Dienstag, 12. März, 19.30 Uhr, Bahnhof Langendreer, Halle
Das "Unternehmen Barbarossa".
Der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Völker der Sowjetunion.
Eine Veranstaltung mit dem
Schriftsteller Michael Schneider.
Anlässlich der Buchveröffentlichung
"...und die Erinnerung tragen wir im Herzen – Briefe ehemaliger Zwangsarbeiter in Bochum 1942 – 45",
herausgegeben von der Initiative "Entschädigung Jetzt!" (Kamp-Verlag 2002)
Bekanntlich ist die deutsche Industrie sehr engagiert, ihre Exporte zu steigern und ihre Stellung auf dem Weltmarkt
mit allen Mitteln auszubauen. Die gleiche Industrie zeigt bis heute wenig Verantwortung in bezug auf ihre Vergangenheit.
Bei der Entschädigung für ehemalige ZwangsarbeiterInnen standen egoistische ökonomische Sicherheitsinteressen
an vorderster Stelle und die Opfer des Hitlerfaschismus wurden eher als "lästige Bittsteller" abgespeist.
Die Bereitschaft, in die "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft" einzuzahlen, ist noch immer mehr
als kümmerlich. Und nur zu gerne soll vergessen werden, dass Zwangsarbeit einer der Hauptanklagepunkte bei
den Nürnberger Prozessen war und dass das System der Zwangsarbeit eine Reihe von Angriffskriegen zur Voraussetzung
hatte.
Mit dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begann ein Vernichtungsfeldzug, dessen
Ausmaße bis heute weitgehend aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt wurden. Der Schriftsteller
Michael Schneider hat bereits 1989 diese völkermörderischen Dimensionen in seinem Buch "Das Unternehmen
Barbarossa" sehr deutlich herausgearbeitet: Mindestens zehn Millionen Sowjetbürger, unter ihnen 3,3 Millionen
Kriegsgefangene und zwei Millionen Juden, sind zwischen 1941 und 1945 außerhalb der eigentlichen Kampf- und
Kriegshandlungen zu Tode gekommen. Im Unterschied zu Lidice und Oradour sur Glane sind die in ähnlicher Weise
verbrannten Dörfer in der Sowjetunion, deren Zahl in die Hunderte geht, so gut wie vergessen. Zur Deckung
der durch die massiven Einberufungen zur Wehrmacht entstandenen Lücken in der heimischen Arbeitskräftestruktur
wurden Zivilisten aus den eroberten Gebieten für die deutsche Kriegswirtschaft zwangsrekrutiert. Dörfer
wurden in Brand gesteckt, Betriebe, Universitäten und Schulen umstellt und die darin befindlichen Menschen
mit dem Zug in die Durchgangslager nach Deutschland deportiert. Über die Landesarbeitsämter wurden diese
Menschen auf das Deutsche Reich verteilt und auf Anfragen der Unternehmen in Bergbau, Rüstungsindustrie, Landwirtschaft
und anderen Bereichen als Zwangsarbeiter eingesetzt. So wurden beispielsweise ukrainische Arbeitskräfte aus
dem Donezker Gebiet und dem Kriwoj Rog unter Federführung des Wittener Unternehmers und Chefs der Hermann-Göring-Werke,
Paul Pleiger, nach Bochum und in andere Ruhrgebietsstädte verschleppt. Etliche Rüstungsbetriebe forderten
auch KZ-Häftlinge für die Kriegsproduktion an. Beim Bochumer Verein für Gussstahlproduktion und
bei den Eisen- und Hüttenwerken Bochum entstanden Außenlager des KZ Buchenwald. Ohne diesen millionenfachen
Zwangseinsatz wäre eine Kontinuität in der deutschen Wirtschaft nicht aufrecht zu erhalten gewesen.
Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit fiel somit keineswegs vom Himmel, sondern baute gleichsam auf dem Arbeitselend
und dem namenlosen Tod von KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und verschleppten Zivilarbeitern auf. Das deutsche
Nachkriegsphantasma "Die Russen kommen!" war eine grandiose kollektive Verdrängungsleistung. Sie
projizierte die Schuld für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf das Gegensystem und machte vergessen,
daß es die Deutschen gewesen waren, die in den Osten einfielen, um die Länder und Menschen mit Vernichtung
und Sklaverei zu überziehen.
Michael Schneider wird aus seinem Buch "Das Unternehmen Barbarossa" vortragen. Dazu werden Ausschnitte
aus der Theaterverfilmung des von ihm in Regie betreuten Stückes "Die Wiedergutmachung oder wie man einen
verlorenen Krieg gewinnt" gezeigt.
Veranstaltet von der Initiative "Entschädigung jetzt!" und der Abteilung Politik im Bahnhof Langendreer
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