Berichte von dem Naziaufmarsch am 26.6.2004


Gedächtnisprotokoll und Meinung zu meinen Erlebnissen am 26.6.2004

Am 26.6. war ich um ca 14.00 Uhr auf den Weg in die Bochumer Innenstadt. In Höhe es Bochumer Hauptbahnhofs überquerte ich die Fahrbahnen an einer Ampelanlage. Dabei viel mir ein junger Mann auf, der ein schwarzes T-Shirt mit einer sehr aggressiven Zeichnung und der Untertitelung "Final Attack" in den alten Reichsfarben schwarz/weiß/rot trug.
Ich wußte um den antisemitischen Aufmarsch in Bochum-Ehrenfeld und in meiner Zeit als Zivildienstleistender und Theologiestudent in den 80ziger Jahren war ich auch mehrmals im Konzentrationslager Ausschwitz auf Bildungsfahrten gewesen. Dementsprechend empört stellte ich den ca 18 Jährigen zur Rede. Ich sagte, dass ich sein Nazi-Shirt für Scheiße halten würde. Er blaffte zurück, dass mich dies nichts anginge. Ich erwiderte, dass es mich sehr wohl etwas anginge, wenn der Nazisymbolik angelehnte Shirts in der Öffentlichkeit getragen würden. Der junge Mann begann darauf, mich zu beleidigen. Ich sah es als geboten an, von meinem Fahrrad abzusteigen. Ein deutscher und zwei türkische Männer trennten uns, bevor es zu Handgreiflichkeiten kam. Während sich der junge Mann (im Techno- Gabberstil gekleidet) zu einem 30-35 jährigen Naziskin gesellte, der auf dem Kopf und im Nacken offen seine nationalsozialistische Weltanschauung jedem mitteilen mußte, näherten sich einige Polizeibeamte. Diese zogen die Personalausweise ein. Nachdem es eine Sachabklärung gab und ich auf eine Strafanzeige wegen Beleidigung verzichtete, wurden den beiden Nazis, aber auch mir für den Verlauf des Tages ein Platzverweis für die Bochumer Innenstadt erteilt.
Die Polizeibeamten waren mir gegenüber nett und formal völlig korrekt.

Meine Meinung zum dem 26.Juni 2004 in Bochum:
Für mich ist der Gehalt des Verbots und das Verhalten der Polizei antidemokratisch: Treten Nazis an die Öffentlichkeit, um das Terrorregime der NS-Zeit und seine Mörder zu glorifizieren und für Rassismus, Antisemitismus und Ausgrenzung zu werben, wird dies scheints erst dann zu einem Problem, wenn Demokraten sich dies nicht gefallen lassen wollen. Der Demokrat wird dann abgestraft für sein Engagement mit einer No-Go area, denn er könnte sich ja wohl wieder für Demokratie und gegen Vertreter eines Terrorregimes aussprechen. Da die Polizisten dies als "Ausgleich" bezeichneten, sehen sie sich scheints als übergeordnete Instanz: über Demokratie und Diktatur. Also nicht als Demokraten in Uniform? Die Uniform über Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit? So erscheint es mir.

Das was mir passierte ist, ist meinen Informationen nach so, oder ähnlich, einigen Menschen passiert.
Nicht die Nazis und ihr antisemitischer Massenaufmarsch waren das Problem. Sondern diejenigen, die sich an die Reichspogromnacht 1938 erinnern, an die Rassegesetze, an die Ausgrenzung von JüdInnen und deren Vernichtung in den deutschen Konzentrationslagern. Und die diesen ersten nationalsozialistischen und antisemitischen Massenaufmarsch nicht hinnehmen wollen. Jene Menschen, die für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit eintreten, sind von der Exekutive zum Problem stilisiert und kriminalisiert worden.

Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit scheint für die Polizei zu bedeuten:
Die Polizei setzte sich für die Freiheit der Schlagetots und Hetzer, der Biedermänner und Brandstifter ein.
Die Polizei setzt Demokratie der Diktatur gleich.
Die Polizei setzt sich nicht für die Gerechtigkeit für die BochumerInnen jüdischen Glaubens ein, die hier vor 64 Jahren von einem mörderischen Regime ihre Synagoge angezündet bekamen, deportiert und vergast wurden. Und nicht für die BochumerInnen jüdischen Glaubens, die heute in unserer Stadt leben.

