Liebe Freundinnen und Freunde,

im Dezember 2005 fanden vor dem Essener Amtsgericht mehrere Prozesse gegen Antifaschisten statt. Die Prozesse stehen im Zusammenhang mit den Aktivitäten gegen einen Naziaufmarsch in Essen-Frohnhausen am 16. April 2005. Im Zuge dieses Naziaufmarsches kam es an einer Polizeisperre zu einem Schlagstockeinsatz, bei dem völlig unverhältnismäßig und brutal auf meist junge antifaschistische DemonstrantInnen eingeschlagen wurde. Das Ergebnis dieses Einsatzes waren acht teils schwer verletzte DemonstrantInnen, weitere leicht Verletzte sowie acht Festnahmen.

Die nunmehr beendeten Verfahren sind es uns wert, nochmals eine Bilanz der Vorfälle aufzustellen.

Am 16.04.2005 fand in Essen-Frohnhausen eine Demonstration des rechtsextremen "Aktionsbüro Westdeutschland" statt. Als eine Gruppe von jungen GegendemonstrantInnen an einer Straßensperre der Polizei stand, um in Sicht- und Hörweite der Neonazis protestieren zu können, fühlte sich einer der marzialisch auftretenden Bochumer Polizisten durch den Scherz einer jungen Frau derart provoziert, dass er sie heftig zu Boden stieß. Die Demonstrantin schlug mit dem Kopf auf die Straße auf und blieb verletzt liegen, während der Polizeibeamte weiter auf die am Boden Liegende eintrat. Die völlig schockierten und durch den gewalttätigen Ausbruch des Beamten überraschten anderen DemonstrantInnen eilten der Verletzten zur Hilfe und stellten sich zwischen sie und den Polizisten, um sie vor weiteren Tritten zu schützen. Der Polizeibeamte weigerte sich trotz standhafter Nachfragen, seinen Namen oder einen Vorgesetzten zu benennen, beleidigte die friedlichen DemonstrantInnen und versuchte weiterhin, mit Schlägen und Tritten in Richtung der Verletzten die Situation noch mehr eskalieren zu lassen, wobei sogar andere Polizeibeamte versuchten, mäßigend auf ihn einzuwirken. Schließlich schlug er einer anderen jungen Frau, die sich schützend zwischen ihn und die Verletzte gestellt hatte mit dem Schlagstock ins Gesicht; diese ging zu Boden und wurde von einem herbeieilenden Sanitäter mit Sauerstoff versorgt.
Die Polizisten begannen daraufhin wahllos, auf die noch immer friedlichen DemonstrantInnen einzuschlagen und diese mit Hilfe von Schlagstöcken und Polizeihunden die Straße hinunter in einen "Kessel" zu jagen. Im Laufe dieser Hetzjagd wurden mindestens sechs weitere Personen schwer verletzt, etliche weitere erlitten leichte Verletzungen. Einer der an diesem Tag eingesetzten Rettungskräfte des Roten Kreuzes äußerte angesichts der Prügelorgie schockiert, er habe nicht genug Einsatzkräfte, um alle Verletzten versorgen zu können.

Gegen vier Antifaschisten wurde im Nachhinein ein Prozess unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruch, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte anberaumt. Keiner dieser fünf Angeklagten hatte sich irgendetwas zuschulden kommen lassen, nur einer hatte sich, als er die unverhältnismäßige und brutale Aktion des Polizisten beobachtete, zu einer Beleidigung hinreißen lassen. Eine anderer war von demselben Polizisten aufgrund der Tatsache, dass er sich schützend zwischen die Verletzte und den Beamten gestellt hatte, verhaftet worden. Dieser äußerte sich weiterhin beleidigend gegenüber den Festgenommenen und prahlte gegenüber Kollegen mit seinen Taten (mindestens drei der acht schweren Verletzungen sind auf ihn zurückzuführen).
Viele Essener Gruppen solidarisierten sich im Nachhinein mit den Angeklagten und organisierten Beschwerdeschreiben an die Polizei, Solidaritätsbekundungen und eine Podiumsdiskussion. Auf dieser schilderten VertreterInnen der lokalen Antifa, der Verletzten und Angeklagten die Situation, zeigten Foto- und Videomaterial und diskutierten darüber, wie in Zukunft mit solchen Eskalationen und dem Versuch der Polizei, die AntifaschistInnen im Nachhinein in "gute" und "gewalttätige" DemonstrantInnen zu spalten, umgegangen werden sollte.

Alle Prozesse wurden vor dem Essener Amtsgericht verhandelt. Der Bochumer Polizeibeamte, von dem die Eskalation ausgelöst worden war, war in drei Verhandlungen als Hauptzeuge benannt. Während er es am ersten Prozesstag nicht für nötig hielt, erlebten die Angeklagten und ZeugInnen erlebten in den anderen Prozessesn eine Überraschung: Der Bochumer Polizist gab vor, sich an den Einsatz am 16.04. nicht mehr erinnern zu können, er wisse lediglich, dass er die Route der Nazis geschützt habe. An verletzte DemonstrantInnen könne er sich nicht erinnern, auch seine eigene Verletzung (wegen der immerhin der Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung initiiert wurde) hatte er vergessen. Zu den konkreten Vorwürfen, er habe brutal und unverhältnismäßig agiert, äußerte er sich nicht.
Im Folgenden wurden alle Prozesse eingestellt. Dass die Angeklagten nicht aufgrund ihrer couragierten Hilfeleistung verurteilt wurde, ist als Erfolg zu werten. Allerdings wurde trotz mangelnder Beweise und Unschuldsbeteuerungen der Angeklagten keiner von ihnen freigesprochen: Den Grundsatz, im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden, schien das Essener Gericht nicht zu kennen.
Am Tag des zweiten Prozesses gab es deshalb eine Demonstration von AntifaschistInnen, die sich gegen die voreingenommene Rechtssprechung und generell gegen die Repression gegen AntifaschistInnen richtete. Etwa 50 TeilnehmerInnen äußerten lautstark ihren Protest.

Was bleibt, sind insgesamt Anwaltskosten in Höhe von 2500 Euro. Wir möchten uns an dieser Stelle für die Spendenbereitschaft vieler Gruppen und Einzelpersonen bedanken. Da die Kosten aber bei weitem noch nicht gedeckt sind, hoffen die Betroffenen, die sich alle noch in der Ausbildung befinden, auf weitere Spenden. Um sich weiterhin ungeachtet der staatlichen Kriminalisierung gegen Naziaufmärsche engagieren zu können, sind wir auf eure Unterstützung angewiesen!
Jede noch so kleine Spende hilft ungemein den hohen Berg von Kosten zu verringern.

Mit antifaschistischen Grüßen, Antifa Essen Z (im Namen der vier angeklagten Antifaschisten)



Spendenkonto:
Anti-Rassismus-Telefon Essen
Sparkasse Essen
BLZ 36050105
Konto 277012
Kennwort: "16.April"


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