters nur mit einer Personenkontrolle den Zugang gewährten, boten das pittoreske Ambiente einer „Friedenslesung“.
Ein schweiß-nasser und nervöser Bundestagspräsident und ein wendehalsiger Flimm demonstrierten erfreulich klar, dass es zumindest noch nicht “normal” ist, wenn ein Kriegs- und Rüstungsbefürworter die Bühne der Kammerspiele erklimmt, um sich literarisch zum Thema Krieg und Frieden zu produzieren.
Die Mitglieder des Friedensplenums hatten zunächst im Foyer des Theaters ihr Programmbuch an alle BesucherInnen verteilt. Das Textbuch dokumentiert den Briefwechsel zwischen dem Bochumer Theaterchef Elmar Goerden und dem früheren Intendanten Frank-Patrick Steckel, der in einem Offenen Brief gefragt hatte, was es anders sein könne als Heuchelei, wenn Angehörige der kriegstreibenden Bundestagsparteien Texte gegen den Krieg lesen.
Das Textbuch erinnert daran, welche entscheidende Rolle Lammert für Rüstungsvorhaben wie den Eurofighter und als Ja-Sager zu den Kriegen im Irak, Jugoslawien und in Afghanistan spielte.
Im Saal der Kammerspiele entfaltete das Friedensplenum vor der Bühne ein 10 Meter breites Transparent mit dem Gedicht von Bert Brecht: „Wenn die Oberen vom Frieden reden / Weiß das gemein Volk / Daß es Krieg gibt.”
Zu Beginn der Veranstaltung erläuterte Annemarie Grajetzky für das Friedensplenum die Rolle Lammerts als Paten der Hochrüstung und die Rolle eines Theaters, das einem solchen Politiker die Bühne für Friedensgedichte bietet und ihn begehren lässt, nicht schuld an den von ihm befürworteten Kriegen zu sein.
Den noch in Duisburg gemeinsam gesprochene Satz »Wir Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint.« fehlte in Bochum. Einzig bemerkenswert waren die vielen AufpasserInnen im Saal, die sofort reagierten, wenn auch nur gehüstelt oder getuschelt wurde. Ein langjähriger Theaterbesucher meinte: „So was habe ich noch nie erlebt.“
Die abschließende Diskussion machte deutlich, dass Lammert ein Podium zur Selbstdarstellung gesucht hatte, Flimm sich am liebsten selbst als guten Onkel inszenierte, der versuchte seine Kritiker zu umarmen. Lammert, der nicht als Heuchler gelten möchte, konstatierte, mit einem Kant-Zitat bedrängt, dass die UNO als völkerrechtliches Instrument nicht handlungsfähig sei. Folglich ist für Lammert der kriegerischer Einsatz militärischer Bündnisse ohne UNO-Mandat legitim. Zu seiner Rechtfertigung völkerrechtswidriger Kriegseinsätze der NATO und europäischer Einsatztruppen sagte er, dass die Länder ja nicht wie früher einfach überfallen werden. „Ein Blick in unser Programmbuch,“ so eine Sprecherin des Friedensplenum, „hätte Lammert gezeigt, dass vergangene Kriege, wie z.B. der 1. Weltkrieg, immer ethisch, moralisch und kulturell gerechtfertigt wurden. Das gehört zur Anatomie des Krieges.“ Weitere Fotos von der Aktion.

LeserInnenbrief zum Thema


Pressespiegel zu der umstrittenen Lesung "‘S IST LEIDER KRIEG"
Montag 12.11.07, 14:31 Uhr

