Vorwort von
Pedro Holz:
"Die kleine Welt des Herrn Kaiser und andere sehr kurze Geschichten"

Mit einem Vorwort von Gert Eisenbürger und einem Nachwort von Guadalupe Santa Cruz
ASSO-Verlag, September 2002, 92 Seiten, 6,- Euro


"Multikulturelle Kompetenz", wie sie heute mitunter in Stellenausschreibungen verlangt wird, müsste Pedro Holz nicht durch Bescheinigungen über Praktika in unterschiedlichen Ländern belegen. Sie ergibt sich aus seiner Biographie. Er hat sie in 64 Jahren erworben, nein, erwerben müssen. Vater und Großvater hatten sowohl in Deutschland als auch in Chile gelebt. Als Pedro 1938 geboren wurde, waren seine Eltern in Deutschland. Wegen des Zweiten Weltkriegs war an eine Rückkehr nach Chile zunächst nicht zu denken. Aber dass es wieder nach Chile gehen sollte, war klar. Deshalb wurde Pedro auch bei der chilenischen Botschaft in Berlin angemeldet und erhielt die chilenische Staatsbürgerschaft. Seine erste Lebensphase verbrachte er jedoch in Deutschland, er erlebte als Kind den Krieg. Einige Erfahrungen aus dieser Zeit prägten sich tief in seinem Gedächtnis ein.

Erst 1949 konnte die Familie nach Chile übersiedeln. Nun war er in seiner Heimat, deren Regeln und kulturelle Codes er freilich erst einmal lernen musste. Aber er fand sich in dieser Gesellschaft zurecht und konnte sich dort verwurzeln, studierte, gründete zusammen mit seiner Compañera Isabel Cárcamo eine Familie.

Schon in ihrer Studienzeit mischten sich Isabel und Pedro in die sozialen Auseinandersetzungen des Chile jener Zeit ein. Sie wurden Sozialisten, kämpften für eine sozialistische Demokratie. In ihren Vorstellungen, Demokratie, Selbstverwaltung, gesellschaftliche Planung und soziale Gerechtigkeit zusammenzubringen, waren Chiles Sozialisten in den sechziger Jahren weltweit eine der innovativsten Linksparteien. Im Bündnis der Unidad Popular gewann die Linke 1970 die Präsidentschaftswahlen und der Arzt Salvador Allende wurde Präsident. Seine Regierung packte grundsätzliche gesellschaftliche Reformen an und scheute sich auch nicht, in die Besitzverhältnisse einzugreifen. Mit der Agrarreform verloren die Großgrundbesitzer einen Teil ihrer Ländereien und Privilegien; Minen und wichtige Industriebetriebe wurden vergesellschaftet.
Der Ökonom und Diplom- Ingenieur Pedro Holz leistete seinen beruflichen Beitrag insbesondere bei der Corfo, einer staatlichen Institution zur Förderung der Industrie und anderer Wirtschaftszweige. Für Pedro, wie für Hunderttausende anderer ChilenInnen, waren die Jahre der Unidad-Popular-Regierung, trotz vieler Konflikte und wachsender Schwierigkeiten, die politisch produktivste Zeit ihres Lebens. Bis zur Erschöpfung arbeiteten sie am Aufbau einer neuen - gerechteren - Gesellschaft mit.
Viel Zeit hatten sie nicht: Am 11. September 1973 putschten die Militärs unter Augusto Pinochet gegen die Demokratie. Das Experiment war zu Ende, seine Träger - Gewerkschafter, Mitglieder von Bauernorganisationen und Linksparteien sowie Funktionäre öffentlicher Betriebe - wurden gnadenlos verfolgt. Auch Pedro wurde festgenommen, war mehrere Monate in Haft. Während dieser Zeit kam im Oktober 1973 Sohn Raúl zur Welt. Später wurde Pedro in eine überwachte Freiheit entlassen, d.h., er musste sich regelmäßig bei der Polizei melden und war immer in Gefahr, wieder verhaftet zu werden. Deshalb entschieden Isabel und Pedro, dass er wie so viele Verfolgte in einer diplomatischen Vertretung Asyl suchen sollte. Er ging in die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Monatelang saß er dort fest, verdammt zum Warten und Nichtstun. Damals entstanden einige Erzählungen dieses Buches. In der Geschichte "Asyl" etwa hat er die Stimmung der Botschaftsflüchtlinge unmittelbar verarbeitet.