Und dann all diese Kosmetik:
- Was sind 33 neue Mitglieder im Förderverein der Synagoge im Verhältnis zu einem in der ganzen Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie dagewesenen NS-Aufmarsch gegen eine jüdische Synagoge. Welcher Schuß ging da nach hinten los? Ist das alles, was die Bochumer Presse an intellektueller Potenz und Brisanz zu bieten hat?
- Was ist ein Infozelt auf dem Dr. Ruhr Platz, wo ein Din A4 Blatt mit lockereren 15 Zeilen ausliegt. Ist das alles gewesen, was das offizielle Bochum zustande kriegt?
- Ein Staatsanwalt, der ansonsten Jagd auf Antifaschisten macht, versuchte erfolglos ein Redemanuskript eines Nazis zu ergattern. Welch tapfere Tat. Welch Einsatz der Strafverfolgungsbehörde.
Stadtparlamentarier und Richter, die die Einsatzleitung auf Straftatbestände innerhalb der Nazimanifestation hinwiesen, schenkte die Polizeiführung und Staatsanwaltschaft kein Gehör. Ist das wehrhafte Demokratie?
- Und das Bundesverwaltungsgericht in Karlsruhr? Wer redet über dieses oberste Gericht?
Auf ihren Internetseiten feiern die Nazis ihren Erfolg. So z.B.npd-nrw.net :
"...Die heutige Versammlung ist ein voller Erfolg für den nationalen Widerstand in NRW, sowie für den nationalen Widerstand bundesweit, da mit dem Richterspruch ein "Türöffner" erwirkt werden konnte. Es wurde erreicht, dass eine bislang unkritisierbare Gruppe in das Fadenkreuz des Protestes gerückt werden konnte und ihren bis dahin einmaligen Status verlor..."
Der Begriff "Türöffner" paßt wie die Faust aufs Auge. "...eine bislang unkritisierbare Gruppe in das Fadenkreuz...gerückt werden konnte..". Diese Sprache muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Übersetzt heißt das wohl: JüdInnen können ab jetzt, dank der JuristInnen des BVG, ins Fadenkreuz genommen werden. Auch bewaffnet? Zuerst das Wort und dann die Tat? Im Februar wurde das Auto des Bochumer Rabbiners beschädigt. Vorletzte Woche das Auto einer Jüdin in Gelsenkirchen, der jüdische Friedhof in Düsseldorf wurde zwei Tage vor der NS-Demonstration zu Bochum geschändet. Und eine Nacht zuvor am Bochumer Gemeindezentrum die Eingangsschranke demontiert.
O-Ton der NPD:"...Die Organisationsleitung gibt bekannt, dass mit der heutigen Demonstration das Ende der Kampagne noch nicht erreicht. Es wird auch weiterhin in Bochum gegen den staatlich finanzierten Synagogenbau protestiert und die Aktionen werden noch ausgeweitet, da auch andere Städte in NRW mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben."
Die Nazis haben an die Tür geklopft. Das BVG hat die Tür aufgemacht.

Die Polizei machte den wohlwollenden Türsteher und die Stadtoberen, die Kirchenleitungen, der DGB, die Parteien, etc. haben die beschämt grinsenden Kartenabreißer der Nazis gemacht. Die NPD läßt verlauten, daß dieses Urteil eine "Ohrfeige für die herrschende Klasse" ist
Es ist eine Ohrfeige für die Demokratie. Und die Ausführenden sind die RichterInnen des BVG.

All das erinnert mich an die Weimarer Zeit, als der größte Teil des Staatsapparat kaiserlich-wilhelminisch-antidemokratisch war.
Es gilt nicht mehr Anfängen zu wehren. Wir sind mittendrin.

H.