WDR-Regionalnachricht Essen vom 12.11.2007

Bochum: Lammert-Lesung in der Kritik

Die Lesung von Bundestagspräsident Norbert Lammert und Theatermacher Jürgen Flimm im Bochumer Schauspielhaus wurde gestern Abend von starken Protesten begleitet. Alt-Intendant Frank-Patrick Steckel hatte sogar gefordert, die Veranstaltung abzusagen. Bei der Lesung trugen Lammert und Flimm Texte zum Thema Krieg und Vernichtung vor. Für das Bochumer Friedensplenum war die Lesung eine Provokation: Bundestagspräsident Norbert Lammert trug kritische Texte bekannter Schriftsteller zum Thema Krieg vor. Dabei, so ein Sprecher der Prostestler, sei der CDU-Politiker für die Einführung des Eurofighters mitverantwortlich. Das Friedensplenum bezeichnete Lammert als einen „Paten der Todesmaschinen“ und entrollte Protest-Transparente. Dagegen sieht Holger Weimar, Chefdramaturg des Schauspielhauses, den Auftritt als wichtige Bereicherung für das Theater. Die Lesung sei ein Brückenschlag zwischen Kultur und Politik.
12.11.07 WDR-Essen


Sonntag 11.11.07, 18:05 Uhr

Gedächtnislücke: Lammerts Universum

»Steckel, den hier keiner mehr kenne und der zu seiner Bochumer Zeit das Theater für den Transport seiner politischen Meinung genutzt habe, wolle dadurch nur auf sich aufmerksam machen.« lamentierte Lammert, der bis 2002 Kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war, über bekannte Gedächtnislücken seiner Zunft in einem gestrigen Bericht bei Radio Bochum 98.5. Der ehemalige Intendant von 1986 bis 1995, Frank-Patrick Steckel, gehört zu den exponierten Gegnern der umstrittenen Kriegslesung »’s ist leider Krieg« von Lammert und Flimm am Schauspielhaus Bochum.
Aber was meint Lammert mit »hier«? Bochum? NRW? Westdeutschland? Die BRD? Mitteleuropa? Die nördliche Hemisphäre? Den Planeten Erde? Den uns vertrauten Teil der Milchstrasse? Unsere kleine Galaxis? Den für uns einsehbaren Teil des Universums?
Die Logik ist im Übrigen die seiner ersten Auslassung: Darf ich, Lammert, auf dem Theater nicht Lyrik etc. vortragen, darf Steckel das Theater nicht zur Verbreitung seiner politischen Meinung nutzen. So zitierten die Ruhrnachrichten eine Frage von Lammert am 24. Oktober: »…warum sich Theatermacher eigentlich politisch äußern dürfen, wenn Politiker nicht auf der Bühne stehen dürfen…«

Das geht am Kern der Sache stracks vorbei und offenbart Lammerts parteipolitisches Kulturuniversum. Die Redaktion ist sehr froh, dass Lammert nicht die Chirurgie als Hobby gewählt hat. Stellen Sie sich das Szenario vor, Lammert möchte mit Hilfe eines getreuen Mediziners tätlich an einer Operation teilnehmen wollen, und die operierende Ärzte und der Patient wehren sich dagegen. Lammert würde diesen Ärzten das Recht auf politische Meinungsäußerung entziehen wollen?
Und Jürgen Flimm? Der schweigt.

Seit 18:00 Uhr protestiert das Bochumer Friedensplenum im Foyer der Kammerspiele und verteilt ein alternatives Programmbuch: Das komplette Buch als PDF-Datei


Sonntag 11.11.07, 17:04 Uhr

Gewaltiger Polizeiaufmarsch für Kriegslesung am Schauspielhaus Bochum

PolizeiaufmarschPolizeiaufmarschGegen 16:00 Uhr fuhren 9 Mannschaftswagen der Bochumer Polizei direkt am Schauspielhaus auf und postierten sich in der Saladin-Schmitt-Straße. Die umstrittene Lesung »’s ist leider Krieg« soll mit Polizeigewalt „geschützt“ werden. Ein Mitglied des Friedensplenum zu dieser Eskalation: „Schön, dass Schäuble keine Panzer und keine Tornados geschickt hat.“


Samstag 10.11.07, 12:42 Uhr

Sag NEIN!

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Du Bühnenarbeiter in Bochum.
Wenn sie dir heute befehlen,
den Vorhang zu öffnen
für den, der Kriege beschließt,
dann gibt es nur eins.
Sag NEIN!

