Nachschlag Am Sonntag den 31. Mai fand das Fußball-Weltmeisterschafts-Endspiel zwischen einer DFB-Herrenauswahl und einer brasilianischen Elf statt. Schon in den Wochen vor dem Endspiel überschlugen sich fast alle Teile der Bevölkerung im nationalen Taumel. Fachkundige und Laien wurden in den fiebernden Medien zu allem, was das Rund anging, befragt und ihre Verbundenheit zur deutschen Fußballnation war unausweichlich nachzulesen. Durch die Bank schrien sich Spitzenpolitiker ins populistische, telegene Bewußtsein. Man kannte nicht mehr Krise, Arbeitslosigkeit und Korruption; wollte nicht mehr über Sozialhilfekürzungen und andere Streichungen reden. Nein, man kannte nicht mehr Gewinner und Verlierer. Man kannte nur noch Deutsche, die wie ein Mann hinter ihrer Mannschaft stehen. Dieser Mannschaft, die wie eine Verlängerung des deutschen Volkskörpers im fernen Asien stationiert war und für die Ehre Deutschlands stritt. Diese Mannschaft, dieses Deutschland, dass ja von aller Welt schon als nicht erfolgreich eingestuft wurde. Aber wie der Phoenix aus der Asche, stand sie dann doch da. Die Mannschaft, wir alle, die Nation. 1990 waren die fahnenschwingenden und „Deutschland“ gröhlenden Menschen ein Produkt des nationalistischen Wiedervereinigungstaumels von 1989. Bis dato kannte man solche Szenen nicht auf deutschen Nachkriegsstraßen. Für viele Menschen war dies Verhalten damals überraschend, oft auch in ihrer Aggressivität erschreckend und abstoßend. 8 Jahre CDU und 4 Jahre SPD/Grüne Regierungszeit, 12 Jahre nationalistischer Standort-, „Wir sind wieder wer“-, „der wachsenden Verantwortung in der Welt gerecht werden“-, „auch den militärischen Pflichten in der Allianz nachkommen“-Politik weiter, werden allerorts privat und öffentlich Räumlichkeiten und Plätze für Jubelparaden eingerichtet. Schul- und arbeitsfrei wird gegeben. Und die regionale WAZ druckt großzügig Seiten in Schwarz, rot, gold. (falls, mal einer keine eigene Deutschlandfahne sich hat kaufen können) etc. etc. Und so von Wirtschaft, Staat und Privees gefördert, konnte sich die Nation abfeiern. Von links bis rechts wurde die Nation bejubelt. Keiner wollte sich es nehmen lassen abseits zu stehen. Alle wollten sie aus vollem Halse schreien, grölen und Teil eines großen Ganzen sein, Teil der Nation, halt Nationalist. Aber man kann genauso wenig ein bisschen schwanger sein, wie man ein bisschen Nationalist sein kann. Und so war das Original nicht fern, als am 31. Mai sich die Volksmassen im Bochumer Bermudadreieck trafen. Am 1.Juli freute sich die WAZ darüber, daß „So viel Nationalgefühl. So viel Leidenschaft....“ gezeigt wurde. Und zeigte sich erstaunt über „Auch Hooligans und Rechtsradikale mit Glatze und schwarz-weiß-roten Schals waren im Bermudadreieck aufgekreuzt“. Und „Nach dem Schlußpfiff hätten 30 Rechtsradikale den Verkehr auf dem Südring blockiert“, sowie „In Bochum und Dortmund entrollten sie Reichskriegsflaggen, kam es zu Beschimpfungen von Türken und Brasilianern und zu Festnahmen. Dumpfbackig grölten einige von ihnen Türkenfeindliches oder auch das von Demonstrationen nur all zu schlecht bekannte „Hier marschiert der nationale Widerstand...“ Im Bochumer „San Diego“ entrollte einer von ihnen eine Deutschland-Fahne, auf die mit Filzstift „Deutschland erwache“ gekritzelt war.“ Hayke Lanwert von der WAZ weiter: “Szenen
des Tages. Auch dies. Denn die neue allgemeine Unverkrampftheit im Umgang mit Schwarz-Rot-Gold, mit Fahne und Nationalhymne,
muss den Rechten wie geschaffen erscheinen, um sich darunter zu mischen....“ Schön diese Unverkrampftheit, diese Lockerheit, diese Freiheit. Von was bitte, Herr Lanwert? Und scheint es den Rechten nur so, oder ist diese neue Unverkrampftheit nicht die alte, die in der sie sich immer schon wohl fühlten. Damals ihre Väter und Großväter. Und heute sie. Das was die diversen WAZ Autoren als „Hässliche Szenen am Rande“ beschreiben, kann der Autor dieser Zeilen nur als Beschönigung empfinden. Heißt am Rande auch vom Rande der Gesellschaft? Also nur Rechtsextreme? Was zu sehen war, war um einiges Ekelhafter. Da bauten sich z.B. nach dem Abpfiff 5 sechszehn bis siebzehnjährige Jungen und Mädchen vor einer brasilianischen Familie am Konrad Adenauer Platz auf. Die brasilianische Frau hatte 2 drei bis fünfjährige Kinder an den Händen. Die deutschen Jugendlichen ließen die Familie nicht vorbei und schrien sie immer wieder voller Hass mit „Scheiß Brasilien“ an. Nach ca 1 Minute waren die Kinder gut verängstigt und die Familie so weit eingeschüchtert, dass sie das Weite suchte und aus dem Bermudadreieck wegging. Die fünf ganz normal aussehenden Jugendlichen quittierten dies mit Genugtuung. Eine von vielen Szenen wie ganz normal gekleidete „unverkrampfte“ deutsche Fußballfans mit brasilianischen Fans umgingen. Nach einer Stunde war kaum noch ein Brasilienfan zu sehen und nachdem immer mehr kurdisch und türkischstämmige Deutsche, obwohl sie für Deutschland gebrüllt hatten, rassistisch von ganz normalen „Unverkrampften“ angepöbelt worden waren, zogen diese sich auch immer mehr aus dem Bermudadreieck zurück. Die Polizei schritt kaum ein. Ich verwies die Polizisten, wie andere Passanten auch, auf die zahlreichen rechten Fahnen hin (Reichsfahnen in schwarz-weiß-rot und Reichskriegsfahnen). Im Falle der Reichskriegsfahne (ohne Hakenkreuz) wurde ich mit dem Verweis abgewiesen, dies sei eine Ermessensfrage der Polizeikräfte und sie würden nichts unternehmen wollen. Dass die Reichskriegsfahne nach Paragraph 15 Abs. 1des Versammlungsgesetzes bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sehr wohl eingezogen werden kann, wurde einfach ignoriert. Da fragt man sich nur, was für eine Situation denn gegeben sein muß, damit dies erfolgt? Reichen rassistische Pöbeleien und Bedrohungen aus einer Menge gegen eine Minderheit nicht aus? Ist nicht klar, dass diese Fahnen erst deswegen mitgebracht werden, um genau eine solche aggressive Stimmung zu erzeugen? Aber diese Fragen an eine Polizei zu richten, die - wie die Bochumer- auf einen Polizeipräsidenten hören, der eine knappe Woche später beschließt, im benachbarten Herne eine Nazikonzert mit 250 Nazis stattfinden zu lassen und mit seinen Mannen dafür sorgt, dass dies störungsfrei von demokratischen Protesten stattfinden kann. Solche Fragen zu stellen erübrigen sich wohl. Oder? „Die drei ???“ |