Noch ein Bericht. Im Bereich Ehrenfeld/Griesenbruch und Stahlhausen standen in der Tat fast überall Polizeisperren, es war schwer durchzukommen. An der Alleestr. hat trotzdem eine kleine Blockade stattgefunden. Von der Bessemer Str. her nahte der Aufmarsch der Nazis. Unter der Eisenbahnüberführung am Bahnhof Bochum-West war die Straße mit Sperrgittern der Polizei abgeriegelt. Von dem Gebrüll der Faschisten habe ich nur so etwas wie „ins Arbeitslager rein“ und „Juden raus“ verstehen können. In Höhe der Metzstr. liefen einige Frauen mit einem Transparent über die Alleestr. und ließen sich auf der Fahrbahn nieder. Die Polizei griff sofort ein, versuchte die Straße frei zu machen, mindestens zwei Frauen wurden in den Schwitzkasten genommen. Die Gruppe leistete starken passiven Widerstand, und das war wichtig. Denn es offenbarte eine Taktik der Polizei. Sie hatte offensichtlich die Order, nicht zu hart durchzugreifen. Als es der Polizei nicht sofort gelang, die Gruppe von der Fahrbahn zu drängen oder das Transparent an sich zu nehmen, kamen weitere Personen auf die Fahrbahn. Schätzungsweise 25 Menschen hielten und sicherten dann das Transparent. Der Nazi-Aufmarsch wurde für einige Minuten zum Stillstand gebracht. Inzwischen hatten die Polizeieinheiten einen Kordon zwischen der Gruppe mit dem Transparent und dem Nazi-Aufmarsch gebildet und leitete diesen Richtung Bahnüberführung auf der linken Straßenseite an dem Transparent vorbei. Ich konnte den Aufmarsch aus etwa drei Meter Entfernung vorbeiziehen sehen. Die Frau, die neben mir stand, hatte eine bessere Sicht auf die Nazis als ich. Sie sagt, die NPDler hätten ungehindert mit ihren Kameras fotografieren dürfen. Es war einfach gespenstisch, wie ein riesiges Polizeiaufgebot einem Zug von gut 200 Nazis ihre antisemitische Hetzkampagne ermöglichen konnte. Das hatte eine neue rechtliche und politische Qualität, und die kam von oben. Wichtig ist, dass sich das unten nicht festsetzt. Es darf nicht normal werden, dass Nazis ungestraft gegen Synagogen demonstrieren können.

Gruß

W.

Hallo,
Zur Demo selbst werde ich jetzt nichts berichten, nur das zwei Begleitern
(einer von mit Ihnen trug ein ,,Gegen Nazies"-Tshirt und ein 82jähriger) und
mir von Beamten des BGS die Abreise von Bochum mit der S1/RE Richtung Essen
verweigert wurde, mit der sinngemäßen Begründung wir seien potenzielle
Straftäter und könnten in Ehrenfeld die Notbremse ziehen. Nach etwas Palaver
ließen sie wenigsten den 82jährigen mit der S1 fahren. Wir hingegen mußten
uns mit dem Bus auf den Heimweg machen! Der einzige Anhaltspunkt, daß wir zum
Linken Spektrum gehörten waren meine langen Haare und und das T-shirt. Seit
wann rechtfertigt das den Verdacht, man wolle Straftaten begehen?
M.A.




anbei zwei fotos von der demo - krass finde ich, daß der claus cremer ganz offen ein (fast) hakenkreuz-shirt tragen durfte... zu sehen auf dem obigen bild - er steht links von dem baum, der sein gesicht verdeckt und trägt ein schwarzes t-shirt mit rotem aufdruck.
nachdem die demo aufgelöst wurde, wurde der lautsprecherwagen auf geheiß und im beisein der staatsanwaltschaft noch einmal durchsucht, aber anscheinend nichts weiter gefunden.
weitere parole: juden raus (lange pause) aus palästina - war ne krasse nummer, da es lange dauerte bis der nachsatz kam.
makaber war auch das letzte stück des aufzugs, als die faschos marschmusik spielten und sowohl nazis als auch polizei auf einem fahrstreifen vereint dazu weitermarschierten.





Hallo

ihr wollt Erlebnisse von heute? Bitte sehr:

Ich bin heute Vormittag gegen halb zwölf mit dem Mottorrad zu Hein Gerricke gefahren. In der Bessemer Straße waren sehr viele Polizeifahrzeuge, und die Straße war gesperrt. Als ich sagte, wohin ich wollte, lies man mich aber durch.

Nach meinem Einkauf war jedoch die Straße in beide Richtungen gesperrt, und es standen etliche Leute auf der Straße, umringt von über 100 Polizisten. Da ich ohnehin nicht weg konnte, habe ich mir dem Vorbeizug der Faschos angesehen und auch ein Gespräch mit einem wohl etwas höheren Dienstgrad der Polizei geführt. Der erklärte mir, dass alle Nazis genau gefilzt und etliche wieder nach Hause geschickt worden seien, weil sie gegen Auflagen verstoßen hätten.