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Du Beleuchter im Theater.
Wenn sie dir heute befehlen,
Licht zu werfen
auf den dunklen Paten der Todesmaschinen,
dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!

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Du Intendant.
Wenn ein Eurofighter dich machtvoll drängt,
ihm u n s e r Haus
für ein Trugspiel von Schuld und Gewissen zu öffnen,
dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!

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Samstag 10.11.07, 12:30 Uhr
Protestaktion des Bochumer Friedensplenums

Die „Kritischen Geister“, die Elmar Goerden ruft, sagen „NEIN“

Titelbild des Programmbuches»`s ist leider Krieg« - und sie begehren, nicht schuld daran zu sein?

Mit der Verteilung eines alternativen Programmbuches wird das Bochumer Friedensplenum am Sonntag, dem 11. November den Protest gegen die umstrittene Lesung von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Jürgen Flimm (SPD) im Bochumer Schauspielhaus einleiten. Unter dem Titel »`s ist leider Krieg – und sie begehren , nicht schuld daran zu sein ?« legt das Friedensplenum entschiedenen Einspruch dagegen ein, einem prominenten Politiker die Theaterbühne „für ein Trugspiel von Schuld und Gewissen zu öffnen“, der an der Durchsetzung militärischer Großprojekte wie des Milliarden verschlingenden Eurofighters in Deutschland und Europa erheblichen Anteil hat. Was Lammert 1995 als Koordinator der Regierung Kohl für die Luft- und Raumfahrt angeschoben habe, werde heute in der europäischen Rüstungsagentur fortgesetzt. Dort sei unlängst 2008 zum Jahr der europäischen Rüstung proklamiert worden und mit der nächsten Generation von Aufklärungssatelliten als Spitzenprojekt, für Lammert, so das Friedensplenum, schon stets eine „Herzensangelegenheit“. Das Textbuch dokumentiert den Briefwechsel zwischen dem Bochumer Theaterchef Elmar Goerden und dem früheren Intendanten Frank-Patrick Steckel, der in einem Offenen Brief gefragt hatte, was es anders sein könne als Heuchelei, wenn Angehörige der kriegstreibenden Bundestagsparteien Texte gegen den Krieg lesen. mehr…


Dienstag 06.11.07, 20:15 Uhr
Wenn die Oberen vom Frieden reden...

Sonderplenum des Bochumer Friedensplenums

Zu einem Sonderplenum für den heutigen Mittwoch, den 7.11.07, lädt das Bochumer Friedensplenum für 19.30 Uhr in den Bahnhof Langendreer ein: »Wir möchten abschließend beraten, wie wir Norbert Lammert und Jürgen Flimm in den Kammerspielen am 11.11. auf ihrem Kriegsabend begleiten. Kommt zahlreich!«


Samstag 27.10.07, 16:00 Uhr

Wenn die Oberen vom Frieden reden…

Weiß das gemeine Volk
Daß es Krieg gibt. (Brecht)

Das Bochumer Friedensplenum trifft sich am Dienstag, dem 30.10. um 19.30 Uhr im Bahnhof Langendreer zu einem Sonderplenum, um abschließend die Aktivitäten für den 11.11. im Schauspielhaus zu planen, wenn Norbert Lammert und Jürgen Flimm zum Thema Krieg und Frieden heucheln wollen.


Pressespiegel zu der umstrittenen Lesung "‘S IST LEIDER KRIEG"
Samstag 27.10.07, 08:00 Uhr

WAZ-Artikel vom 27.10.2007

Steckel legt nach

Bochum. Der frühere Bochumer Schauspielhaus-Intendant Frank-Patrick Steckel hat seinen Nachfolger Elmar Goerden erneut bedrängt, den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) und den Triennale-Intendanten Jürgen Flimm nicht auf die Bühne zu lassen. In einem zweiten offenen Brief forderte Steckel am Freitag Goerden auf, den beiden einen im November geplanten Auftritt im Bochumer Theater mit einer Lesung von Friedensgedichten zu verwehren. Lammert und Flimm seien nicht geeignet, „weil sie den Krieg vertreten“, erklärte Steckel. „Das Auftreten dieser Herren auf dem Arbeitsplatz der Schauspieler kontaminiert, zumal in einem Schauspiel in städtischer Trägerschaft, jede aufrichtige Theaterarbeit“, schreibt Steckel. Lammert und Flimm hätten allenfalls im Zuschauerraum etwas zu suchen.


