Nr. 39 • 6. Juni 2000

Sexualisierte Gewalt
Ein neuer Zugang zum Thema
Künftig beschäftigt sich ein größeres Forschungsprojekt um den Künstler Andrés Ginestet und die Stiftung Seiltänzer mit Unterstützung von Lehrenden der Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der RUB mit dem Thema sexualisierte Gewalt. Eigentlich eine positive Entwicklung, könnte man meinen. Schließlich wurde feministische Forschung in diesem Bereich all zu lange wenig honoriert.
Das Projekt ist mittlerweile soweit voran getrieben worden, dass die Pressestelle der RUB für Mittwoch, den 7. Juni 2000, zur Präsentation: „Kunst und Wissenschaft gegen sexuelle Gewalt – RUB Projekt ermittelt volkswirtschaftlichen Schaden" um 11 Uhr in den Senatssitzungssaal einlädt. Leider ist das Projekt jedoch kein Grund zur Freude.
zwanglose begegnung?
Vor zwei Jahren stellte Andrés Ginestet sein Projekt im kleineren Rahmen, bereits mit Unterstützung von Lehrenden der SowiFakultät, an der RuhrUni vor. Ginestet erläuterte anhand eines bereits realisierten Kunstobjektes (Postbank Dortmund) seinen Zugang zum Thema: Zentral ist die ‚Begegnung‘ zwischen Tätern und Opfern. Eine Vorstellung, die an Zynismus, wenn nicht gar vorsätzlicher Körperverletzung grenzt, denn die Konfrontation mit Tätern sexualisierter Gewalt kann für die Opfer erneute Traumatisierungen hervorrufen. Bei dem Treffen versprühte Ginestet dann auch Parfum, dessen hoher Anteil von Babyöl Täter und andere Personen an den Geruch von Kindern erinnern und dementsprechende Assoziationen wecken soll. Des Weiteren stellte Ginestet die geplante Durchführung einer Erhebung unter zehntausenden von Grundschulkindern vor. Bereits auf diesem Treffen und in weiteren Diskussionen mit Ginestet übten einige Studierende, die in feministischen Gruppen arbeiten bzw. den Schwerpunkt Frauen und Geschlechtersoziologie studieren, inhaltliche Kritik an dem Projekt.
Diese Ideen nehmen allerdings jetzt dramatische Form an, da sie die Chance haben, ernst genommen und realisiert zu werden. Erstaunlich ist, dass Ginestets Projekt in Teilen der Sowi - Professorenschaft Unterstützung findet. Dabei weist Ginestet sich lediglich dadurch aus, Künstler zu sein, und macht sich damit aus seiner Sichtfaktisch unangreifbar. Obwohl seit den 1970er Jahren in der Frauen und Geschlechterforschung empirisch und theoretisch zum Thema sexualisierter Gewalt sehr intensiv gearbeitet wurde, finden diese Studien, die oft in einem engen Praxisbezug standen, bei den Seiltänzern keine Erwähnung. Wo bleibt da der sonst übliche Rekurs auf den ‚Forschungsstand‘?
Der Kritik an dem etwas zu sorglosen Umgang mit diesem Thema, von der Pressestelle als „neuer Zugang" gepriesen, wurde von Beteiligten bislang ausgewichen. Ginestet zieht sich auf seinen künstlerischen Zugang zurück, die beteiligten Profs scheinen lediglich ihren speziellen Sachverstand einbringen (etwa der Sozialökonomie) bzw. die Chance auf ein einträgliches Forschungsprojekt nicht an sich vorbeiziehen lassen zu wollen und äußern sich nicht zur inhaltlichen Gesamtkonzeption.

volkswirtschaftlicher schaden?

Es verwundert in der Ankündigung, dass die Vertreter der SowiFakultät ausschließlich Männer sind, die zudem nicht zu diesem Thema gearbeitet haben. Das proklamierte Ziel, „den Blick auf die sozialökonomische Wirkung" oder den „volkswirtschaftlichen Schaden" von sexualisierter Gewalt zu richten zeigt, dass es hierbei nicht um die Opfer, Gewaltprävention oder gar Gesellschaftsanalyse und Patriarchatskritik geht, sondern um die ökonomische Frage, was für ein monetärer Schaden entsteht, wenn die Arbeitskraft von Personen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben, nicht voll verwerten werden kann. Kein Wunder, dass die Unterstützung dieses Projektes nicht zuletzt aus der Wirtschaft kommt. Die Formulierung in der Pressemitteilung der RUB, es gehe darum „uneingeschränkt opferorientierte Aufklärungsarbeit zu leisten", kann aufgrund der bisherigen inhaltlichen Präsentation nur zynisch interpretiert werden.