Da ich mit dem Krad eh nicht weg konnte, habe ich versucht, zu Fuß in die Stadt zu gehen. Dies war zunächst nicht möglich, weil die Polizei alle Nicht-Nazis am Weitergehen hinderte. Erst als die Nazis weg waren, zogen auch die Polizisten hinterher, und man konnte durch die Ursulastraße Richtung Stadt gehen, was außer mir auch einige andere taten.

Als ich durch die Schmidtstraße kam - etwa 10 Meter hinter mir gingen noch 5 oder 6 Leute, die ich alle nicht kannte - kam mir plötzlich ein Polizei-Mannschaftsbus mit Recklinghäuser Kennzeichen entgegen, der anhielt und aus dem eine Beamtin und mehrere männliche Kollegen entstiegen. Ich und alle Personen hinter mir wurden angehalten, und man nahm uns die Personalausweise ab. Weder ich noch irgendeiner der Anderen trug irgendwelche Abzeichen, Fahnen, Transparente oder irgendetwas, was uns als Gegendemonstanten gekennzeichnet hätte.

Nachdem wir über zehn Minuten festgehalten worden waren - offenbar wurden unsere Personalien per Funk überprüft - erteilte man uns Platzverweis und geleitete uns dann weiter durch die Schmidtstraße und die Maximilian-Kolbe-Straße. Meine Frage an den einzigen Beamten, der bereit war, seinen Namen zu nennen (Baumgarten), was das Theater solle, uns erst 10 Minuten festzuhalten und uns dann in genau die Richtung zu schicken, in die wir sowieso hatten gehen wollen, blieb unbeantwortet. Einer Frau, die die "Gruppe" verlassen wollte, um nach ihrer Familie zu suchen, wurde dies verwehrt.

An einer Sperre in der Maximilian-Kolbe-Straße gab man uns die Personalausweise wieder und erteilte uns Platzverweis für das gesamte inzwischen abgesperrte Gebiet bis Ende der Demo. Auf meine Frage, wie viel Umweg ich jetzt wohl zurück zu meinem Motorrad machen müsse, das auf dem Parkplatz bei Hein Gerricke stünde, bekam ich die Antwort: "Die Sache hier stand ja in allen Zeitungen, da haben Sie doch sicher entsprechende Verzögerungen einkalkuliert."

Außer mir haben sich auch alle anderen Mitglieder unserer "Gruppe" über die Festsetzung und Personalien-Überprüfung beschwert. Die Beamten beriefen sich auf das Polizeigesetz. Mag ja sein, dass dieses ein solches Vorgehen erlaubt - aus meiner Sicht war das schlicht Freiheitsberaubung, und ich werde eine entsprechende Beschwerde einlegen. Überflüssig war die Aktion ebenfalls, denn wir wo wir waren, waren weit und breit keine Nazis zu sehen, von denen man uns hätte fernhalten müssen.

Viele Grüße
A.H.


Hallo,
hier meine Beobachtung bei der Nazi-Demo am heutigen Samstag:
in der Demonstration haben sich viele Nazis vermummt. Einige dieser vermummten Nazis, offensichtlich extra dafür abgestellt, filmten und fotografierten alle am Rand stehenden Bürger und Gegendemonstranten. -Vermummungsverbot?- Kein Polizist schritt ein.
Aus dem Demonstrationszug bewarfen Nazis Gegendemonstranten mit Gegenständen. Ich sprach einen mir gegenüberstehenden Polizisten darauf an. Dieser erwiderte: "Dafür bin ich nicht zuständig, für die sind andere Kollegen zuständig." - Es war wohl für "die" keiner zuständig. Keiner der anwesenden Polizisten schritt ein.
Bei diesem Polizeieinsatz hatte man wieder den Eindruck: Der Feind ist der Gegendemonstrant.

Als Anlage noch ein paar Fotos.








Hallo,

Parolen wurden gerufen:

"Einen Hammer, einen Stein, ins Arbeitslager 'rein" (auf uns gemünzt)

"Ich bin glücklich, antijüdisch zu sein"

"Hop, Hop, Hop, Synogogenbau stopp"

Es muss wohl noch andere gegeben haben. Ein Redakteur vom URBO hat einige aufgezeichnet, und sich auch deswegen an die Polizei gewandt. Wolfgang Cordes ebenso. Mir wurde von der Polizei gesagt, es werde alles aufgezeichnet, die Rufer/Mikrosprecher seien bekannt, es werde nachher auf Strafrelevanz überprüft.

Gruss, N.