Gesellschaft Bochum-Donezk e.V.

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An dieBundestagsfraktion der SPD
An dieBundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen
An dieBundestagsfraktion der CDU /CSU
An dieBundestagsfraktion der FDP

Waltraud Jachnow, Vorsitzende
Harpener Hellweg 265
44805 Bochum
Tel. 0234/ 23 44 95


14. 06. 2000

Betr. Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

bereits am 20. 02. 1997 und am 23. 11. 1998 (AZ Z 3-000 10-1925 / 97) habe ich mich an den damaligen Bundespräsidenten Herrn Roman Herzog und jetzt neuerlich an den Bundespräsidenten Herrn Johannes Rau gewandt, in der Hoffnung auf Hilfe bei einer generellen Lösung für die unzumutbare Situation, in der sich viele ehemalige Zwangsarbeiter aus der früheren Sowjetunion befinden. Es ging damals um die sogenannte erste Entschädigung, die von der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag gezahlt worden war.

Das Problem besteht, wie ich damals bereits schrieb, für sehr viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter darin, daß sie keine Dokumente haben, um den Nachweis zu führen, daß sie tatsächlich nach Deutschland verschleppt worden sind.

Jetzt, da hoffentlich in Kürze mit dem Gesetz zur Entschädigung für NS-Zwangsarbeit zu rechnen ist, treffen wir immer häufiger auf verzweifelte Versuche, Nachweise zu erhalten. Gleichzeitig ist eine große Verunsicherung zu bemerken, welche Dokumente als ausreichend anerkannt werden. Deshalb wende ich mich auch an Ihre Fraktion und besonders an Sie, die Sie federführend bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes waren, um noch einmal nachdrücklich auf verschiedene Probleme hinzuweisen.

Die Schwierigkeiten, entsprechende Nachweise zu führen, sind nach wie vor groß, entweder gibt es die Firmen nicht mehr oder wir bekommen, gerade bei großen Firmen wie Siemens, Bosch, Krupp, Ruhrkohle AG, die Auskunft, dass die entsprechenden Dokumente nur unzureichend oder gar nicht mehr vorhanden seien.

So ist die Maßnahme des Volkswagenwerkes, bereits mit der Auszahlung einer Entschädigung an frühere Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu beginnen, sehr zu begrüßen, sie darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, das VW selbst keinerlei Personal- und Lohnunterlagen aus der Kriegszeit besitzt, der Nachweis selbst also nur von dem Antragsteller geführt werden kann. Im Falle der Betroffenen aus der ehemaligen Sowjetunion ist das häufig sehr schwierige, weil diese aus Angst vor Repressionen, ihre Papiere meistens unmittelbar zu Kriegsende weggeworfen haben.

Auch beim Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes in Arolsen ist die Dokumentation lückenhaft. Erfreulicherweise sind dort nun endlich mehr Mitarbeiter eingestellt worden, so dass die Bearbeitung der Anträge nicht mehr Jahre dauern wird!

Meine mehrjährigen Erfahrungen bei der Suche nach Dokumenten und die wiederholte Begegnung mit nach Bochum eingeladenen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Donezk (früher Stalino) / Ostukraine veranlassen mich, noch einmal auf die besonderen Probleme dieser Menschen hinzuweisen, die bei der Nachweisführung, bzw. Antragsbearbeitung berücksichtigt werden sollten.

1. Angesichts des hohen Alters und des schlechten Gesundheitszustandes der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sollte schnell mit der Auszahlung begonnen und auf jeden Fall bei der ersten Auszahlung bereits 50 % der zu erwartenden Summe angesetzt werden.

2. Bei der Nachweisführung sollte großzügig verfahren werden. Die Schädigung sollte glaubhaft gemacht werden können (§11, Abs. 2 Gesetzentwurf), wenn beispielsweise Fotos existieren, die eindeutig in Deutschland aufgenommen wurden und auf denen die betreffende Person mit dem Abzeichen Ost zu sehen ist. Dieses Abzeichen musste übrigens auch von in der Landwirtschaft Tätigen getragen werden. Es erhebt sich, wie auch angesichts der hier ebenfalls teilweise sehr schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Frage, ob es wirklich zu recht geschieht, dass diese Menschen von einer Entschädigung ausgeschlossen werden sollen (§11, Abs. 1).