Ende 1973 reisten Isabel und Raúl in die Bundesrepublik aus. Pedro konnte erst einige Monate später nachkommen. Die Familie ließ sich in Bochum nieder, wo 1975 Sohn Juan Carlos geboren wurde. Pedro begann schnell wieder aktiv zu werden, es galt, die ExilchilenInnen zusammenzubringen, persönliche und politische Netze zu knüpfen, die Parteiarbeit im Exil neu zu beleben und die Zusammenarbeit mit deutschen Solidaritätsgruppen zu organisieren. Als jemand, der zweisprachig aufgewachsen war und beide Kulturen kannte, war Pedro der ideale Mittler zwischen Deutschen und Chilenen. Es war aber nicht nur seine Zweisprachigkeit, die ihn zu einem Mittelpunkt der chilenischen Exilszene machten. Hinzu kamen seine Kommunikationsfähigkeit, seine politische Ehrlichkeit und sein Humor.

Auch wenn er sich vordergründig hervorragend in die deutsche Gesellschaft integrierte, blieben viele Wunden. Er sah, wie in Chile das zertreten wurde, wofür er mit all seiner Kraft gekämpft hatte, er musste die Erfahrungen der Haft und Flucht verarbeiten und sich in einer deutschen Gesellschaft behaupten, die sich wenig für die Kompetenzen und Qualifikationen interessierte, die er in Chile erworben hatte, sie vielmehr entwertete. Viele chilenische Flüchtlinge versuchten, damit fertig zu werden, indem sie sich einigelten, ihre Koffer nie richtig auspackten und über Jahre so lebten, als würden sie in der folgenden Woche zurückkehren und in Chile da weitermachen, wo sie im September 1973 aufhören mussten.

Pedro Holz hat das Privileg, über seine Trauer schreiben zu können. In seinen knappen, lakonischen Geschichten offenbart sich ein ganz anderer Mensch als jener stets gut aufgelegte Organisator, der Motor so vieler Solidaritätsaktionen war. Verlust, Verlorenheit, Unverständnis, Zerstörung und Tod sind die Themen, die viele seiner Texte durchziehen. Die Geschichten sind kurz, mitunter quälend kurz. Manchmal wünscht man sich als Leser, der Autor hätte doch am Ende drei Sätze mehr geschrieben, dann wäre es einfacher, mit dem Gesagten klar zu kommen. Und doch weiß man, dass das genau drei Sätze zuviel wären.

Pedro Holz kehrte 1989 mit seiner Familie nach Chile zurück. Doch das neoliberale Chile der neunziger Jahre, nach siebzehn Jahren Diktatur, war ein anderes als jenes der sechziger und frühen siebziger Jahre. Beruflich konnte Pedro wenigstens teilweise auf die in Deutschland gemachten Erfahrungen und seine Studien im Bereich Weiter- und Erwachsenenbildung zurückgreifen. Und er musste sich gesundheitlichen Problemen stellen, in einer Gesellschaft, die angemessene medizinische Versorgung nur noch denen gewährt wird, die Geld genug haben. Pedro hat das gemeistert. Dabei half sicher das Schreiben, das für ihn immer wichtiger wurde. Seit er in Chile lebt, schreibt er wieder auf Spanisch. Im letzten Jahr ist in Santiago der Band "El Pequeño Mundo del Señor Kaiser y otros cuentos muy breves" erschienen. Es ist ein Geschenk, dass er nun auch in einer deutschen Ausgabe vorliegt.

Gert Eisenbürger