Rede von Ulrich Schneider, Sprecher des AK Erwerblose bei der IG-Matall

auf der Demonstration gegen Zwangsumzüge am 18.5.2006 in Bochum

es gilt das gesprochene Wort

Ich habe die BG- Nummer 321… und begrüße alle anderen BG-Nummern und Kundennummern,

natürlich auch alle anderen Kolleginnen und Kollegen, die sich hier versammelt haben,

um sich über die schlimmsten Auswirkungen der Hartz-Gesetze in ihrer eigenen Wohnung -ihrer letzten verbliebenen Zufluchtstätte - zu informieren.

 

für die anderen ich bin der Sprecher des AK Erwerbslose der IG Metall

 

Ich verstehe eure Anwesenheit so, das ihr nicht unbedingt mit der herrschenden Politik einverstanden seid und etwas ändern wollt.

Ich sehe hier Kollegen, die versuchen, ihre Rechte durchzusetzen wollen und die ihre demokratischen Rechte in Anspruch nehmen wollen um eine Verbesserung ihrer Lebenssituation zu erreichen.

Hier sind nicht die „Kostenfaktoren" wie die Erwerbslose gesellschaftlich betrachtet gerne genannt werden.

Hier sind Kollegen, die nicht der vorherrschenden gesellschaftlichen Meinung sind, dass  Menschen mit Eintritt in die Erwerbslosigkeit „automatisch" und "zwangsläufig" einen rechtlosen Raum betreten.

Hier sind Kollegen, die wissen dass Leistungen nach SGB II kein Almosen sind, sondern das wir ein Recht darauf haben.

 

Arbeitslosengeld II ist eine Zumutung für alle, die es erhalten.

Mit dem Arbeitslosengeld II wird die alte Sozialhilfe qualitativ und quantitativ unterschreiten. Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 in ihrem Armutsbericht festgestellt, dass man von Sozialhilfe nicht leben kann.

Jetzt werden  BG (Langzeitarbeitslose und ihre Familien) gezwungen unter diesem Niveau ihr Leben zu fristen. Schon jetzt reichen 345 Euro plus Miete nicht zum Leben.

 

Ein soziokulturelles Existenzminimum, das diese Bezeichnung verdient, muss deutlich darüber liegen, denn im gegenwärtigen Regelsatz sind notwendige Ausgaben für Mobilität, Bildung, Kommunikation, Gesundheit und gesunde Ernährung völlig unzureichend berücksichtigt.

Nach dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht liegt die Armutsgrenze bei 938 Euro.

 

Existenzbedrohend wird es dann bei der Berücksichtigung der Miete. Die tatsächliche Wohnsituation ist nur für eine kurze Zeit wichtig. Dann werden nur noch angemessene Wohnverhältnisse akzeptiert.

D.h. für Alleinstehende 45qm und 219 Euro - nach der Richtlinie die der Rat beschlossen hat.

Und die Aufforderung zur Kostensenkung landet im Briefkasten.

 

Die IG Metall Bochum hat sich frühzeitig mit dieser Problematik beschäftigt. Die Delegiertenversammlung hat vor der Sitzung des Sozialausschusses im letzten Jahr eindeutig dazu erklärt.

 

„Zwangsumzüge von Erwerbslosen sollten aus sozial- und wohnungsbaupolitischen Gründen möglichst vermieden werden. Damit kann der Gefahr sozialer Brennpunkte begegnet werden. Sollten Umzüge unumgänglich sein, ist die Übernahme der tatsächlichen Umzugskosten zu gewährleisten (die von der Stadt Bochum festgelegten 500,-  sind gänzlich unzureichend und berücksichtigen zudem die anfallenden Renovierungskosten in keiner Weise). „

 

Auch Sonderegelungen für einige Kollegen haben wir im gleichen Beschluss gefordert:

„Die bisherigen Regelungen bedürfen einer Ergänzung damit unsere Kollegen nicht auf der Straße stehen. Die Delegiertenversammlung setzt sich dafür ein das in den entsprechenden Richtlinien die besonderen Probleme von

- alleinerziehenden KollegInnen,

- schwangeren KollegInnen,

- über 60 jährige hilfeempfangenden KollegInnen,

- KollegInnen mit längerer Wohndauer (über 10 Jahre),

- KollegInnen mit gesundheitlichen Einschränkungen

- KollegInnen mit wesentlichen sozialen Bezügen (Betreuungseinrichtungen, Schulweg der Kinder)

- KollegInnen, die in absehbarer Zeit wieder kostendeckende Einkünfte haben berücksichtigt werden (z.B. durch Überschreitungsmöglichkeiten der Richtwerte). Von Maßnahmen zur Senkung der Wohnungskosten sollten für diesen Personenkreis abgesehen werden.“

 

In der Sozialberatung der IG Metall und auf den Veranstaltungen des AK zu den KdU haben die Kollegen ihre persönliche Situation geschildert. Die Vielzahl der aufgetretenen Probleme würde jeden hier überraschen, genauso die häufig unverständlichen oder falschen Bescheide der ARGE

Ich will hier nur einen typischen Fall – von vielen - wiedergeben:

 

Kollegin S., 48: Das Haus in dem ich gewohnt habe, ist verkauft worden und der neue Vermieter hatte bis auf mich schon alle Mieter herausgeekelt und einige sehr auffällige, laute neue Mieter übergangsweise neu aufgenommen. Es war die reinste Schikane (Wasserversorgung wurde zentral abgedreht, einmal stand meine Wohnungstür auf und ich hatte nur noch Angst). So schnell wie möglich habe ich mir eine „angemessene“ Wohnung gesucht, aber beim Amt haben die mir nur Schwierigkeiten gemacht. Ich sollte den Umzug selbst organisieren, aber das kann ich nicht. Ich bin eine alleinstehende Frau  und die wenigen Bekannten, die ich nach langer Arbeitslosigkeit überhaupt noch habe, sind zu alt, um mir beim Umzug zu helfen.

 

Den aktuellen „Optimierern“ des SGB II im Bundestag, die gerade die nächste Verschlimmerung planen, empfehle ich den Blick ins Grundgesetz:

 

Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet (Art.11 Abs. 1)

 

Hier wird wie auch an anderen Stellen das GG für ELO ausgehebelt. Vor einem Umzug müssen wir die Zustimmung des Amtes einholen. Einfach so umziehen, geht nicht. Wenn die Miete zu hoch ist, wird ein Umzug verlangt. Egal wie lange man in der Wohnung lebt und ob sie einem gefällt.

Kollegen in zu teure Wohnungen wird die Miete nicht mehr in tatsächlicher Höhe ausgezahlt.

Die Folge können Mietschulden sein. Folge von Mietschulden sind fristlose Kündigung und Zwangsräumung. Die Folge von Zwangsräumung ist Obdachlosigkeit.

Es sind unsere Kollegen, die hier ihre entrechtet werden.

Wie sagt schon Goetz Werner (der Chef der Drogeriekette DM, im Stern Nr. 17 / 2006)

Hartz IV ist offener Strafvollzug!