Pressespiegel zu der umstrittenen Lesung "‘S IST LEIDER KRIEG"
Samstag 27.10.07, 07:55 Uhr

Ruhr Nachrichten vom 27.10.2007

Steckel grüßt aus der „Hauptstadt des Übels“

Bochum. Frank-Patrick Steckel legt nach. In einem zweiten Brief an das Schauspielhaus Bochum hat der ehemalige Intendant seinen Protest gegen den Auftritt von Jürgen Flimm und Norbert Lammert am 11.11. konkretisiert. „Zweifelhafte Existenzen“ wie diese hätten auf der Bühne nichts zu suchen, schreibt Steckel an den Intendanten Goerden, begleitet von einer Aufzählung der Entscheidungen Lammerts etwa zu den Auslandeinsätzen der Bundeswehr. Der Brief schließt „mit ungebrochen solidarischem Gruß aus der Hauptstadt des Übels“. Gemeint ist Berlin. Das Bochumer Friedensplenum unterstützt Steckel und hat beim Theater angefragt, ob bei der Veranstaltung ein Infotisch oder eine Diskussion möglich ist. Steckels Brief habe Sympathie erzeugt, auch bei vielen Schauspielern. „Was bedeutet es, wenn sich das Theater mit den Mächtigen ins Bett legt?“, fragt Martin Budich vom Plenum. Der Streit habe international Aufsehen erregt, auch der österreichische „Standard“ berichtete. BJ
Abschrift


Freitag 26.10.07, 19:29 Uhr
Zweiter Offener Brief an den Intendanten des Schauspielhauses Bochum, Elmar Goerden

»Norbert Lammert und Jürgen Flimm vertreten den Krieg«

In einem zweiten Offenen Brief an den Intendanten des Schauspielhauses Bochum, Elmar Goerden, bekräftigt Frank-Patrick Steckel seine Kritik an der angekündigten Lesung mit Norbert Lammert und Jürgen Flimm am Schauspielhaus Bochum. »Keiner der beiden Herren ist meines Erachtens legitimiert, „dem Thema Krieg literarisch nachzuspüren“«, wie es Goerden in seiner Antwort formulierte. Im Zentrum der ausführlichen Kritik stehen die Personen Norbert Lammert und Jürgen Flimm, denen Frank-Patrick Steckel vorwirft: »Sie vertreten den Krieg«. Die Aufgabe eines Theatermachers ist es, sich „so differenziert als möglich für das Wahre und Menschliche“ einzusetzen, zitiert Frank-Patrick Steckel Paul Celan. Er wünscht dem Intendanten Goerden, der weiterhin an der Lesung unter dem Titel „‚S IST LEIDER KRIEG“ für den 11. November festhält, ein „recht auffälliges In-Erscheinung-Treten des von Goerden apostrophierten ‚kritischen Geistes’“. Das Bochumer Friedensplenum will die Geister rufen.
Frank-Patrick Steckel im Wortlaut u.a.:
„Ich wollte Ihnen nur deutlich machen, dass solche zweifelhaften Existenzen, wie Herr Lammert und Herr Flimm sie darstellen, allenfalls im Zuschauerraum eines Schauspielhauses, das künstlerisch auf sich hält, etwas zu suchen haben, keinesfalls aber auf der Bühne. Keiner der beiden Herren ist meines Erachtens legitimiert, „dem Thema Krieg literarisch nachzuspüren“, wie Sie so gefühlvoll schreiben – im Gegenteil. Sie, und das ist politisch aufspürbar, vertreten den Krieg, mehr…