Anerkannt werden sollten ebenfalls eidesstattliche Erklärungen. Die Beibringung von Zeugen ist nach so vielen Jahren häufig nicht mehr möglich. - Es gibt viele konkrete Fälle, in denen wir erlebt haben, wie sich der Geschädigte - wenn er beispielsweise hier zu Gast war - an viele nicht mehr existierende aber damals zutreffende Details der Lokalitäten erinnern konnte, ein offizieller Nachweis aber nicht gefunden wurde.

Gründe dafür liegen beispielsweise in einem nicht gesicherten Geburtsdatum, in nicht mehr korrekt angegebenen Orts- und Betriebsnamen u. ä.

- So im Falle von Danil Mjatschenko, der als Dreizehnjähriger mit seinem Vater nach Bochum verschleppt wurde. Er weiß nicht genau, wann er geboren wurde, bzw. welches Datum sein Vater damals in Deutschland angegeben hat. Sein Vater wurde infolge eines Betriebsunfalls auf einer Bochumer Zeche querschnittsgelähmt 1943 in das damals noch von den Deutschen besetzte Dnepropetrowsk zurücktransportiert. Als der Sohn 1945 zurückkehrte war der Vater wie auch die Mutter bereits verstorben. Mehr oder weniger willkürlich wurde bei der Behörde als Geburtsdatum der 25. 12. 1928 angegeben, es könnte aber auch ein Tag Anfang Januar 1929 sein!

- Im Falle von Praskowja Maximenko und ihrem in Deutschland geborenen Sohn Anatolij suchten wir vergeblich nach Unterlagen in Recklinghausen, bis sich zufällig auf Grund eines Schriftzuges auf einem Foto herausstellte, dass beide in Marl-Hüls gewesen sind. Von Recklinghausen wurde aber offensichtlich so häufig gesprochen, dass sich dieser Name eingeprägt hatte.

- Eine ehemalige Zwangsarbeiterin schrieb mir, sie sei in einem chemischen Werk in Belin in der Nähe von Leipzig gewesen. Rein zufällig fand ich heraus, dass es sich um Böhlen handelte. Das dortige Stadtarchiv konnte einen Nachweis finden.

Es handelt sich hier nicht um Einzelfälle. Viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erinnern sich jetzt nach 50-55 Jahren oft nur noch verschwommen an Namen und Umstände. Sehr jung, nach wenigen Jahren Schulbesuch kamen sie in eine fremdsprachige Umgebung. Die Aufschriften in lateinischen Buchstaben konnten sie in der Regel nicht lesen, was eine Orientierung sehr erschwerte. Das betrifft auch diejenigen, die häufig die Arbeitsstelle wechseln mussten, die bei der Reichsbahn oder zu Aufräumungsarbeiten an verschiedenen Orten oder später zum Schützengräbenausheben eingesetzt waren.

Auf jeden Fall sollten deshalb auch die Aufzeichnungen aus den Archiven des ehemaligen sowjetischen Sicherheitsdienstes als Nachweis anerkannt werden. Hier sind meistens die Daten über Verschleppung und Rückkehr enthalten, seltener der Ort und die Arbeitsstelle.

Die Partnerorganisationen verlangen, so waren mehrfach Klagen von den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu hören, für die Auszahlung der Entschädigung, Nachweise aus Deutschland. Hier sollten Absprachen erfolgen und deutlich gemacht werden, dass diese Dokumente häufig nicht mehr beigebracht werden können.

Abschließend noch einmal meine dringende Bitte, das zu erwartende Gesetz (vor allem § 9 und § 11) immer zugunsten der Betroffenen auszulegen und ihnen damit schnell und unbürokratisch Hilfe zu bringen. Das schließt auch ein, dass Einfluss auf die Partnergesellschaften genommen wird, nicht zusätzliche Hürden aufzubauen. Die nicht ganz unberechtigte Angst vieler Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die immer wieder bei Diskussionen zum Ausdruck kam, ist die Angst vor Veruntreuung der Gelder durch die eigene Vertretung (Partnergesellschaften) und die Bitte an die deutsche Stiftung, Kontrolle auszuüben.

In der Hoffnung, dass Sie meine Ausführungen bei der endgültigen Formulierung des Gesetzes und bei der Arbeit der Stiftung berücksichtigen werden, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen
Waltraud Jachnow